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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 1.1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.9078#0014
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10

Die Behandlung säumiger Steuerzahler.

Wer seine Stenern nicht pünktlich bezahlt, begeht eines der
strafwürdigsten Verbrechen gegen Staat und Gesellschaft. Leider
ist die Erkenntniß dieser Wahrheit zu wenig verbreitet und nicht
geringe Schuld daran tragen jene leichtsinnigen Redner der Oppo-
sitionsparteien, die sich nur zu leicht zu der Behauptung ver-
steigen, die bestehenden Stenern seien zu drückend, was dann
wieder die nachlässigen Steuerzahler in ihrer Säumigkeit bestärkt.
Diese schlechten Steuerzahler haben vielleicht oft gar keine Ahnung,
welches Unheil sie mit ihrer Säumigkeit anrichten können. Wir
wollen nur ein Beispiel, aber ein schlagendes, erwählten. Preußen
hat einige Duzend pensionirter Staatsminister, die sämmtlich
Pensionen von 12 000 Mk. per Jahr und Kopf beziehen. Wenn
nun alle Leute im Bezahlen ihrer Steuern säumig sein wollten,
so könnte eines Tages der Fall eintreten, das; der Staat nicht
imstande wäre, diesen Herren Staatsministern a. D. ihre Pen-
sionen auszubezahlen, und wenn es gerade Sommer wäre,
könnten sie nicht einmal in die Bäder gehen.

Vor solchem Unglücke muß jeder als nüzliches Glied der
Gesellschaft sich fühlende Bürger den Staat zu behüten suchen.

Zu hoher Befriedigung hat es uns gereicht, daß man nicht
gewartet hat, bis die Konservativen in dieser Angelegenheit die
Initiative ergriffen haben. Zwar geht sonst alles, was gut ist,
von dieser Partei aus, weil sie das hohe Verdienst hat, den
vollendeten Polizeistaat anzustreben, dessen wir ja so dringend
bedürfen, wie schon jenes berühmte Wort Börnes beweist, daß
jeder Deutsche seinen Gensdarmen mit sich in der Brust hernm-
trägt, und weil alles Gute von oben, d. h. von der Polizei
kömmt. Nein, die sächsische Fortschrittspartei hat sich den
Ruhm erworben, zuerst Maßregeln gegen die säumigen Steuer-
zahler vorgeschlagen zu haben, und hat damit bewiesen, daß
sie eine wahrhaft liberale Partei ist. Denn was kann
liberaler sein, als den Staat dadurch zu stärken, daß man die
Fürsorge der Polizei auch auf das Stenerwesen erstreckt?

Jene Ehrenmänner in Sachsen haben beantragt, daß wer
seine Stenern nicht pünktlich bezahlt, in keinem Gasthause etwas

verabreicht bekommt, daß er kein Tanzvergnügen, kein Konzert
besuchen darf, und daß der Zuwiderhandelnde Wirt bestraft wird.

Das ist ein ganz vortrefflicher und nicht hoch genug zu schäzender
Anfang: aber damit ist noch lange nicht genug geschehen. Die
Steuerrückstände müssen als Hochverrat gegen den Fiskus be-
trachtet und demgemäß behandelt werden.

Man wird präventive und repressive Maßregeln gegen solche
Staatsverbrechen anzuwenden haben.

Die präventiven Mittel sind die Hauptsache.

Künftig hat sich der Steuerzahler immer mit zwei Steuer-
quittungen zu versehen, für deren Ausstellung er zum Wohl
der Staatskasse eine kleine Vergütung zu zahlen hat. Der eine
dieser Zettel muß in einem Rahmen unter Glasvcrschlnß vor-
der Hanstttre ausgehängt werden, um der Polizei die Mühe zu
ersparen, die Treppen zu ersteigen. Den anderen hat der Staats-
bürger stets mit sich zu führen und ihn überall vorzuzeigen.
Kanflente, Bäcker, Fleischer, Gärtner dürfen niemand etwas ver-
kaufen, der ihnen nicht erst die Steuerquittung vorgezeigt hat;
der Arzt darf niemand Hilfe leisten, der mit seinen Steuern
rückständig ist; wenn eine Frau niederkommen will, darf ihr
keine Hebamme Hilfe leisten, bevor die Steuern ihres Mannes
bezahlt sind. Damit sich nicht böswillige Menschen durch Selbst-
mord der Pflicht des Steuerzahlens entziehen, wird bestimmt,
daß wenn ein säumiger Steuerzahler stirbt, die Leiche solange
nicht beerdigt wird und in der Wohnung stehen bleiben muß,
bis Erben, Anverwandte, Freunde oder im lezten Falle der j
Hauswirt die rückständigen Steuern gedeckt haben.

Gegen unverbesserliche Stenerrestanten werden Repressiv -
maßregeln ergriffen. Wer troz allem im Rückstand bleibt, der
kommt ins Arbeitshaus und muß dort so lange Wolle spinnen
oder sonst etwas arbeiten, bis er den Betrag seiner Steuern
abverdient hat. Rückfällige können bis zu fünf Jahren Zucht-
haus zudiktirt bekommen. Die faule Ausrede, daß im Gefäng-
nis der Mensch nichts verdienen könne, lassen wir nicht gelten;
wer sie gebraucht, beweist damit, daß er etwas von einem ;

Der Bürgerwehrhauptmann.

Eine so ziemlich wahre Geschichte.

„Wenn nur meine Lisette nichts dagegen hat!"

So sprach seufzend der Bürgertvehrhauptmann Alexander Wenglein
und kratzte sich bedenklich hinter den Ohren. Er hatte auch Ursache dazu.

Man lebte nämlich im stürmischen Revolutionsjahr 1848 und auch
im guten Städtlein W. hatten die „Märzstürme" getobt. Die braven
Bürger waren aufsässig geworden, die Bier- und Weinhänser ivaren ge-
drängt voll, es wurde viel und heftig politisirt und noch mehr und noch
heftiger gezecht und zutveilen hörte man die begeisterten Bürger rufen: 1
„Es lebe die Preßfreiheit mit Censur!" oder: „Es lebe die Republik mit s
dem Groszherzog au der Spitze!"

Man beschloß natürlich auch die Volksbewaffnung einzuführen und so
wurde denn eine Bürgerwehr gebildet, zu deren Hauptmann einstimmig
der Friseur Alexander Wenglein gewählt wurde. Einstimmig wurde er
gewählt, weil auch seine Gegner ans Bosheit ihm ihre Stimmen gaben.

Herr Wenglcin war ein kleines dünnes Männchen, sehr geschwätzig
und beweglich, mit einer großen Perrücke. In den Versammlungen der
Bürgerschaft führte er das große Wort und namentlich in der Revolutions-
zeit. Er donnerte, soweit es sein ziemlich dünnes Stimmchen erlaubte,
gegen die Tyrannei und drohte mit „dem Frühling der Völker". Kurz,
man mußte ihn als einen furchtbaren Revolutionär ansehen

Wer ihn genauer kannte, that dies nicht. Denn so sehr er sich auch
in seinen Klnbreden gegen alle Tyrannei aufbänmte, es gab doch eine,
an die er nur mit Schweigen und Zittern zu denken wagte. Das war
nämlich die Tyrannei, die seine „bessere Hälfte", die Frau Lisette Weng-
lein. gegen ihn ausübte.

Der Friseur Wenglein theilte dies Schicksal mit andern großen Er-
scheinungen der Weltgeschichte. Auch Sokrates hat von seiner Xanthippe
viel Ungemach erdulden müssen und der römische König Claudius ist
von seiner Frau Agrippina vergiftet worden. So schlimm wie Agrippina
war Frau Lisette ja gar nicht. Und sollte ein Friseur sich schämen, wenn
sogar der berühmte Held Herkules am Spinnrocken gesessen hat, nur
weil ein Weib es ihm befahl?

Frau Lisette war aber auch eine Erscheinung, die einem kleinen
schwächlichen Friseur Furcht einjagen mußte. Breitschultrig und von
großer, derber Figur, hatte sie ein paar Fäuste wie ein Drescher. Ein
starker Anflug von Schnurrbart gab ihr ein martialisches Ansehen, was

noch vermehrt wurde durch z>vei große Warzen am Kinn, aus denen
lange, steife, graue Haare wie Borsten hervorstanden. Und schimpfen
konnte sie! Wenn Herr Wenglein bei gutem Humor war, so behauptete
er, seine Lisette könnte mit den größten Rednern aller Zeiten, nüt
Demosthenes, Cicero, Luther und Mirabeau zugleich fertig werden, was
sich im Jenseits einst noch erweisen lverde.

Wie war denn Herr Wenglein zu diesem Ehegespons gekommen?
Nun, er hatte sie eines Tags, da sie sich noch in ihrem schon sehr vor-
geschrittenen jungfräulichen Stande befand, im Scherz an den Haaren
ihrer Warzen am Kinn gezupft; sie aber hatte mit fürchterlicher Stimme
ihn angeschrieen, für diesen Schimpf müsse sie Rache nehmen, lvenn er
sie nickt heirathe. Der arme Herr Wenglein hatte nicht den Muth zu
widerstehen und heirathete sie.

Man begreift nun, warum Herr Wenglein seufzte, als man ihn zum
Bürgenvehrhanptmann erwählte. Ihm ahnte Unheil. Denn seine Lisette
war trotz aller seiner Bemühungen nicht zu seinen freisinnigen Anschau-
ungen zu bekehren gewesen, im Gegentheil hatte sie sich, wie um ihn zu
ärgern, stets als aristokratisch und stockreaktionär gezeigt. Als er ihr
einmal mit dem „Geist der Freiheit" zu drohen wagte, ergriff sie einen
Besenstiel, indem sie rief: „Ich will dich Mores lehren, Revoluzzer!"
Der gefeierte Klubredner aber wartete die Attacke nicht ab, sondern gab
schleunigst Fersengeld.

Die Wahl zum Bürgerwehrhauptmann war Nachmittags auf dem
Exerzierplätze erfolgt; Abends sollte Versammlung der Offiziere sein.
Inzwischen ging Herr Wenglein znm Abendbrod nach Hause, in tiefes
Nachgrübeln versunken, >vie er seiner Lisette am Besten beibrächte, zu
welch hohem Posten er nunmehr ersehen sei. Er beschloß, es mit Güte
zu versuchen.

Brummig trug Lisette das Abendbrod auf. Er suchte ihr die rauhe
Wange zu streicheln.

„Geh weg, Tagedieb," schrie sie.

„Tagedieb!" stammelte er.

„Ja wohl! Bei der verdanunten Revolution wird gar nichts mehr
gearbeitet. Den ganzen Tag sitzt ihr im Wirthshans und schimpft!"

„Aber Lisette, das Vaterland —"

„Das Vaterland", schrie sie erbost. „Was kann das von Eurem
Geschwätz profitiren?"

„Lisette, jetzt wird's mir zu viel," sagte Wenglein mit dem Muthe
der Verzweiflung "
 
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