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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 4.1887

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https://doi.org/10.11588/diglit.9080#0033
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3<

Die Irr sek der KkücKkictzerr.

p? Eine staatsmännliche Vision.

§ war einmal ein Staatsmann, der galt für sehr klug und
mußte es auch sein, denn er fand es nach und nach sehr lang-
weilig in dem alten Europa. Die stete Kriegbereitschaft der
^ Staaten und die stete Kriechbereitschaft der Reptilien und der
Spießbürger waren ihm zuwider geworden; die mit Hypotheken belade-
nen Häuser und Grundstücke gefielen ihm so wenig wie die mit Touruüren
und „Culs" beladenen Damen; auch hatte er sich vergeblich bemüht,
Professoren, Banquiers und Nachtwächter abzuschaffen.

Da saß er eines Abends in seinem großen Lehnstuhl und sann und
sann und weitab schweiften seine Gedanken, endlich aber stieg ihm eine
Idee auf. Ja, auswandern wollte er aus diesem langweiligen Europa
und zwar sogleich. Er wollte sich ein Land suchen, eine Insel, wo die
Menschen noch nicht mit der Verderbniß des alten verfaulten Europa
behaftet sind, und nicht einmal seine Gattin wollte er mitnehmen, denn
auch sie trug eine Tournüre.

Und ehe er sich dessen versah, befand er sich auf einem großen
Dampfer, der lustig mit seinem glänzenden Bug die schäumenden Wogen
der See durchfurchte. Wohin es ging, das kümmerte unseren Staats-
mann nicht, denn er fühlte, daß man schon an der ersehnten Insel lan-
den werde, sobald es Zeit. Und richtig, nachdem man einige Tage lustig
in die Südsee hineingedampft, da kam sie in Sicht. Schroffe Felswände
stiegen aus der See auf, an denen die Brandung emportoste. Nur ein
einziger Hafen war da und der Dampfer lief ein. Man blickte in eine
herrliche Landschaft mit zackigen Gebirgen und grünen Thälern; durch
die Thalgründe wanden sich silberklare Flüsse, deren User mit herrlichen
Palmenhainen bedeckt waren. Die Eingeborenen wohnten in Hütten aus
Palmstämmen, die kunstlos und zierlich gefügt waren, auch durchaus ge-
nügend erschienen, denn hier herrschte ewiger Frühling.

Man setzte den Staatsmann an das Land und der Dampfer stach
eilig wieder in See. Bald sah man ihn am fernen Horizont verschwinden.

Die Ankunft des berühmten Staatsmanns schien man erwartet zu
haben, denn die Eingeborenen befanden sich am Landungsplätze. Man
empfing den Fremden mit einer lieblich klingenden Musik und einem Ge-
sang, der von jungen Mädchen sehr melodisch ausgeführt wurde. Von
Militär war nichts zu sehen; auch keine Reporter waren zugegen und
der Staatsmann merkte bald, daß es keine Zeitungen gab. Die Ein-
geborenen erschienen ihm als ein fröhliches und harmloses Naturvolk.
Bei den Damen war von Touruüren nichts zu sehen, denn sie trugen
nur Perlenschnüre um den Hals und zierliche Schürzchen aus den Blät-
tern der Kokospalme. Man führte den Gast in eine Hütte aus schön-
gezimmerten Palmstämmen und hieß ihn sich auf ein Lager von Palm-
blättern sich strecken. Die hübschesten Töchter des Stammes waren ge-
schäftig, ihn zu bedienen; man setzte ihm ein wohlschmeckendes Getränk
aus gegohrenem Fruchtsaft vor. Unser Staatsmann fühlte sich recht be-
haglich, als er einmal seine Lakaien und was drum und dran hing, so
recht entbehren konnte.

Welch glückliches Land! sagte er zu sich. Auf diesen hübschen Palm-

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Häusern lasten keine Hypotheken und die Nahrungsmittel sind hier zu
Lande schwer zu verfälschen. Wenn es mir gelingt, in diesem glücklichen
Lande meine Regierungsgrundsätze durchzusühren, dann wird es ein
Paradies auf Erden. —

Den nächsten Morgen ward der Fremdling in die Rathsversamm-
lung geführt. Sie bestand aus lauter ehrwürdigen Insulanern und der
Aelteste führte den Vorsitz.

„Sei uns gegrüßt, edler Fremdling", sagte er freundlich. „Wir
sind glücklich. Dich in unserer Mitte zu sehen und harren dessen, was
Deine Weisheit uns verkünden wird."

Der Staatsmann verneigte sich, eine Bewegung, die von den Insu-
lanern nicht recht verstanden wurde.

„Ich denke Euch glücklich zu machen", sagte er, „aber dazu müßt Ihr
mir die Regierung Eures schönen Landes übertragen."

„Was ist das? Wir verstehen das nicht", meinte der Aelteste.

„Nun, ich will Eure öffentlichen Angelegenheiten verwalten."

Die Insulaner sahen sich erstaunt an und ein feierliches Stillschweigen
erfolgte. Dann frug der Aelteste:

„Wie willst Du das anfangen?

„Nun", sagte der Staatsmann, „indem ich Euch Gesetze gebe."

„Was ist das?" frug wieder sanft der Aelteste.

„Das sind Vorschriflen, nach denen Ihr Euch Alle zu richten habt."

Wieder sahen sich die Insulaner betroffen an. Der Staatsmann
aber fuhr fort:

„Mit diesen Gesetzen werde ich die Vortheile der europäischen Kultur
in Euer Land bringen. Wenn Ihr nur mäßige Steuern und Abgaben
bezahlen wollt, so werde ich viel leisten können."

Die Insulaner schwiegen. Aus einer Ecke der Hütte aber fuhr eine
Gestalt empor, die bis dahin schweigend dort gesessen und die der Ver-
sammlung den Rücken zugekehrt hatte. Es war die weise Frau des
Stammes, ein altes Weib, das man hoch verehrte und das großen Ein-
fluß besaß. Sie stürzte mit flammenden Augen herbei.

„So erfüllt sich, was ich im Traume sah. Es wird Einer kommen
und Euch Vorschriften machen wollen, wofür Ihr ihm Tribut zahlen
sollt. Er will uns unglücklich machen. Ich aber will ihm die Augen
auskratzen."

Die Insulaner zollten der Alten Beifall und man stürzte sich auf
den Staatsmann, er sah sich verloren — da schlug ein helles Gelächter
an sein Ohr, er fuhr auf aus seinem Traum und sah seine Gattin vor
sich stehen.

„Ah", sagte er, „wie kommst Du unter die nackten Wilden?"

Sie lachte wieder. „Erst fuchtelst Du mit den Armen wie toll um-
her und nun redest Du irre. Komm, wir gehen in's Theater."

Der Staatsmann hatte Kopfweh, aber er ging mit. Man gab
Wallenstein's Lager. Der Staatsmann war zerstreut; nur als der Name
Oxenstierna an sein Ohr schlug, da fiel ihm ein, daß dieser Kollege zu
seinem Sohn gesagt hat: „Du weißt nicht, mein Sohn, mit wie wenig
Verstand die Welt regiert wird!"

Und dieser Spruch wollte unserem Staatsmann gar nicht mehr aus
dem Sinn kommen.

Die Armenunterftühung.

,_f—, Eine sonderbare Geschichte, erzählt von A. Mcrreck.

A^Ler Maurermeister Theuerkopf war ein Spießbürger und Philister in
JP* I des Wortes verwegenster Bedeutung. Seine Sorge um die Erhal-
tung des Staates, den er durch jede Arbeiterversammlung bedroht
wähnte, war groß. Er wurde deshalb auch von seinen Mitbürgern
in einer Vorstadt der Großstadt H., wo er wohnte, hoch geschätzt und
darum übertrugen sie ihm mehrere Aemter, die ihn in den Stand setzten,
den vermeintlichen staatsgefährlichen Bestrebungen eutgegenzuwirken. Er
hatte sich vom armen Maurergesellen zum reichen Maurermeister hinauf-
gearbeitet; das wußte alle Welt. Viele wollten behaupten, daß seine Ver-
gangenheit nicht ganz tadellos sei. Doch darüber war nichts Genaueres
zu erfahren; wer recht reich ist, der wird nicht so genau angesehen wie
ein Anderer.

Des Schreibens war Theuerkopf gänzlich unkundig. Seine sämmt-
lichen schriftlichen Arbeiten ließ er von zwei Komptoiristen, die bei ihm
im festen Engagement waren, Herstellen. Um nicht von ihnen hinters
Licht geführt zu werden, ließ er sie durch seine einzige Tochter Anna, die
17 Jahre alt, blond und recht hübsch war, kontroliren. Das allerdings war
gefährlich, aber was sollte Theuerkopf sonst machen? Der erste der Komp-
toiristen, August Kling, ein recht schmucker junger Mann, verblieb in den
Geschäftsstunden immer im Komptoir, während sein Kollege öfter Aus-
gänge besorgen mußte. Theuerkopf war selten im Komptoir anzutreffen.
Er frequentirte meistens ein in seiner Nachbarschaft befindliches Restaurant
und ließ es sich dort beim Wein sauer werden. Wenn August allein im
Komptoir anwesend war, nahm Anna gewöhnlich die Kontrole vor. Nicht
nur dabei blieb es, sondern es hatte sich zwischen ihr und August ein
Liebesverhältniß entwickelt und die Kontrole bestand oft nur im Zählen
der Küsse. Sie wollten sich auch heirathen, wenn der Alte es zugeben
würde, was aber nicht anzunehmen war, da August kein Vermögen be-
saß und Theuerkopf mit seiner Tochter hoch hinaus wollte. Nebendem
hatten schon der Vorsteher des statistischen Amts in H. und ein feiner
Kaufmann um Anna's Hand sich beworben und die Zu- oder Absage

sollte baldigst erfolgen. Liebende aber sind in solchen Fällen schlau uub
energisch; so thaten es auch Anna und August.

Wie schon bemerkt, bekleidete Theuerkopf mehrere Aemter, darunter
war auch das eines Armenvorstehers. Das war ein recht passendes Amt
für ihn. Sich bei den Arbeitern beliebt zu machen, um die sozialistischen
Umtriebe bekämpfen zu können, stellte er sich als Hauptaufgabe. Bei der
letzten Reichstagswahl sollten nun in der Vorstadt, die in mehrere Wahl-
bezirke getheilt war, eine große Anzahl Wähler wegen Armenunterstützuug
von der Wahl ausgeschlossen werden. Unserem Theuerkopf wurden vom
statistiscben Amt die Wählerlisten, die bereits zur öffentlichen Einsicht aus-
gelegen halten, zugestellt, um Diejenigen, die Unterstützung empfangen
hatten, anzumerken. Die Arbeit wurde August übertragen, und Anna
sollte sich nach Ausführung derselben von ihrer Richtigkeit überzeugen.
Dieser Akt sollte verhängnißvoll für Theuerkopf werden.

„Wollen wir zum Ziele kommen," sagten sich August und Anna, „so
muß der Alte erst klein gemacht werden." Ein Plan wurde sofort ent-
worfen. Die Wählerlisten sollten das Mittel zum Zwecke bilden.

Statt nun in die Listen die Namen Derjenigen, die wirklich Armen-
unterstützung erhalten hatten, einzutragen, merkten sie die Namen Anderer,
die der begüterten Klasse angehörten und Theuerkopfs Freunde und Be-
kannte waren, an. Am Wahltage durfte Theuerkopf nicht anzutreffen
sein, dafür mußte gesorgt werden.

Anna, sein einziges, ihm sonst stets gehorsames Kind, liebte Theuer-
kopf über alle Maßen. Keine Bitte schlug er ihr ab und als sie bat,
am Wahltage — es war gerade der Todestag ihrer Mutter — mit ihr
nach dem weit entfernten Friedhof, wo die Mutter ruhte, zu wallfahrten,
willfahrte er, wenn auch mit Zögern. Doch machte er es sich zur Be-
dingung, schon gleich nach Eröffnung des Wahlaktes zu wählen. Nach
dem Besuch auf dem Friedhof wollte man eine Landpartie machen.

Der Wahltag kam heran, Theuerkopf wählte als erster Mann in
seinem Bezirk und fuhr dann mit seiner Tochter fort nach dem Fried-
hof, um erst spät wieder zurückzukehren.

Die Freunde und Bekannten Theuerkopfs begaben sich, Einer nach
dem Andern, lustig an die Wahlurne, aus der ihr Kandidat, ein reicher
Kaufmann, durch ihre Stimmenabgabe und durch die Fürsorge Theuer-
 
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