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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 4.1887

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https://doi.org/10.11588/diglit.9080#0078
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370

Lehrreicher Brief

des Herrn Rittergutsbesitzers v. Quitzow an den Herrn v. Stritzow.

„Lieber Freund!

Die Zeiten sind schlecht. So muß ich denken, wenn ich mich an die
schöne Zeit erinnere, als wir noch jung waren und Abends nach dem
Theater mit den zwei kleinen Balleteusen in Austern und Champagner
schlampampten. Das war doch schön, nicht wahr; die meine hatte ein
grünes Seidenkleid an und ein kleines Muttermal auf dem linken Oberarm.

Jaja, die Zeiten sind schlecht. Denke Dir, wie ich mich habe ein-
schränken müssen; ich halte außer meiner Equipage nur zwei Pferde zum
Reiten und nur einen Diener.

Was mir aber am meisten Kummer gemacht hat, ist die Geschichte
mit meinem Hugo. Ein schneidiger Junge! Aber ich habe ihn nicht einmal
standesgemäß auftreten lassen können in Berlin; die Zeiten sind ja so schlecht.

Du weißt, es ist immer gut, wenn die Jungeus ein wenig über die
Stränge schlagen, wie? Haben wir auch gethan und sind famose alte
Kerls geworden, he?

Der Junge sollte mir zu den Gardekürassiren. Aber das ging nicht,
bei den schlechten Zeiten, er mußte Jurist werden. Ein schneidiger Assessor,
haha! Aber Pech, viel Pech!

Nun denke Dir, der Junge kauft sich ein theures Rassepferd, muß er
ja haben, denn er will an den Rennen theilnehmen. Das Wenige kann
er sich noch erlauben bei den schlechten Zeiten. Da fällt der Gaul und
bricht ein Bein, so daß man ihm den Gnadenstoß geben muß. Du kannst
Dir denken, wie mich das chokirte in dieser Zeit, da ich selbst in der Woche
nur einmal einen Ball oder ein Souper gebe.

Doch das ist nicht Alles. Mein Junge ist ein schneidiger Kerl, muß
auch ab und zu ein kleines Spielchen machen, damit er seine Familie
würdig repräsentirt. Weißt Du noch, wir haben ja auch manches Bänk-
chen aufgelegt. Aber mein Junge hat Pech. Er spielt keck und setzt
verwegen, schneidig mit einem Wort, wenn er auch erst Referendar ist,
der junge Herr von Quitzow. Nun, denke Dir, er verspielt mir neulich
20,000 Mark in einer Woche. Pech haben ist eine Eigenschaft, sagte
Napoleon, und mit Recht. Spielschulden sind Ehrenschulden, und nun
muß ich die 20,000 Mark bezahlen bei den schlechten Zeiten.

Ja, wenn das nur Alles wäre! Mein Junge muß auch eine kleine
Liaison haben, wenn er standesgemäß auftreten will. Habe sie geiehen,

famose kleine Soubrette, hübsche Figur, schöne Augen, Stumpfnäschen,
kokett, feurig, lustig, wie gemacht für meinen schneidigen Jungen. Hätte
bald Lust gehabt, sie ihm abzujagen, wenn nicht Furcht vorhanden, ich
müßte vor meinem Jungen den Kürzeren ziehen. Wenn ich noch dreißig
Jahre jünger wäre. Aber so! Nein, da muß man sich die Liebe ver-
kneifen, bü den schlechten Zeiten.

Sie hat mir aber auch meinen Jungen ganz verrückt gemacht, die
Hexe mit den schwarzen Augen, mit dem graziösen Gang und mit der
schönen Stimme. Schneidiges Frauenzimmer das. Aber sie brauchte
auch viel Geld und mein Junge sollte es schaffen. Champagner und
Liebe thun viel, und sie brachte es dahin, daß mein Junge einen Wechsel
von 15,000 Mark acceptirte. Es mag ihm schwer gefallen sein, dem
armen Kerl, denn er weiß, wie er und sein Vater unter der schlechten
Zeit leiden müssen. Und nun kommt das Schlimmste. Die Schlange
war nicht einmal aufrichtig in meinen schneidigen Jungen verschossen,
denn nachdem sie den Wechsel versilbert hatte, brannte sie mit ihrem
Galan, einem Balletmeister — das Gesindel hält ja, wie Du weißt,
immer wie Kletten zusammen — nach Amerika durch. Mein armer Junge
hat das Nachsehen und ich muß die 15,000 Mark natürlich bezahlen, bei
den schlechten Zeiten.

Der Junge macht mir Sorgen, aber nicht allein. Meine Tochter
soll an den Mann gebracht werden, und es hat sich einer gefunden, von
allem Adel, aber wenig Vermögen. Meine Eleonore wird alt und man
muß jetzt bei Zeiten Einen anködern, sonst bleibt sie mir sitzen, und sie
möchte doch auch nicht Aebtissin werden. Nun muß die Hochzeit so ge-
> feiert werden, damit man doch auch sieht, wer wir sind. Die Dameu-
roben und der ganze Aufwand kommen auch auf 6000 Mark, bei den
schlechten Zeilen. Ach, es niuß bald ein Aushilfsmittel gefunden werden,
alter Freund, sonst geht es krumm.

Schreibe mir bald, wie es Dir und den Deiuigen geht und ob die
Trakehner-Stute schon geworfen hat. Kann man brauchen bei den
schlechten Zeiten. Dein alter Adam von Quitzow.

P.S. Hurrah, nun sind wir schön heraus; die ganze Heulmeierei,
die ich Dir geschrieben, hätte ich nicht gebraucht. Der Landrath und
Reichstagsabgeordnete unseres Kreises war da. Wir kriegen höhere Korn-
zölle, sechs Mark für den Doppelzentner. Das bringt was ein; da kann
ich standesgemäß leben und mein Junge auch. Jawohl, das kann man
brauchen bei den schlechten Zeiten!

Keine Kahtköpfe rnehv.

Eine romantische Erzählung von Kcrns Ilu».

Herr Feuerlein war ein ganz unternehmender Mann, hatte es aber
trotzdem nicht weiter gebracht, als zum Advokatenschreiber. Er war im
Anfang der dreißiger Jahre und zeichnete sich durch einen vollständig
kahlen Kopf aus. Da er im Uebrigen sehr eitel und bestrebt war, sich
die Synipathien des schönen Geschlechts zu erwerben, so machte ihm sein
Kahlkopf vielen Kummer. Er vertiefte sich in Studien über die mensch-
lichen Kopfhaare und dachte viel darüber nach, ob denn kein Mittel ge-
funden werden könne, auf einem unbestandenen Haarboden wieder Haare
hervorzubringen. Das Schicksal ließ in seiner Laune Herrn Feuerlein
ein solches Mittel finden.

Wie das geschah, wollen wir erzählen und über den Werth des
Mittels mag der geneigte Leser selbst entscheiden.

Herr Feuerlein hatte sein Herz an eine hübsche Kellnerin verloren,
die unter dem Namen „die schwarze Anna" bekannt war und nicht wenige
Verehrer um sich sah. Herr Feuerlein war unter diesen zwar der eifrigste
und feurigste, aber er hatte auch am wenigsten Erfolg, denn die schwarze
Anna benahm sich sehr spröde gegen ihn. So reichliche Trinkgelder er
ihr auch spendete, so hübsche Sträußchen er auch ihr täglich brachte —
es ward zwar alles angenommen, aber die schwarze Anna duldete von
dem kahlköpfigen Schreiber nicht die geringste Vertraulichkeit.

Es war um die Zeit, da es neuen süßen Wein gab, der die Men-
schen so leicht berauscht. Herr Feuerlein hatte soeben wieder den Versuch
gemacht, die schwarze Anna um die Hüfte zu fassen, sie aber stieß ihn
derb, ja beinahe grob zurück.

„Hören Sie auf mit diesen Dummheiten", sagte sie ärgerlich.

„Von Anderen können Sie es doch dulden", sagte Feuerlein in-
grimmig, „warum denn gerade von mir nicht?"

„Andere haben auch keine solche Glatze wie Sie!" war die schnippische
Antwort.

„Das ist's also!" rief Herr Feuerlein voll schmerzlichen Erstaunens.

„Jawohl", meinte die schwarze Anna. Dann rauschte sie mit hoch-
müthig zurückgeworfenem Kopfe von dannen.

Herr Feuerlein gerieth in Verzweiflung ob der unglückseligen Haar-
losigkeit seines Kopfes und tobte sich zunächst an dem neuen Wein aus.
Er bekam bald einen Rausch, denn er trank weit über das gewohnte
Maß, und doch nahm sein Durst nicht ab. Während er eine Flasche
nach der andern leerte, faßte er den Entschluß, dieses schnöde Europa
zu verlassen und drüben in den Prärien Nordamerikas ein einsames
Leben als Trapper zu führen. Dort, sagte er sich, würde ihn Niemand
seines Kahlkopfs wegen belästigen. Die Indianer der Prärien tragen
ohnehin den Schädel fast ganz glatt rasirt; nur ein einziger Haarbüschel
erhebt sich auf dem Schopf. So konnte Herr Feuerlein immer noch
hoffen, irgend einem braunen Jndianermädchen zu imponiren. Dann
wollte er sich eine Hütte bauen, sich mit seiner Indianerin hineinsetzen

und sich so trösten über die schnöde Undankbarkeit und den Hochmuth der
schwarzen Anna.

Wie er sich so in diese Gedanken vertiefte und immer mehr Wein
in sich hineingoß, da schwand ihm plötzlich seine Umgebung aus deni Ge-
sicht und ihm war, als sei er bereits an die Ausführung seiner Pläne
gegangen. Was sollte ihn auch die langweilige Schreibstube seines
Advokaten fesseln; mochte der seine Aktenstücke selber abschreiben. Richtig,
das war das Stampfen und Schlingern eines großen Seeschiffs; Herr
Feuerlein schwamm auf dem atlantischen Ozean und steuerte dem fernen
Amerika zu. Bald hatte er die Prärien erreicht und siedelte sich in einer
sehr einsamen Gegend, nicht weit von einem kriegerischen Jndmnerstamm
an. Er fand auch einen Gefährten und sie lebten in ihrer Blockhütte
von dem Ertrag ihrer Jagd und von dem Handel mit dem erbeuteten
Pelzwerk. Niemand nahm Anstoß an der Glatze des Herrn Feuerlein,
die stets mit einer großen Pelzmütze bedeckt war.

Soweit ließ sich die Sache ganz gut an und alle Erwartungen des
H?rrn Feuerlein gingen in Erfüllung bis auf das braune Jndianer-
mädchen. Dieses wollte lange nicht erscheinen. Aber endlich kam es doch.

Herr Feuerlein und sein Gefährte wurden plötzlich von einer Horde
räuberischer Indianer überfallen. Während man Herrn Feuerlein von
hinten niederwarf und fesselte, wurde der andere Trapper, der sich
wüthend wehrte, mit einem Speer erstochen. Die Vorräthe der Trapper
wurden mitgenommen und das Blockhaus angezündet. Herr Feuerlein
aber wurde in das Dorf der Indianer mitgeschleppt, wo er, wie alle
Kriegsgefangenen dieses wilden Stammes, zu einem martervollen Tod be-
stimmt wurde. Man wollte ihn an langsamem Feuer braten, nachdem
man ihn skalpirt. Doch wurde die Hinrichtung des Gefangenen noch
vierzehn Tage aufgejchoben, da man ihn zu eiuem großen Feste, das nach
dieser Zeit stattfand, aufsparen wollte. Die Hinrichtung sollte den für
die Wilden anziehendsten und interessantesten Theil des Festes bilden.

Nun kam auch das Jndianermädchen zum Vorschein, denn der Häupt-
ling des Stammes, genannt die Adlerfeder, hatte eine schöne, schlank-
gewachsene Tochter, die man die Waldblume hieß. Viele Krieger des
Stammes hatten schon um Waldblume geworben, aber sie hatte alle ab-
gewiesen. Ihr Sinn stand nach etwas Besonderem, denn Waldblume
l ebte die Abenteuer. Als sie den gefangenen Fremdling sah, den weißen
Mann, fand sie ihn sehr interessant, weit interessanter, als Herr Feuerlein
in seiner etwas sehr prekären Lage hoffen durfte. Sein Kahlkopf siel ihr
nicht auf. Sie hatte Gelegenheit, ihn mehrere Male zu sehen und in ihr
reifte ein merkwürdiger Entschluß.

Bei ihrem Stamme herrschte nämlich ein alter und merkwürdiger
Gebrauch. Ein zum Tode verurtheilter Gefangener konnte nämlich da-
durch befreit werden, daß eine Tochter des Häuptlings erklärte, sie wolle
ihn zum Manne nehmen. In diesem Fall wurde der Gefangene in einen
Wigwam gesperrt und bewacht; aber die Tochter des Häuptlings hatte
jederzeit freien Zutritt zu ihm. War sie nach acht Tagen noch derselben
Meinung, dann wurde sie mit dem Gefangenen ehelich verbunden; wenn
 
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