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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 1.1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.9078#0078
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Wcchweöe

drs nationallibrralen Keichskags-Kandidskrn Kriecher.

Meine geehrten Herren Wähler!

Unser allbeliebter bisheriger Abgeordneter, der Herr Geheime
Hofrath von Bückling, hat sich vom politischen Leben zurück-
ziehen müssen, da er sich im Dienste des Volkes eine Rückgrats-
verkrümmung zugezogen hat. Indem ich niich bereit erkläre, das
mit solchen Gefahren verbundene Anit eines nationalliberalen
Volksvertreters zu übernehmen, bin ich mir bewußt, daß der
schönste Grundsatz der ist, in der Politik gar keine Grundsätze
zu haben. Demgemäß werde ich Ihnen auch über meine künftige
Haltung, falls ich gewühlt werde, einige Angaben machen, ob-
schon ich selbst noch nicht weiß, was ich thun werde. (Bravo!)

Mäßigung und Selbstbeherrschung ist die erste Tugend einer
politischen Partei; man muß alle Gegensätze und Widerspriiche
mit der Regierung vermeiden und sich ihrem Verlangen fügen.
Es ist beschämend für die abendländische Kulturwelt, daß die
Japanesen, die sich ans Befehl ihrer Regierung den Bauch kreuz-
weise nufschlitzen, in Bezug auf Fügsamkeit immer noch als un-
erreichtes Vorbild dastehen. (Sehr richtig!)

Mit derselben Aufrichtigkeit wie die Herren von der ultra-
montanen Partei werde ich für Wahrheit, Freiheit und Recht
eintreten.

Die Liebe zur Freiheit ist mir angeboren; sie ist in mir so
stark, daß ich außer für die Kulturkampfgesetze, den Diktatur-
paragraphen und das Sozialistengesetz höchstens noch für eine
Verschärfung der Strafbestimmungen gegen politische Vergehen
überhaupt und für die Einführung der Deportation politischer
Verbrecher nach einer neu anzulegenden Strafkolonie in West-
afrika stimmen würde; sollten aber in unserem schönen Vaterlande
etwaige reaktionäre Bestrebungen zu Tage treten, so werde
ich mit aller Macht dagegen ankämpfeu und für die bedrohte
Volkssreiheit einstehen. (Sehr gut!)

Sparsamkeit ist eine der obersten Pflichten des Volksver-
treters und dessen bewußt werde ich für die Kosten unseres
Militärwesens niemals auch nur eineu Pfennig mehr bewilligen,
als die Regierung verlangt. Darauf verpfände ich mein Mannes-
wort. (Bravo!)

Daß die Steuerlast, die auf unserem Volke liegt, eine große

Der Wahlschmaus.

Eine möglicher Weise wahre Geschichte von Signrnrrü ScHwcrvz.

In einer großen Seestadt — Leipzig war es nicht — lebten zwei i
Bürger, die sich bitter haßten. Das kam Alles vom Tabak. Herr Piepen- |
meyer war nämlich Tabakshändler und naturgemäß ein wüthender Gegner
von Tabakssteuer und Tabaksmonopol; Herr Siebeumeyer aber, sein Feind,
war ein Rentier, der nicht rauchte und das Rauchen für eines der ab-
scheulichsten Laster hielt. Deßhalb war Herr Siebeumeyer für eine nwglichst
hohe Tabakssteuer und schließlich auch für das Monopol. Die Aehulichkeit
der Namen bewirkte, daß man die beiden Feinde häufig verwechselte,
was die Erbitterung der Beiden gegeneinander nur steigerte. Jeder der
Beiden hatte seine bestimmte Partei und es kam vor, daß sich die An-
hänger des Herrn Piepenmeyer mit denen des Herrn Siebeumeyer prü-
gelten. Dann ließen die beiden Parteihäupter lange Erklärungen gegen
einander los, die bei Herrn Tabakshäudler Piepenmeyer gewöhnlich dahin
gingen, daß die Rentiers, diese Nichtsthuer, die Hälfte ihres Einkommens
als Steuer zahlen sollten, während der Herr Rentier Siebeumeyer immer
mit den Worten zu schließen pflegte: „Der Tabak muß noch mehr bluten!"

Die Feindschaft der Beiden war so grimmig, daß inan glauben
mußte, sie könnten sich nimmermehr versöhnen. Und doch geschah das
eines Tages. Das ging sehr merkwürdig zu und wir wollen es erzählen.

In der großen Seestadt war das Amt eines Stadtverordneten er-
ledigt und Herr Tabakshändler Piepenmeyer wurde von seinen Anhängern
als Kandidat aufgestellt. Das verdroß die Anhänger des Herrn Rentiers
Siebeumeyer nicht wenig und sie proklamirten, kurz entschlossen, die Kan-
didatur des Herrn Siebeumeyer. Zu diesen beiden Kandidaturen kam
noch eine dritte und zwar die des Kaufmanns Hauptmeyer.

Das war eine „Meyerei" in diesem Wahlkampf!

Die eine Partei sagte: „Wir wählen nicht Siebeumeyer, sondern
Piepenmeyer!"

Die zweite sagte: „Wir wühlen nicht Piepenmeyer, sondern Sieben-
meyer!"

ist, wissen lvir alle. Niein Bestreben wird sein, zur Entlastung
des Volkes beizutragen und so werde ich für neue Steuern tiur
dann stimmen, wenn sie die Regierung nothwendig findet.

Solch ungerechten Gesetzeit wie die Börsensteuer werde ich
nie und nimmer meine Zustimmung geben, da ich selbst an der
Börse Geschäfte mache und außerdem im Verwaltungsrath mehrerer
Aktiengesellschaften sitze.

Meine ganze Liebe und Fürsorge werde ich dem Wohl der
arbeitenden Klassen widmen und dabei stets mit dem unumgäng-
lichen Zartgefühl verfahren. Ich weiß, die Arbeiter wollen Nichts
geschenkt haben; das verbietet ihnen ihr Stolz. Deßhalb werde
ich auch immer dafür stimnien, daß die Arbeiter die für sie ge-
schaffeneit Einrichtungen selbst bezahlen und die Unternehmer
von allen Beiträgen frei bleiben sollen. Ich weiß, wie stolz die
Arbeiter schon darauf sind, daß sie verhältuißmüßig die meisten
Steuern int Staate zahlen dürfen. Und diesen Stolz der Ar-
beiter darf ein nationalliberaler Volksvertreter niemals kränken
(Lebhaftes Bravo!)

Sie sehen, ich gehöre nicht zu jenen kleinlichen Naturen,
deren Thätigkeit in unaufhörlicher Nörgelei anfgeht. Die wahre
Kunst der Volksvertretung besteht eben darin, sich immer mit der
Regierung in Einklang zu befinden.

Sie werden nicht vernehmen, daß ich viele und lange Reden
halten werde. Nein, damit werde ich die kostbare Zeit meiner
Amveseuheit in Berlin nicht verschwenden; ich werde Andere reden
lassen und werde dafür handeln. Bei keiner Soiree und bei
keinem Frühschoppen beim Herrn Reichskanzler werde ich fehlen.
Dem bayerischen Bier, das es beim Herrn Reichskanzler gibt,
werde ich alle Ehre anthnn, wie es sich einem deutschen Manne
geziemt. (Lebhafter Applaus.) Bei dieser Gelegenheit werde ich
den Gesprächen der Männer, die von politischen und volkswirth-
schaftlichen Dingen mehr verstehen, als ich, aufmerksam zuhöreu
und werde im Reichstage dem entsprechend handeln, was ich
da lerne.

Sie sehen, meine geehrten Herren Wähler, daß ich von dem
lebhaftesten Wunsche beseelt bin, Ihnen nützlich zu sein, und daß
I Sie mit vollem Vertrauen mir ein Mandat für den deutschen
Reichstag übertragen können. (Langanhaltender Beifall.)

Und die dritte sagte: „Wir wählen weder Piepenmeyer, noch Sieben-
meyer, sondern Hauptmeyer!"

Den Wählern brummte der Schädel von lauter Meyern.

Der Wahlkampf war sehr hitzig, besonders da mancher Doppelkümmel
und Grog auf die verschiedenen Meyer getrunken wurde. Jeder der Kan-
didaten hatte seine Agitatoren, welche die Wählerlisten vor sich hatten
und die säumigen Wühler zur Wahlurne schleppten. Für diese anstrengende
Thätigkeit sollten sic Abends mit einem Schmause belohnt werden.

Die Agitatoren des Herrn Piepenmeyer hatten ihre Schuldigkeit voll-
auf gethan. Ihr Führer war ein Dienstmann, den man als einen losen
Bogel, wie man sagt, kannte. Vor dem Wahllokal trafen die „Schlepper"
— so nannte man die Wahlagitatvren — des Herrn Piepenmeyer mit
denen des Herrn Siebeumeyer zusammen. Die Schlepper des Herrn
Siebenmeyer wurden von einem Kutscher kommandirt. Die Führer der
beiden Schlepper-Kolonnen waren Schulkameraden und gute Freunde;
sie begrüßten sich.

„Na, Christian", sagte der Dienstmann, „darum keine Feindschaft
nicht. Laß uns einen kleinen Kümmel nehmen."

„Woll, Heinz!" sagte der Andere.

Man trat in eine Schenke und die beiden Führer flüsterten eifrig
miteinander. Als man die Schenke verließ, hatten sie sich offenbar über
etwas verständigt.

„Kinder", sagte Heinz, der im Dienste des Herrn Piepenmeyer stand,
,,ihr eßt und trinkt gerne oft, gut und viel, nicht wahr?"

„Jawohl", erscholl es unisono.

„Ihr schmaust doch lieber zweimal als einmal?"

„Jawohl!"

„Nun, dann folgt mir und thut, was ich sage. Wollt ihr das?"

Das Versprechen wurde gegebeir und der von Herrn Piepenmeyer
engagirte Dienstmann Heinz führte seine Schaar nach der Wohnung des
Herrn Siebenmeyer. Die „Schlepper" machten erst verwunderte Gesichter,
allein sie folgten, der Verabredung gemäß, schweigend dem Führer.

Auf der Treppe kam ihnen die wohlbeleibte Haushälterin des Herrn
Siebenmeyer mit dem freundlichsten Lächeln entgegen.
 
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