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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 4.1887

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https://doi.org/10.11588/diglit.9080#0071
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Eine Anzapfung des Kerrvn Krnspr.

Von Fritz Wuppdich.

ie ungeheuerlichen Berichte, welche von der Presse über die
Konferenzen zwischen Bismarck und Crispi veröffentlicht wor-
den sind, bestimmten mich, selbst eine Unterredung mit dem
italienischen Minister herbeizuführen, um die Gerüchte auf
das wahre Maß zurückführen zu können. Die Durchfahrt durch den
Gotthardtunnel schien mir der geeignetste Moment zu sein, um Herrn
Crispi auzuzapfen, oder zu interviewen, wie es in der modernen Zeitungs-
sprache scheußlicherwerse heißt.

In Göschenen ließ ich meine Karte durch den dienstthuenden Kon-
dukteur überreichen. Nacb wenigen Sekunden erschien Herr Crispi an der
Koupeethüre, die er eigenhändig öffnete und mich mit dem verbindlichsten
Lächeln einlud, einzusteigen. Bald hatte uns der schwarze Schlund ver-
schlungen und wir konnten — nachdem unsere Zigarren in Brand gesetzt
worden waren — im Dunkeln an zu munkeln fangen.

Im Nachstebenden gebe ich die Unterredung wörtlich wieder.

Crispi: „Sehr nett von Ihnen, Herr Wuppdich, mir auf eine halbe
Stunde Gesellschaft leisten zu wollen."

Wuppdich: „Bitte, bitte, — ich komme nur meiner Pflicht als.An-
zapfer des „Wahren Jakob" nach, der seinen Lesern etwas über Ihre
Verhandlung mit Bismarck mittheilen möchte. Ich nehme an, daß die
Berichte der deutschen Zeitungen sämmtlich verlogen sind."

Crispi: „Det stimmt im Jroßen und Janzen!"

Wuppdich: „Wie denken Sie und Bismark über Bulgarien?"

Crispi: „Bleiben Sie mir mit Bulgarien vom Leibe! Bei der
Besprechung dieser Frage ist Bismarck die Pfeife ausgegangeu und mir
mein Glas echtes Münchner sauer geworden!"

Wuppdich: „Da hätten Sie sofort einen Nordhäuser trinken
müssen."

Crispi: „Ist auch geschehen, Herr Wuppdich."

Wuppdich: „Also mit Bulgarien steht's faul? Cs ist Europas wun-
der Fleck, den man am besten sich selbst überlassen sollte."

Crispi: „Det stimmt im Jroßen und Janzen. Aber die Groß-
mächte können einmal, ohne sich ab und zu die Finger zu verbrennen,
nicht leben."

Wuppdich: „Es soll also doch losgehen?"

Crispi: „Es wäre schon lange losgegangen, wenn eine gewisse Je-
mand nicht die Hosen anhätte."

Wuppdich: „Jh, und die wäre?"

Crispi (flüstert jetzt so leise, daß ich nur noch die Worte vernahm):
„Sehen Sie, det stimmt im Jroßen und Janzen."

Wuppdich: „Gestatten mir Exzellenz eine Frage. Wie kommen Sie
als geborener Römer zu dem klassischen altpreußischen Ausdruck: Det
stimmt im Jroßen und Janzen?"

Crispi: „Nichts einfacher als das. Wer mit Ihrem Reichskanzler
einige Stunden verkehrt, verliert seine eigene Meinung: Er muß ihm
,im Jroßen und Janzen' zustimmen, denn so lautet die offizielle Zustim-
mungsformcl."

Wuppdich: „Ach so! Im entgegengesetzten Falle wird wohl der an-
genehme Verkehr aufgegeben?"

Crispi: „Det st .... So ist es!"

Wuppdich: „Man sagt, Sie hätten in Bezug auf die Verfolgung
der Sozialdemokraten internationale Beschlüsse gefaßt. Darf man etwas
Näheres darüber erfahren?"

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Crispi (unruhig und ausweichend): „Wissen Sie, wir Italiener sind
immer mit dem gegangen, der die größten Stiefeln anhatte, aber in punkto
der sozialen Frage haben wir unsere eigene Meinung. Wir haben sie
übrigens durch die Musik gelöst."

Wuppdich: „Sie meinen, durch die gute Qualität Ihrer Dreh-
orgeln?"

Crispi: „Ich bewundere Ihren Scharfsinn. Ja, die Leidenschaft
für die Musik treibt unsere Armen aus dem Lande."

Wuppdich: „Leider bin ich noch immer ohne Aufklärung, wie die
Beschlüsse ausgefallen sind. Sie werden es begreiflich finden, daß ich und
die Leser des „Wahren Jakob" ein lebhaftes Interesse daran haben."

Crispi: „Ah, aus dem Loche pfeifen Sie? Ich werde Ihre Neu-
gierde sogleich befriedigen. (Der Zug hält mittlerweile bereits auf italieni-
schem Gebiete. Crispi ruft einen Gensdarmen): „Verschütten Sie mir
mal diesen unangenehmen Menschen!"

Wuppdich (mit Handschellen): „Also nach dieser Richtung haben
Sie in Friedrichsruhe beschlossen?"

Crispi: „Det stimmt im Jroßen und Janzen!"

Ein theurer Schuß.

Wir haben staunend oft gelesen
Und wie ein Märchen kam's uns vor,
Wie theuer jeder Schuß gewesen
Aus einem Krupp'scheu Riesenrohr.

Doch schleudern sie auch Zuckerhüte
Aus Stahl, die manchen Zentner schwer;
Was kosten Schüsse „letzter Güte"

Aus einem Repetirgewehr?

„So eine lump'ge blaue Bohne,

Was kann die kosten? Einen Quark!"
Zuweilen ist auch sie nicht ohne
Und kostet — fünfzigtausend Mark.

Verschiedene Ansichten.

§orc6 is no remedy*) — meinte Gladstone; der Hamburger Senat
war entgegengesetzter Ansicht, als er die Bürger-Zeitung unterdrückte. —
Wer hat nun Recht?

*) Gewalt ist kein Heilmittel.

„Les chiens qui aboient ne mordent pas.“

Nachdem er gut und mehr als gut getrunken
Und ihm der Kopf bedenklich schon geglüht,

Hat da ein Großfürst prahlerisch die Funken
Zarischen Geistes in die Welt gesprüht.

In Frankreichs Heeren will der Deutsckienfresser
Die Waffen tragen, droht er in den Wind,

Als hätte Frankreich Krieger nicht, die besser
Und nüchterner als dieser Großfürst sind!

Ihm wäre gut, er nützte Ort und Stunde
Und prägte reiflich, was der Volksmund spricht,

Dem Schädel ein. Das Sprichwort sagt: „Die Hunde,

Die da am meisten bellen, — beißen nicht."

Geboren, Wohlgeboren und tzochwohlgeboren.

Eine wahre Geschichte.

Zur Zeit der Kämpfe gegen fremde Unterjocher, welche wir durch
den Namen Freiheitskrieg zu bezeichnen pflegen, war die kleine deutsche
Residenz Groß-Brettkopf vom Feinde fast gänzlich zerstört worden. Später,
nachdem sich der Feind entfernt hatte, zogen die den Schrecken des Kriegs
entflohenen Groß-Brettkopfer, den Bürgermeister und die Senatoren
an ihrer Spitze, wieder in der von ihnen verlassenen Stadt ein. Sie
fanden Se. Durchlaucht den Fürsten und ungefähr drei Dutzend Adelige
bereits zurückgekehrt. Aber die Freude, so viele theure Leben erhalten
zu sehen, wurde beinahe durch den Anblick der Gräuel erdrückt, durch
welche der Feind der Chronik von Groß-Brettkopf das erste interessante
Kapitel geliefert. Man eilte vor allen Dingen nach dem Polizeigebäude
und rang die Hände über dessen Zerstörung. Sämmtliche Akten, welche
in den schönen Friedenszeiten die erste Etage bewohnt hatten, waren ver-
brannt, und die ehrwürdigen Bildnisse der Bürgermeister waren durch
den Rauch derart zugerichtet worden, daß sie Niemand erkennen konnte.
Selbst das hinter dem Polizeigebäude im neurussischen Stil erbaute Ge-
fängniß hatte der Feind nicht geschont: sämmtliche Thüren desselben stan-
den offen, und vier Verbrecher, welche erst drei Jahre in Untersuchung
gesessen hatten, und deren Unschuld noch gar nicht bewiesen, waren ver-
duftet. Doch diese Schmach, welche Groß-Brettkopf von fremden Unter-
drückern ertragen hatte, war noch nicht zu Ende; die Zerstörungen im
Kasino, im Theater und in den Kirchen waren grenzenlos: Das Tauf-
becken und andere Kirchengeräthschaften von Silber waren entwendet und
in dem Klingelbeutel befand sich ein falscher Groschen und ein Hosenknopf.

Der Jammer der Groß-Brettkopfer stieg aber aufs Höchste, als ein
armes Weib sie nach einer halbverbrannten Hütte führte, in welcher drei
nackte lebendige Kinder, sämmtlich Knaben, lagen, und deren Väter und
Mütter nicht aufzufinden, also wahrscheinlich um's Leben gekommen waren.
Der Bürgermeister schlug die Hände über den Kopf zusammen und rief:
„Wir hatten nur drei Wöchnerinnen im Ort! Eine war die Gemahlin des
Herrn Baron von Schimmelthal, die andere die Gattin eines Advokaten,
und die dritte die Frau eines Lohgerbers. Welches Kind ist nun Ge-
boren, Wohlgeboren und Hochwohlgeboren? Wer entscheidet hier, um ein
himmelschreiendes Unglück zu verhüten?"

Nachdem Seiner Durchlaucht und einem hohen Adel Mittheilung von
diesem merkwürdigen Ereignisse und schwierigen genealogischen Prozesse
gemacht worden, ernannte das (jeden Abend) erleuchtete Ministerium der
inneren Angelegenheiten (auswärtige Angelegenheiten hatte das glückliche
Reich nicht) eine gemischte Kommission von Aerzten, Naturforschern und
Philologen, um, wie das Reskript lautete:

„möglichst das Geboren-, Wohlgeboren- und Hochwohlgeborensein der
Kinder zu ermitteln, und denselben dadurch die ihnen gebührende Stell-
ung in der bürgerlichen, resp. adeligen Gesellschaft der Welt anweisen
zu können."

Die gelehrte Kommission beschäftigte sich täglich zwei bis drei Stun-
den mit und bei den Kindern, und reichte nach Verlauf von einem Monat
folgenden submissesten Bericht ein:

„Wir Endesunterzeichneten haben in Folge durchlauchtigsten Fürst-
und hohen Ministerialbefehls die quästionirten Kinder nach allen Seiten
und in ihren Seelen- und Leibes-Aeußerungen umständlich, mit An-
wendung aller Wissenschaft und mit aller Gewissenhaftigkeit untersucht,
müssen uns aber leider zu dem Ausspruche vereinigen:
 
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