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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 1.1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.9078#0086
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Die gebildete Ir cru.

Vrrkrsulicher Schrribrbrirf der Frau DoKlor Ndeline S. an die Frau Doklor Marie Z.

Meine liebe Freundin Marie!

Du warst so freundlich, uns dazu zu gratuliren, daß mein
Mann nun zum dritten Mal als nationalliberaler Abgeordneter
in den Reichstag gewählt worden ist. Ach, ich glaube schon,
Du treue Seele, daß Du es ernst und aufrichtig mit uns meinst,
und dich herzlich über die meinem Mann abermals widerfahrene
Ehre freust. Und ich, ich Unglückliche — ach, ich bin eine ge-
bildete Frau und mein Mann will das nicht einseheu.

Ja, ich bin unglücklich, ich will Dir mein Herz ausschütten.
Seit Jahr und Tag ist mein ehelicher Friede gestört durch dieses
unselige Parlament — verstehe mich recht, denn ich bin eine ge-
bildete Frau.

Als nämlich mein Mann zum ersten Mal gewählt ivurde,
da sagte ich, natürlich nur im Scherz, es sei' doch Unrecht, daß
die Frauen weder wahlberechtigt noch wählbar seien. Aber mein
Mann nahm das fürchterlich ernsthaft auf, begann zu schimpfen,
sprach von überspannten Ideen, Narrenhauskandidaten, Verrückten
und Tollhäuslern, .und sagte schließlich geradezu, wir Frauen be-
säßen nicht Bildung genug, um parlamentarische Geschüfle zu
versehen. Das konnte ich mir unmöglich gefallen lassen, denn
ich bin eine gebildete Frau.

Wir zankten uns häufig über diese Sache; doch kamen wir
im Ganzen noch mit einander aus. Da wollte es das Ungliick,
daß mein Mann znm dritten Male wiedergewählt wurde. Ich
war natürlich die Erste, die ihm gratulirte. Er sah mich dabei
eigenthümlich an und nieinte:

„Nun, mein Täubchen, du hast dich nun doch wohl bekehrt
und bestehst nicht mehr darauf, daß auch den Frauen das Wahl-
recht ertheilt wird?"

Wer sollte da nicht böse werden, und ich wurde es auch,
trotzdem ich eine gebildete Frau bin.

„Ei", sagte ich erbost, „was du in den drei Legislatur-
perioden geleistet hast, das hätte ich und so manche andere Frau
auch leisten können."

„So!" sagte er spöttisch. Das machte mich nur noch
wüthender.

„Jawohl", fuhr ich fort, „es ist doch keine so große Hel-

Ein gefährlicher Mensch.

Tiefsinnige Moralgeschichte von Kerns ZlllliX.

Der Barbier Jeremias Heinlein hatte sich in dem großen Dorfe
Langenreuth niedergelassen, wo er nicht nur Haare abschnitt und Bürte
abrasirte, sondern auch die Bauern zuweilen tüchtig über den Löffel bar-
bierte. Er war nämlich ein eifriger Leser des Wochenblattes, das in dem
nächsten Städtchen erschien und aus dem er seine Weisheit schöpfte. Er
hielt sich für einen politischen Kopf. Einer bestinimten Partei gehörte er
nicht an, aber er hatte die eigenthümliche Gabe, daß er über Alles rai-
sonniren konnte. Niemand konnte es ihm recht machen, die Regierung
ebensowenig als die Oppositionsparteien; er hatte eben an allem etwas
auszusezen. In einer großen Stadt hätte man ihn einfach der edlen und
weitverbreiteten Zunft der „Quasselhänse" oder „Quatschmichel", wie der
Volksausdruck lautet, eingereiht; allein die biederen Dorfbauern nahnien
Alles, was der Herr Barbier am Biertisch sagte, für lautere und tiefe
politische Weisheit,-unv so gelangte Herr Heinlein nach und nach dahin,
sich für ein politisches Original-Genie zu halten.

Ein Gensdarm aus der Stadt, der ihm einmal zuhörte, sagte zu ihm:

„Ihr seid ein Raisouueur; ein gefährlicher Mensch."

Er wollte den Barbier damit eiuschüchtern. Allein da schoß er weit
neben das Ziel. Herr Heiulein fühlte sich nun erst recht in seiner Wich-
tigkeit.

„Seht ihr," sagte er zu den Bauern, nachdem der Gensdarm sich
wieder verzogen hatte, „die Regierung hält mich für einen gefährlichen
Menschen."

Die Bauern steckten die Köpfe zusammen und sahen den Barbier
von der Seite an.

„Jawohl", fuhr Heinlein fort, „sie fürchtet sich vor mir und läßt
mich überwachen. Das kommt von meinen neuen politischen Ideen."

Thatsache war, daß der Herr Dorfbarbier eben keine politischen
Ideen hatte; allein das hinderte ihn nicht, sich bei den Bauern immer

deuthat, sich auf eine Bank zu setzen und dort, je nachdem es
die Regierung wünscht, Ja oder Nein zu sagen.

„Was nimmst du dir heraus?" brauste er nun auf.

„Freilich", sagte ich bitter, „du hast es längst verlernt,
selbstständig zu sein; du hast dir deine Gesinnung anbefehlen
lassen. Und so willst du es nun mit mir machen, wie inan es
niit dir gemacht hat. Aber ich lasse mir es nicht gefallen, denn
ich bin eine gebildete Frau."

„Du verkennst meine Verdienste, meine anstrengenden Ar-
beiten für das Wohl des Reiches", rief er zornig.

„Bah", antwortete ich, „Verdienste! Was hast du denn
gethan. Du hast genau das Bibelwort befolgt: Eure Rede sei
Ja, ja, Nein, nein! Und das ist nicht so anstrengend."

„Weib!" schrie er. Ich aber ließ mich nicht irre machen.

„Jawohl", fuhr ich fort, „ein großer Redner warst du
auch, denn wenn es im Bericht hieß: „Heiterkeit" oder „Ge-

murmel" oder „Unruhe" oder „Bewegung", dann dachte ich
immer: da ist mein Mann auch dabei. Du siehst, daß ich
von parlamentarischen Dingen denn doch auch etwas verstehe,
denn ich bin eine gebildete Frau."

„Schändlich", rief er, „meine Pflichttreue so zu verkennen!"

„Pflichttreue! Nun ja, du hast bei keiner Soiree und bei
keinem Frühschoppen des Reichskanzlers gefehlt und hast dir be-
züglich der Vertilgung des bayrischen Biers dort den Ruf einer
schätzenswerthen Kraft erworben. Alles, was du gethan, Hütte
eine jede Frau, und wäre es unsere alte Taute Katharina ge-
wesen, auch thun können, ausgenommen das massenhafte Vertilgen
bayrischen Bieres. Darin hätte ich mit dir natürlich nicht kon-
kurriren können, denn ich bin eine gebildete Frau.

„Schweige!" donnerte er.

„Natürlich", sagte ich, „das wäre dir das Angenehmste.
Darum hast du auch für das Sozialistengesetz gestimmt, denn
die Sozialisten sind die einzigen, die das Wahlrecht der Frauen
wenigstens in Betracht gezogen haben."

„Entsetzlich", schrie er jetzt mit so gellender Stimme, daß
ich erschreckt zusammenfuhr. „Also daher bläst der Wind —
mein eigenes eheliches Weib ist von sozialistischen Ideen ange-
steckt. Ich halt' es nicht aus, ich gehe davon."

wichtiger aufzuspielen. So oft ein Fremder in das Dorf kam, flüsterte
Heinlein den Bauern zu:

„Seht, das ist wieder ein geheimer Polizist, den die Regierung ab-
geschickt hat, um mich auszuspioniren. Ja, ja, die Minister lassen mich
unausgesetzt überwachen."

Und die Bauern staunten den gefährlichen Menschen an.

Indessen sollte dem Herrn Barbier seine Gefährlichkeit verhängniß-
voll werden.

Es war ihm gelungen, das Herz der Wirthin zu erobern, in deren
Wirthschaft er täglich kam und die eine wohlhabende Wittwe war. Diese
spekulirte natürlich auch darauf, daß es dem Herrn Heinlein gelingen
werde, durch fein Unterhaltungstalent Gäste anzulocken und zu fesseln.
Wenn sie den Gästen gutes Bier vorsetzte und Herr Heinlein die Gäste
mit seinen politischen Schwadronirereien über den Löffel barbierte, wäh-
rend er noch nebenbei sein Barbierhandwerk betrieb, da konnte es am
Aufschwung des Geschäfts nicht fehlen.

Die Hochzeit wurde noch eine Weile hinausgeschoben, einmal um die
nöthigen Vorbereitungen zu treffen, und daun hatte Herr Heinlein noch
etwas vor. Er hatte von einem Kollekteur im nächsten Städtchen ein
Loos zur großen Silberlotterie genommen, die in der Hauptstadt aus-
gespielt werden sollte, und hoffte sicher, etwas zu gewinnen. Damit
wollte er sein künftiges Ehegespons überraschen.

Inzwischen begann die Agitation für die Reichstagswahlen. Schon
viele Wochen lang vorher begann Herr Heinlein am Wirthstisch loszu-
ziehen. Da er nun einmal Partei ergreifen mußte, so schloß er sich der
Fortschrittspartei an und behauptete, gefährlicher als er für die Regie-
rung könne höchstens noch Eugen Richter sein.

' An sein Loos dachte er nur wenig in der Wahlaufregung. Er hatte
es in einem alten Buche geborgen und die Nummer sich ausgeschrieben.
Mitten in der Wahlagitation kam die Ziehung. Er verglich die von ihm
ausgeschriebene Nummer mit der Gewinnliste und siehe da, er hatte nichts
gewonnen. Das war schmerzlich, allein, es war nichts zu machen.

Die Wahl war vorbei, die Fortschrittspartei hatte in dem Wahlkreise,
 
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