Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 2.1885

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9079#0041
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

itäAli'.uV'lr-mrintm

- 138 -

Wev soll ^ofifift treiben?

Man weiß, daß jüngst die „Norddeutsche Allgemeine
Zeitung" gelegentlich der in Darmstadt stattgefundenen Lehrer-
versammlung schrieb, die Lehrer sollten keine Politik treiben. An-
läßlich dessen hat ein hochangesehener konservativer Parla-
mentarier einen Brief an die Redaktion der „Nordd. Allg. Zei-
tung" gerichtet, in dem er sich über jene Angelegenheit aussprach.
Zugleich schrieb er einen groben Brief an den „Wahren Jacob",
wegen der in unserer letzten Nummer enthaltenen pikanten Ent-
hüllungen über eine geheime Verhandlung konservativer Abgeord-
neter in Bezug auf die Diätenfrage. Aber dem Herrn passirte
das Unglück, daß er beim Einschluß die Briefe verwechselte, und
so ging der grobe Brief an die „Nordd. Allg. Ztg.", der vertrau-
liche Brief an jenes Blatt aber gelangte an uns. Man wird uns
die kleine Indiskretion verzeihen, wenn wir den Wortlaut des
Briefes veröffentlichen. Der Brief lautet:

„Hochgeehrter Herr Redakteur!

Sie haben den Schulmeistern, die sich in die Politik einmischen
wollen, tüchtig den Standpunkt klar gemacht, und das ist recht,
denn die Frage, wer eigentlich Politik treiben soll, ist in unserem
Vaterlande noch viel zu wenig erörtert worden, trotzdem sich so
viele Unberufene, als da sind Literaten, Handwerker und sogar
Arbeiter — wer hätte so etwas für möglich gehalten? — in die
Politik hineinmischen. In Wien hat man jetzt auch einen Schnei-
der in den Reichsrath gewählt — ich bin ordentlich erschrocken.
Allein man darf sich nicht dabei begnügen, zu sagen, wer keine
Politik treiben soll; man muß auch sagen, wer berechtigt ist, Politik zu
treiben. Im Allgemeinen ist meiner Meinung nach dazu berechtigt:

1) Der Herr Landrath, welcher schon kraft seines Amtes von
politischen und wirthschaftlichen Fragen am Meisten versteht. Der-
selbe hat namentlich bei Wahlen seine Ansicht kundzuthun und sich
öffentlich dafür auszusprechen, welcher von den aufgestellten Kan-
didaten gewählt werden soll. Wem die Autorität des Herrn Land-
raths in einer solchen Frage nicht genügt, der weiß nicht, was zum
Heil des Vaterlandes erforderlich ist.

2) Der Herr Pfarrer, welcher seinen Pfarrkindern bei jeder
Gelegenheit in'S Gewissen zu reden und ihnen zu zeigen hat, wie
alle Schäden der Zeit nur daher kommen, weil die Oppositions-
parteien dem religiösen Sinn zu viel Abbruch thun. Dafür ge-
bührt ihnen zeitliche und ewige Strafe. Wenn die Kräfte des
Herrn Pfarrers nicht mehr ausreichen, kann ja die Frau Pfarrerin

aushelfen und in katholischen Gemeinden wird die Köchin des Pfarr-
hauses nur ihre Pflicht thun. wenn sie die Pfarrkinder so viel sie
kann auf die Verderbniß dieser Zeit aufmerksam macht und die
Sünder zur reuigen Umkehr bewegt.

3) Der Herr Bürgermeister oder Ortsvorsteher, der
kraft seines Amtes die nöthige Einsicht hat. Bei den vielen schwie-
rigen Angelegenheiten, die solch' ein Gemeindeoberhaupt zu erledi-
gen hat, darf er nie vergessen, zu betonen, daß alle Schäden in
Staat und Gesellschaft nur von den Oppositionsparteien herrühren.
Wenn einmal das Gemeindeoberhaupt zu sehr beschäftigt sein sollte,
so kann die Frau Bürgermeisterin in ihren Kaffeekränzchen sich
gegen destruktive Tendenzen aussprechen. Auch die Schreiber auf
dem Rathhause können sich um das Vaterland verdient machen,
wenn sie im Verkehr mit dem gewöhnlichen Volke vor den Ge-
fahren der Opposition warnen. Wenn sie auch manchmal noch sehr
jung sind, so gibt ihnen doch ihre Stellung die nöthige Einsicht.

4) Der Herr Gensdarm, der am Besten weiß, daß alle die
Personen, die er der Kriminaljustiz überliefert, nur durch die
Grundsätze der Oppositionsparteien zu ihren gesetzwidrigen Hand-
lungen verführt worden sind. Beim Anblick eines solchen energi-
schen Vertreters der öffentlichen Sicherheit erwachen in der
Brust eines guten Staatsbürgers immer die besseren Gefühle;
man wird ebenso gut daran sein, wenn der Herr Gensdarm
namentlich den Wählern auf dem Lande klar macht und an Bei-
spielen zeigt, wohin die Grundsätze der Oppositionsparteien führen.

5) Der Herr Polizeidiener, der sich bewußt sein muß, daß
er auch für die politische Sicherheit des ihm unterstellten Gebiets
verantwortlich ist, und daher wie dazu geboren ist, bei der Bekämpfung
des überall sich einwühlenden Oppositionsgeistes behilflich zu sein.

6) Schließlich kann auch auf den Dörfern der Nachtwächter
angewiesen werden, wenn er in der Nacht vor einem Wahltag in
sein Horn stößt, zu rufen: „Bewahrt das Feuer und das Licht,
Und wählet keinen Oppositionsmann nicht!"

Was sonst, geehrter Herr Redakteur, noch Politik zu treiben
hat, das können nur Ausnahmen sein.

Ihr ergebener. v. Ratzow."

Also lautet das Schreiben. Wir sehen die tiefe Wahrheit der
darin enthaltenen Grundsätze ein und gestehen tief bewegt, daß
auch wir manchmal Politik getrieben haben, obwohl wir nichts
davon verstehen. Wir wollen es auch gewiß nicht wieder thun.

Per Kerr Professor in Wöthen.

Eine wahre Geschichte von Kcrns Ikux.

vr. Mückenfang war Privatdozent der Philosophie an der kleinen
Universität H. und befand sich soweit ganz wohl. Er war das Urbild
eines deutschen Professors, arbeitete am hellen Tag bei Licht in einem
dunkeln Zimmer und kannte sich im alten Athen und im alten Rom besser
aus als in seiner Vaterstadt. Er war unverheirathet und hatte einen
ungeheuren Respekt vor seiner Haushälterin, einer stämmigen Person in
den Vierzigen, die Katharina hieß und einen Anflug von Schnurrbart
hatte. Katharina regierte in dem Hause des vr. Mückenfang so ziemlich
unumschränkt; wenn der Herr Professor sich je einmal in häusliche An-
gelegenheiten mischen wollte, so fertigte sie ihn kurz ab mit den Worten :
„Sie mögen wissen, was in Ihren alten Büchern steht; von meinen
Angelegenheiten verstehen Sie Nichts." — Und der Herr Professor nahin
dann die Schöße seines Schlafrocks zusammen und trabte kleinmüthig in
sein Studirzimmer. Indessen vertrugen sich die Beiden im Allgemeinen,
bis die „tollen Jahre" 1848 und 1849 kamen. Der Herr Professor hatte
sehr konservative Anschauungen; Katharina aber war eine eifrige Demo-
kratin, denn sie hatte einmal einen Schatz gehabt, der Demokrat gewesen
war und ihr seine Ansichten beigebracht hatte. Das gab nun viel Anlaß
zu hitzigen Debatten zwischen den Beiden und der Herr Professor sah sich
zu seinem Schrecken von der zungenfertigen Katharina häufig außer Ge-
fecht gesetzt.

Im Sommer 1849 lagerte eine Abtheilung der badischen Jnsurrektions-
armee bei dem Städtchen H. und der Herr Professor fand kaum Worte,
um seinem Zorn gegen diese „gotteslästerliche Rotte" Lust zu machen.
Katharina dagegen nahm die Revolutionssoldaten in Schutz. Als sie
ihnen aber auch Wein und belegte Brödchen vor das Thor bringen wollte,
da wurde der Herr Professor wüthend.

„Das verbitte ich mir!" schrie er.

„Und ich thue, was ich will!" sagte kaltblütig Katharina.

„Wenn Sie so fortfahren, können wir nicht mehr bei einander
bleiben!" rief er.

„Daran liegt mir gar Nichts!" sagte sie, denn sie wußte, daß er seine
Drohung nicht ausführen würde.

„So!" schrie er.

„Jawohl!" antwortete sie; „Seien Sie froh, wenn ich den Frei-
schaaren nicht mittheile, welch ein Reaktionär Sie sind; man würde Sie
wahrscheinlich hängen oder erschießen." Damit verschwand sie.

Katharina hatte es mit ihrer Drohung natürlich nicht ernst gemeint
und die Freischaaren hatten sicherlich wichtigere Dinge zu thun, als sich
mit dem Herrn Professor der Philosophie zu beschäftigen. Allein der
brave vr. Mückenfang nahm die Sache sehr ernst und als Katharina fort
war, überfiel ihn eine unbeschreibliche Angst. Wie, wenn dies Weib ihn
wirklich den Rebellen als einen Reaktionär denunzirte? Er las nur kon-
servative Blätter, die nie ermangelten, die Insurgenten als „Räuber"
und „Banditen" darzustellen und Alles, was diese Blätter zusammen-
logen, glaubte der vr. Mückenfang aufs Haar. Es stand ja gedruckt zu
lesen da.

Je mehr er sich den Fall überlegte, desto bedenklicher kam ihm die
ganze Angelegenheit vor. In wenig Tagen mußten die Preußen in H.
sein; allein welche Gewaltthaten konnten die Freischaaren noch bis dahin
gegen einen Professor der Philosophie ausüben. Da gab es nur einen
Ausweg: Flucht, und zwar schleunige Flucht!

Aber wie fliehen? Der Herr Professor wußte zwar einen Zufluchts-
ort hoch im Gebirge, bei einem Studiengenossen, dessen friedliches Dörf-
chen die Wogen der Revolution noch nicht berührt halten. Aber um
dahin zu gelangen, mußte der Herr Professor den Fluß, an dem H. liegt,
überschreiten, und die Brücke war von den Freischaaren besetzt.

Da durchzuckte des Herrn Professor Kopf ein rettender Gedanke.

„Ich hab's!" rief er und eilte schleunigst nach der Kammer, in der,
wie er wußte, seine Haushälterin ihre Garderobe aufbewahrte. Hier
öffnete der Herr Professor einen Schrank und warf ein Hemde, einen Unter-
rock, Damenbeinkleider, Korsett, Oberkleid, Schürze, Haube und was sonst zu
den Herrlichkeiten der Toilette einer älteren Dame damals gehörte, heraus.
Sofort stürzte er sich in die neue ungewohnte Gewandung. Die Röcke
waren etwas kurz, da der Herr Professor von bedeutend höherer Statur
war als seine Katharina; dafür aber zog er ein Paar von ihren neuen
schneeweißen Strümpfen an. Freilich schlotterten die Strümpfe um die
dürren Waden des Herrn Professors.

In einen Handkorb that er sodann die nothwendigste Wäsche für sich
und machte sich auf den Weg. Es war gegen Abend und begann schier
zu dämmern und Herr Mückenfang hoffte, daß man ihn nicht allzusehr
beachten werde. Allein kaum hatte er seine Wohnung hinter sich abge-
 
Annotationen