ENTWÜRFE VON 1510/11 FÜR PLASTISCHE ARBEITEN
(FUGGERKAPELLE USW.) UND TAFELBILDER
Die Zeit um 1510 ist ein Wendepunkt im zeichnerischen wie im gesamten Schaffen Dürers. Es
ist an verschiedenen Stellen unserer Arbeit zum Ausdruck gekommen, warum dem so ist, und es
braucht hier nicht näher darauf eingegangen zu werden. In der Wirklichkeit lassen sich die einzelnen
Werke nicht so sauber in solche vor und solche nach dem Umschwung scheiden. Die neuen Ten-
denzen machen sich erst im Laufe der Zeit deutlich bemerkbar, auch sind sie nicht so sehr durch
einen Stilwandel als durch die Abkehr Dürers von der Malerei und die Hinwendung zu dekorativen
Aufgaben begründet. Der Leser wird daher Werke aus den Jahren 1510 und 1511 sowohl hier wie
in Band 3 finden, die Mehrzahl ist schon hier untergebracht und nur die Blätter, die die Ansätze zu
dem Neuen, das nun kommt, deutlich zeigen, folgen im nächsten.
Der Unterschied ist — auf eine kurze Formel gebracht — der zwischen einer dienenden und einer sich
verselbständigenden Zeichnung. In diesem Schlußabschnitt sind alle die Entwürfe zu bildhauerischen
und malerischen Werken der Jahre 1510/11 vereinigt, mit denen Dürer seine seit Venedig unausge-
setzt verstärkten Anstrengungen um die Malerei beendete. Überblicken wir die Werke der folgenden
10 Jahre bis zur niederländischen Reise, so gliedern sie sich überraschend leicht. Es fehlt gewiß auch
weiterhin nicht an Zeichnungen ähnlichen Charakters wie vorher — die Zeichnung ist letzten Endes
nur auf gewissen Höhepunkten der Entwicklung eine selbständige Kunst — aber drei Hauptgebiete
treten jetzt aus der großen Zahl der Werke heraus und lassen den Rest als Vertreter von Teilgebieten
zurück, die früher im Mittelpunkt des Interesses standen. Dürer’s Phantasie gestaltet, als ob sein
Geist sich von den Fesseln handwerklicher Kunstübung befreit hätte, nun in unaufhörlichen Ent-
würfen das Marienbild. Er schafft nun außerdem das Bildnis in endgültiger Gestalt, erst im häuslichen
Kreise, dann das der Bekannten und Freunde in der Stadt und außerhalb, es wird mehr und mehr zum
Mittelpunkt seiner Zeichenkunst. Und neben diesen neuen umfassenden Arbeitsgebieten tut sich ein
drittes auf, die dekorativen Arbeiten für den Kaiser, für den Bruder Andreas, den Goldschmied, und
manchen andern. Es genügt, auf das Gebetbuch Maximilians hinzuweisen, um einen Begriff von der
Rolle, die die dekorativen Arbeiten damals spielten, zu vermitteln. Dürer hat niemals mehr so viele
und so köstliche Kleinodien der dekorativen Kunst geschaffen.
Um diese Wandlung mit aller Entschiedenheit klarzustellen, wurden die hier vereinigten Zeichnun-
gen, die in der Tat Ausläufer einer Kunstrichtung oder erste Künder der beginnenden Umstellung
sind, noch in diesen Band genommen.
Es sind auf der einen Seite die Entwürfe für die Fuggerkapelle in St. Anna in Augsburg und meh-
rere andere Arbeiten für plastische Bildwerke, auf der andern Vorstudien zu eigenen Gemälden,
wie den Kaiserbildern und dem Landaueraltar, und zu fremden wie Kulmbachs Tucheraltar. Fast
immer genau aufs Jahr datierbar, bieten diese Werke glücklicherweise in bezug auf die Umstände
ihrer Entstehung wenige ungelöste Fragen. Dürer bedient sich der mit Wasserfarben kolorierten
Federzeichnung, um die Gemäldeentwürfe festzulegen. Nachdem er jeden einzelnen Gegenstand zu
den Kaiserbildern gehörig studiert hatte1, scheint er solcher Vorarbeiten überdrüssig geworden zu
1 Die verschollene Vorstudie zu dem Handschuh des Kaisers ist in einer Kopie in Budapest erhalten (Anh. Taf. XXVI).
(FUGGERKAPELLE USW.) UND TAFELBILDER
Die Zeit um 1510 ist ein Wendepunkt im zeichnerischen wie im gesamten Schaffen Dürers. Es
ist an verschiedenen Stellen unserer Arbeit zum Ausdruck gekommen, warum dem so ist, und es
braucht hier nicht näher darauf eingegangen zu werden. In der Wirklichkeit lassen sich die einzelnen
Werke nicht so sauber in solche vor und solche nach dem Umschwung scheiden. Die neuen Ten-
denzen machen sich erst im Laufe der Zeit deutlich bemerkbar, auch sind sie nicht so sehr durch
einen Stilwandel als durch die Abkehr Dürers von der Malerei und die Hinwendung zu dekorativen
Aufgaben begründet. Der Leser wird daher Werke aus den Jahren 1510 und 1511 sowohl hier wie
in Band 3 finden, die Mehrzahl ist schon hier untergebracht und nur die Blätter, die die Ansätze zu
dem Neuen, das nun kommt, deutlich zeigen, folgen im nächsten.
Der Unterschied ist — auf eine kurze Formel gebracht — der zwischen einer dienenden und einer sich
verselbständigenden Zeichnung. In diesem Schlußabschnitt sind alle die Entwürfe zu bildhauerischen
und malerischen Werken der Jahre 1510/11 vereinigt, mit denen Dürer seine seit Venedig unausge-
setzt verstärkten Anstrengungen um die Malerei beendete. Überblicken wir die Werke der folgenden
10 Jahre bis zur niederländischen Reise, so gliedern sie sich überraschend leicht. Es fehlt gewiß auch
weiterhin nicht an Zeichnungen ähnlichen Charakters wie vorher — die Zeichnung ist letzten Endes
nur auf gewissen Höhepunkten der Entwicklung eine selbständige Kunst — aber drei Hauptgebiete
treten jetzt aus der großen Zahl der Werke heraus und lassen den Rest als Vertreter von Teilgebieten
zurück, die früher im Mittelpunkt des Interesses standen. Dürer’s Phantasie gestaltet, als ob sein
Geist sich von den Fesseln handwerklicher Kunstübung befreit hätte, nun in unaufhörlichen Ent-
würfen das Marienbild. Er schafft nun außerdem das Bildnis in endgültiger Gestalt, erst im häuslichen
Kreise, dann das der Bekannten und Freunde in der Stadt und außerhalb, es wird mehr und mehr zum
Mittelpunkt seiner Zeichenkunst. Und neben diesen neuen umfassenden Arbeitsgebieten tut sich ein
drittes auf, die dekorativen Arbeiten für den Kaiser, für den Bruder Andreas, den Goldschmied, und
manchen andern. Es genügt, auf das Gebetbuch Maximilians hinzuweisen, um einen Begriff von der
Rolle, die die dekorativen Arbeiten damals spielten, zu vermitteln. Dürer hat niemals mehr so viele
und so köstliche Kleinodien der dekorativen Kunst geschaffen.
Um diese Wandlung mit aller Entschiedenheit klarzustellen, wurden die hier vereinigten Zeichnun-
gen, die in der Tat Ausläufer einer Kunstrichtung oder erste Künder der beginnenden Umstellung
sind, noch in diesen Band genommen.
Es sind auf der einen Seite die Entwürfe für die Fuggerkapelle in St. Anna in Augsburg und meh-
rere andere Arbeiten für plastische Bildwerke, auf der andern Vorstudien zu eigenen Gemälden,
wie den Kaiserbildern und dem Landaueraltar, und zu fremden wie Kulmbachs Tucheraltar. Fast
immer genau aufs Jahr datierbar, bieten diese Werke glücklicherweise in bezug auf die Umstände
ihrer Entstehung wenige ungelöste Fragen. Dürer bedient sich der mit Wasserfarben kolorierten
Federzeichnung, um die Gemäldeentwürfe festzulegen. Nachdem er jeden einzelnen Gegenstand zu
den Kaiserbildern gehörig studiert hatte1, scheint er solcher Vorarbeiten überdrüssig geworden zu
1 Die verschollene Vorstudie zu dem Handschuh des Kaisers ist in einer Kopie in Budapest erhalten (Anh. Taf. XXVI).