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Windelband, Wilhelm
Kuno Fischer und sein Kant: Festschrift der "Kantstudien" zum 50. Doctorjubiläum — Hamburg, Leipzig, 1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.22256#0020
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Sie auf dieselben in der Weise des Nacherlebens und der wiederholenden
Neuerzeugung eingegangen, so dass die bis in ihren innersten Kern durch-
sichtig gemachten Systeme ihre eigene Entstehung und ihr eigenes Schicksal
selbst zu erzählen scheinen. Die Geschichte der Philosophie ist in dieser
Ihrer Behandlungsart selbst zur Philosophie und zu einer Schule des
Philosophierens geworden. In weite Kreise hat Ihr klassisches Werk über
den Entwicklungsgang der neueren Philosophie seit Descartes das Ver-
ständnis der Probleme und das Interesse an deren Lösung getragen. Die
historische Forschung ist durch dasselbe vielfach belebt, der Kunst
historischer Darstellung ein in seiner Eigenart schwer zu erreichendes
Muster gegeben worden.

Die Meisterschaft des Schriftstellers aber ist zugleich die Meisterschaft
des Lehrers, dessen klarmachende, von Satz zu Satz fesselnde Kede noch
in dem geschriebenen Worte vernehmbar nachtönt. Ganze Schaaren von
Schülern, die in Jena und in Heidelberg zu Ihren Füssen sassen, verdanken
Ihnen unvergessliche Anregungen. In einer Zeit, in der die Philosophie
unter dem Einfluss der exakten Wissenschaften in Gefahr ist, sich über
der Feststellung des Einzelnen und der Zergliederung des Kleinsten zu
verengern, haben Sie mit Nachdruck auf die reichen Gedankenschätze der
Vergangenheit hingewiesen, haben den Blick für die grossen Zusammen-
hänge und den Sinn für die höchsten Aufgaben der denkenden Vernunft
geschärft. Sie haben es Vielen zum Bewusstsein gebracht, dass die
wichtigsten aller Thatsachen die Ideen sind und haben den Glauben an
deren Wirksamkeit mit anschaulicher Eindringlichkeit verkündet. Auch
persönlich endlich sind Sie für das Recht der freien Wissenschaft ein-
getreten, indem Sie der Beschränktheit getrotzt und die Angriffe ängstlicher
Gläubigkeit mit scharf geschliffener Rede zurückgewiesen haben.

Noch heute stehen Sie in bewunderungswürdiger Geistesfrische zu
neuem Schaffen bereit. Dass es Ihnen vergönnt sein möge, den weit-
angelegten Plan Ihres wissenschaftlichen Lebens bis zu Ende durchzuführen
und Sich noch lange der Wirkung Ihrer Arbeiten, der dankbaren An-
erkennung der Zeitgenossen, der Nacheiferung der Jüngeren zu erfreuen,
ist der Wunsch, in dem wir uns heute aus der Ferne mit den nahen
Teilnehmern Ihres Festes vereinigen.

Halle, im März 1897.

Die philos. Fakultät der Universität
Halle-Wittenberg.

gez. Conrad, h. t. dec.
 
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