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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 2.1885

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https://doi.org/10.11588/diglit.9079#0002
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vtr Weitung 6cs Wartainentarisrnus.

Wenn es so weiter geht, so muß der deutsche Parlamentaris-
mus zu Grunde gehen und verzweifelnd sieht sich so mancher
brave deutsche Patriot nach einem Mittel um, das ihm sein köst-
lichstes Gut, die langen Parlamentsreden, erhalten kann. Denn
wie sollten wir ohne die Lektüre von Parlamentsberichten in
Deutschland auskommen? Es war ein großes Wort, das ein
deutscher Dichter anssprach, als zu Ende des vorigen Jahrzehnts
der Türkenkrieg zu Ende ging und die saure Gurkenzeit mit ihrer
gähnenden Langeiveile über Deutschland hereinbrach. Das Wort
gestaltete sich zu einem poetischen Stoßseufzer, der also lautete:

„Gott erhalte uns den Türken
Nur noch eine kurze Frist,

Bis die Zeit der sauren Gurken
Glücklich überstanden ist;

Bis im Sommer alter Weiber
Unser Reichstag wieder schwätzt
Und dem armen Zeitungsschreiber-
Doppelt die Türkei ersetzt."

Aber wie sieht es heute aus? Wenn einmal das wahrheits-
liebendste Blatt in Deutschland, wenn einmal die „Norddeutsche
Allgemeine Zeitung" behauptet, daß das deutsche Parlanrent nicht
mehr geeignet sei, seine Aufgabe zu erfüllen, wahrlich, dann muß
es schlimm unt die Wohlfahrt und die Zukunft des Vaterlandes
stehen!

Wir wissen den Schmerz unserer Patrioten in jeder Beziehung
zu würdigen und getreu unserer Aufgabe, alle solchen Schmerzen
nach Kräften zn lindern, sind wir auch in diesem Falle in der
glücklichen Lage, ein Mittel zu gründlicher Abhiilfe Vorschlägen
zu können.

Es muß frisches Blut in den alternden Körper des Parla-
mentarismus eingeführt werden. Das steht fest und wir sind der
allseitigen Zustimmung sicher.

Aber woher dieses frische Blut nehmen? Nun, man soll auch
hier nicht in die Ferne schweifen, wo das Gute so nahe liegt.

Bei der letzten nationalliberalen Entrüstungsbewegnng sind
auch Damen auf der politischen Bildfläche erschienen. Das ge-
reifte Alter dieser Damen läßt eine bedeutende Erfahrung voraus-
setzen und Niemand wird bezweifeln, daß jene Damen mehr von

Politik verstehen, als die Reichstagsmajoritüt, welche die bekannten
20 000 Mark nicht bewilligt hat. Dies muß schon deshalb als
eine Thatsache betrachtet werden, weil die „Norddeutsche Allge-
meine Zeitung", die immer die Wahrheit sagt, an der politischen
Einsicht jener Damen nicht gezweifelt hat.

Wer hätte auch nicht freudig gerührt sein sollen durch jenen
Aufruf einiger Frauen und Jungfrauen ans Süddeutschland, in
dem sie an die Söhne erinnerten, die sie dem Vaterlande ge-
boren haben!

Das Alles gibt uns den Weg an, wie der Parlamentarismus,
der in seiner gegenwärtigen Gestalt im Untergang begriffen ist,
gerettet werden kann: Der männliche Parlamentarismus,
dessen Unzulänglichkeit nur zu klar erwiesen ist, muß durch den
weiblichen Parlamentarismus ersetzt werden,

Das ist das frische Blut, das wir in das politische Leben
des Vaterlandes einführen müssen, wenn wir wieder zu gedeih-
lichen Zuständen kommen wollen.

Mau trennt sich freilich nicht gern von liebgewordenen Ge-
wohnheiten. Wir wissen recht gut, daß es gute und brave
Berliner Weißbierbürger gibt, welche nicht gut in Schlaf kommen
können, wenn sie nicht vorher eine zweistündige Rede von Herrn
Engen Richter gelesen haben. Nun, cs kommt nur auf die Ge-
wohnheit an. Haben wir erst einige der beredten Damen, die zu
Berlin am Dönhoffsplatz jetzt allwöchentlich mehrere Male Vor-
träge über die Vorzüge der verschiedenen Fischsorten zu halten
pflegen, im Parlament sitzen, so werden wir sehen, daß es auch
beim weiblichen Geschlecht parlamentarische Heldengestalten gibt,
welche im Stande sind, den Herrn Richter in Bezug auf die
Länge der Reden noch bedeutend zu überragen. Wenn die so
bewunderungswürdigen Gestikulationen und klassischen Handbe-
wegungen des Herrn Hänel vermißt werden, so werden uns
emeritirte und in reiferen Jahren befindliche Damen vom Theater,
die sich doch sicherlich auch gerne ins Parlament wählen lassen,
dafür einen reichlichen Ersatz bieten können; ja wir glauben, daß
sie den Herrn an Pathos in der Sprechweise und an Lebhaftig-
keit der Gestikulationen noch bedeutend übertreffen können! Wenn
wir die Herren Windthorst und Kleist-Retzow durch ehrwürdige

Die geprellte Kokette.

Eine lustige und so ziemlich wahre Duellgeschichte von Kcrrrs Il'rrL.

Röschen war soweit ein ganz hübsches Mädchen, hatte ein Stumpf-
näschen und eine volle Figur und war sehr kokett. Sie trug ihre Kleiver
gern aufgeschürzt und war deshalb immer vergnügt, wenn es regnete.
Beim Tanzen machte sie die kecksten Sprünge; wenn ihre Gewänder recht
hoch flogen und die Männerwelt sich sehr dafür interessirte, war Röschen
glücklich. Man konnte auch nicht sagen, daß sie einem einzigen ihre Gunst
zugewendet hätte; sie kokettirte mit Allen und wer heute glaubte bei ihr
Hahn im Korbe zu sein, der mußte sie morgen eben so zärtlich am Arm
eines Andern sehen.

Da erschien unter ihren Verehrern ein merkwürdiges Freundespaar,
ein Schornsteinfeger und ein Müller. Trotz des Gegensatzes der Farbe,
den der Beiden Berufe mit sich brachten, waren die Beiden doch unzer-
trennliche Freunde. Zuweilen kam es vor, daß Beide in der Woche einen
Schoppen znviel tranken und sich schwankend als treue Freunde gegen-
seitig unterstützten, da übertrug sich die Farbe von dem Einen auf den
Anderen und über diese treue Freundschaft wurde viel gelacht.

Diese Zwei, die recht lustige Jungens waren, machten nun Röschen
zu gleicher Zeit auch den Hof und die Kokette fühlte sich darob sehr ge-
schmeichelt, denn bald sah man, wie die Freundschaft der Beiden erkaltete,
und wenn auf einem Sonntagsball der Müller mit Röschen tanzte, wo-
bei sie kokett lächelnd zu ihm emporsah, so schoß der Schornsteinfeger
wüthende Blicke hinter dem Paar her, seufzte und goß ein Glas Grog
nach dem andern hinab. Wenn dagegen Röschen dem Schornsteinfeger
ihre Huld widmete und sich schmeichelnd in seinen Arm hing, dann wurde
der Müller grimmig und fluchte hinterher, daß ein alter Wachtmeister
hätte noch von ihm lernen können.

Die Kokette goß Oel in dies Feuer. Bald spöttelte sie bei dem
Schornsteinfeger über die Müller und bald umgekehrt, so daß die Beiden
nicht mehr mit einander kneipten und wutheutbrannte Blicke sich zuwarfen.

Eines Abends auf einem Ball der Feuerwehr, der die Beiden an-
gehörten, kam es zur Katastrophe. Röschen hatte soeben mit dem Müller
getanzt, als der Schornsteinfeger kam und sie zum Tanz verlangte. Der
Müller sagte, Röschen sei für die nächsten Tänze vergeben.

„Das geht so nicht weiter," sagte der Müller, einen ganzen Schoppen
hinabgießend, und den Schornsteinfeger grimmig fixirend. „Wenn Du
mich nicht in Ruhe läßt, werde ich Genugthuung fordern."

„Gut," sagte der Schornsteinfeger, „ich stehe zur Verfügung."

„Wenn Du nicht zu feige bist!" „Nun, Du wirst erst recht noch
zeigen müssen, daß Du Courage hast."

„Du bist ein falscher Freund!" „Und Du ein Undankbarer!" „Und
Du ein Feigling!" „Und Du ein Ehrabschneider!" So ging das Wort-
gefecht, das Vorspiel ernster und blutiger Affairen, hin und her und die
beiden feindlichen Brüder bekamen von dem vielen Reden und Schreien
einen gewaltigen Durst, den zu löschen sie sich zugleich eifrigst bemühten.
Bald stieg ihnen der Wein zu Kopf und sie schwankten dermaßen, daß
sie sich kaum mehr auf den Füßen halten konnten. Es mochte etwa elf
Uhr Nachts sein.

„Nicht wahr, elender Tropf," stotterte der Müller, der den Zungen-
schlag hatte, „jetzt ließest Du Dich gerne von mir nach Hause führen,
wenn Du auch dabei vom Mehlstaub ganz weiß würdest?"

„Haha!" lallte der Schornsteinfeger, „Du würdest dabei mehr schwarz
werden, als ich weiß."

Man lachte den Müller aus und das ärgerte ihn: Wuthentbrannt
rief er:

„Diese infame Beleidigung fordert Blut!

„Du und Blut!" höhnte der Schornsteinfeger.

„So fordere ich Dich hiermit auf krumme Säbel," brüllte nun der
Müller.

„Gut, fechten wir die Sache gleich aus!" sagte der Andere.

Sie gingen oder schwankten vielmehr aus dem Saal. Den Bewohnern
des guten kleinen Städtchens W., wo diese Sache vorfiel, däuchte diese
Sache sehr ernst und gefährlich. Sie hatten in Romanen viel von Duellen
mit blutigem, ja tödtlichem Ausgange gelesen und nun sollte bas freund-
liche W. womöglich der Schauplatz eines vorbedachten Mordes werden!

Nur Röschen war so vergnügt wie immer. Ein Duell um ihret-
wegen — wie interessant mußte sie da der ganzen Männerwelt erscheinen!
Die Affaire kam dann in die Zeitungen und wer weiß, welche Freier da
erscheinen mochten, um die Schöne zu freien, um derentwillen junge
Männer sich mit dem Mordstahl anfielen!

Indessen legte sich die Aufregung und man tanzte weiter. Da trat
 
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