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Wie kleine Leute Weihnachten feiern.
er kurze Dezembertag, dessen Mittagshelle eine trübe Däm-
merung war, ist zu Ende. Der Nebel, welcher wochenlang
die große nordische Handelsstadt in drückenden Banden hielt,
hat sich zertheilt und zur Freude der Fußgänger besorgt ein
leichter Frost in kurzer Zeit die endlose Arbeit der Straßenreinigung.
Auch einige Sterne blicken bereits vom dunklen Himmel, damit auch dieser
sich rüste zum Feste. Es ist heut Weihnachtabend.
An den hellerleuchteten Schaufenstern vorüber, die manch' sehnsüchtig
verlangender Blick streift, schreitet mit leichten Schritten ein junges
Mädchen, bald einlenkend in einen Stadttheil, dessen enge Straßen nur
von dem gelben, flackernden Scheine der Laternen dürftig erhellt sind.
Doch ohne Furcht eilt sie ihres Weges, hier ist sie zu Hanse, in der
Gegend der Arbeit und der Armuth, auch sie ist ein Proletarierkind. Nach
geraumer Zeit biegt sie ein in einen schmalen, überbauten Gang, der zu
den dahinterliegenden kleinen Wohnungen führt, in welche das ganze Jahr
über selten oder nie ein Heller, freundlicher Sonnenstrahl dringt.
Bald schreitet sie eine schmale Treppe hinan und erreicht einen kleinen
Vorplatz, auf welchen die Thüren zweier Wohnungen führen. Treppe und
Vorplatz sind heute blitzblank gescheuert und mit weißem Sand bestreut.
Die vor jeder Thür ausgebreitete Fußmatte erinnert die Kommenden
daran, vor dem Betreten der kleinen Behausung sich hübsch säuberlich die
Fußbekleidung zu reinigen.
Das junge Mädchen betritt schnell die Wohnung zur Rechten, bleibt
aber mit einem „Guten Abend" an der Schwelle stehen, da der Raum
vor ihr vollständig in Dunkel gehüllt ist.
„Ach, Sie sind es, Fräulein Emma", erwidert eine tief traurige
Stimme; „treten Sie näher, ich will gleich die Lampe anzünden."
„Aber, warum sitzen Sie denn noch ini Dunkeln, Frau Schubert?"
„Ja, das sagen Sie wohl, liebe Emma", seufzt die Augeredete, welche
mittlerweile Licht angezündet hatte, und nun die Besucherin in die Stube
nöthigt; „aber heute ist Weihnachtabend, und ich sitze hier mit meinen
beiden Kindern und mein Mann-" hier ging die Stimme der Frau
in Schluchzen über.
„Nun, nun", tröstet das junge Mädchen: „Sie müssen nicht den
Muth verlieren! Ihr Mann wird ja bald wiederkommen. Man hat doch
gar keine Schriften bei ihm gefunden und da kann man ihn doch nicht
immer im Arrest behalten und verurtheilt kann er erst recht nicht werden,
das hat mir noch neulich Herr Reich gesagt."
„Ach ja, Ihr Bräutigam meint das wohl —"
„Frau Schubert", sagte erröthend die hübsche Trösterin einfallend,
„wir sehen uns wohl manchmal, aber mein Bräutigam ist er noch lange
nicht! — Aber wo sind denn die Kinder?"
„Ich habe sie noch ein Bischen auf den Weihnachtsmarkt geschickt.
Fritz ist ja schon vernünftig. Ich kann ihnen nun doch nichts zu Weih-
nacht bescheeren. Wenn ich die Kinder ansehe, kommt mir stets das
Weinen an."
„Frau Schubert, werden Sie nur nicht wieder traurig und nehmen
Sie's mir nicht übel, denn ich habe hier eine Kleinigkeit für die Kinder
mitgebracht. Sie können ja sagen, das Hütte der Vater ihnen geschickt."
Mit diesen Worten legte Emma ein Päckchen auf den Tisch.
„Ach, Emma, Sie sind immer so gut, und ich weiß gar nicht, wie
ich Ihnen danken soll!"
Plötzlich ertönte draußen ein Gepolter und mit Geräusch wird die
Thür zum Vorplatze geöffnet. Eine noch rüstige Frau, einen Weihnachts-
baum tragend, tritt über die Schwelle und mit ihr zugleich ein Knabe
von zehn und ein Mädchen von sieben Jahren.
„Goden Abend, da bünn ick, de ohl Dürkoopsch! Un hier sünd de
Kinner un ok 'n Dan'nbohm, de letzte, de annern sünd all verköfft.
Schubert sin Lütten sölt hüt Wihnachen fiern, so wohr ick Dürkoopsch
heet. Un hier sünd ok de Lichter un datt Annere kümmt später!"
Damit hat die gute, etwas redselige Frau den Baum hingesetzt und
sich selber in einen alten Großvaterstuhl geworfen, der sonst wohl dem
Familienhaupte zu einem kurzen Mittagsschlummer dienen mochte. Der
Knabe hat sich unterdeß still in den Hintergrund des Zimmers zurück-
gezogen, während das kleine Mädchen sich an die Mutter schmiegt, bald
den Weihnachtsbaum, bald Emma's Packet mit neugierig verlangenden
Blicken betrachtend.
„Sehn Se", fängt ,ohl Dürkoopsch' wieder an, „sehn Se, Fro
Schubert, ick hew hüt Nacht 'n Droom hatt; 't wör mi, as wenn min
Seeliger de Trepp 'rup köm. So'n Droom geiht ümmer in Erfüllung!
Passen Se man up!"
Plötzlich pochte es und ein Herr, zugeknöpft bis an den Hals, glatt
gescheitelt und rasirt, tritt ein mit dem Spruch: „Gelobt sei der kommt
im Namen des Herrn! Guten Abend, meine verehrten Damen und ihr,
meine lieben Kinderchen!"
„De .verehrten Damen' laten Se man da mang rut, Herr Süßkind,"
sagte die alte Dürkoop so spitzfindig wie möglich. „Un nu maken Se
man Platz, 't wart mi stimm, wenn ick so'n Slieker seh!"
„Sie irren sich, meine verehrte Frau Dürkoop", sagte der etwas aus
der Fassung gekommene Süßkind; und mit einer Augenverdrehung fügte
er hinzu: „Die Gerechten werden stets verkannt".
„Ach wat, brun Kooken mag rck wohl to Wihnacht, aber so'n .ge-
rechtes' Theekookengesicht kann mi den'n besten App'tit verdarben! ' und
mit einer unzweideutigen Bewegung ließ die Alte den verblüfft drein-
schauenden Süßkind, der zu den bekannten Frommen des Stadttheils ge-
hörte, stehen.
„Wie spaßhaft die gute Frau immer ist", meinte der glatt rasirte
Besucher, „sehr spaßhaft, hi hi hi. Bin übrigens sehr erfreut, Fräulein
Emma hier zu treffen. Wenn Sie erlauben, Frau Schubert, hier habe
ich einige Bücher für die lieben Kleinen und für Sie zur Erbauung
initgebracht."
„Herr Süßkind", sagte Frau Schubert, „meinen besten Dank, aber
die Bücher" —-
„O, weisen Sie nicht zurück die gnadenreiche Hand, welche sich Ihnen
bietet. Sie sind schwer heimgesucht, aber Sie werden geführt auf den
rechten Pfad! Der Herr ist mein Hirt, mir wird nichts mangeln! Hätte
Ihr Mann auf meinen Rath gehört und sich zu der Gemeinde Zion,
anstatt zu der Rotte Korah, diesen — —"
„Halten Sie ein, Herr Süßkind! Bon meinem braven Manne er-
laube ich Ihnen nicht so zu sprechen!"
„Nun, nun, Frau Schubert, entschuldigen Sie meinen heiligen Eifer!
Ich meine es gewiß gut!"
Emma, der die Szene anfing peinlich zu werden, wendete sich an
Frau Schubert:
„Nichts für ungut, ich will nur 'mal hinuntergehen und bei meinen
Eltern „Guten Abend" sagen, später komme ich noch einen Augenblick
herauf und helfe Ihnen den Weihnachtsbaum anzünden."
„Gestatten Sie, Fräulein Emma, daß ich Sie begleite", wendet sich
Herr Süßkind an diese. Gern hätte das Mädchen diese Höflichkeit ab-
gelehnt, doch auf einen Wink der älteren Freundin ließ sie sich die Be-
gleitung stillschweigend gefallen, und der fromme Mann, sich schnell ver-
abschiedend, folgte ihr nach auf dem Fuße.
Auf dem Vorplatze zur Treppe angelangt, hält Herr Süßkind das
Mädchen an. indem er seinen Arm um ihre Hüfte legt.
„Auf ein Wort, Fräuleiu Emma", flüsterte er mit heiserer Stimme,
„erhören Sie mich; schon lange wollte ich Ihnen sagen, wie gut ich
Ihnen bin!"
Mit einer energischen Bewegung sich frei machend, entgegnete Emma:
„Lassen Sie mich, oder ich rufe um Hilfe!"
In demselben Augenblicke öffnete sich die Thür der Nachbarwohnung
und auf der Schwelle erscheint unsere Freundin, die alte Dürkoopsch,
wie sie sich selbstgefällig nennt, zu der das junge Mädchen flüchtet, in-
dem es hastig hervorstieß: „Er hat mich hier angefaßt!"
„Wat? He hett Di anfaat?" schrie die stets kampflustige Frau; „hier
an de Trepp? Süh mal, süh, Herr Süßkind, Se wöln hier wol 'n bidden
Waisenvadder speeln?!"
Der abgewiesene erschrockene Freier wollte, einige unverständliche
Worte murmelnd sich schnell empfehlen. Dürkoopsch kam ihm jedoch zuvor;
die alte thutkräftige Dame nahm den leeren Kohlensack, den sie gerade
unter dem Arm trug, wirbelte ihn wie einen Lasso um den Kopf, und
mit nie fehlender Sicherheit sauste der Sack Herrn Süßkind gerade auf
das salbungsvolle Haupt, als er im Begriff war, in der Versenkung zu
verschwinden. Der Fürst der Hölle konnte nicht schwärzer aussehen, als
sich nunmehr Herr Süßkind repräsentirte, der, entgegen seinen christlichen
Gewohnheiten, laut fluchend davonstürzte.
„Na, kam'n Se man good heim", rief ihm Frau Dürkoop nach,
,,'t is geern geschehn, Se — Denunziant Se! Nu sünd Se buten so swatt
wie binnen, Se — Waisenvadder Se!"
„Aber, Frau Dürkoop!" warf die erschrockene Emma ein, „das war
denn doch gar zu grob!"
„Vör so'n Karuallje is't noch to wenig!" schalt die Alte weiter.
„De Lump hett Schubert angeb'n, ick weet dat vun de Schutzmannsfro.
Un nu büst Du still, Deern, un frei Di, dat Een sin Wihnachtsbescheerung
weg hett!"
Damit eilte die Rächerin, gefolgt von der hübschen Emma, die
Treppe hinab, ihren verloren gegangenen Kohlensack wieder aufzuheben.
Unterdeß sitzt die arme Frau Schubert mit ihren Kindern beim trüben
Scheine der Lampe. Sie gedachte der früheren Jahre, wenn ihr Mann
am Weihnachtabend nach beendigter Arbeit, bald nach der Dämmerung,
nach Hause kam, beladen mit kleinen Geschenken für sie und die Kinder.
Wie sie dann selber noch ging, um kleine Einkäufe zu einem besseren
Abendessen wie gewöhnlich zu machen. Wie sie dann weiter den Weih-
nachtsbaum miteinander für die Kinder geschmückt, denselben ihre Gaben
zugetheilt und auch sie selber dem lieben, braven Manne eine heimlich
angefertigte Arbeit als Weihnachtsgeschenk überreichte. War es doch auch
an einem Abend vor dem Weihnachtsfeste, als sie sich verlobt und ver-
sprochen hatten, miteinander das sorgenreiche Leben des Arbeiterstandes
treu und redlich in Liebe zu tragen.
„Mutter", meint plötzlich das kleine Mädchen, „wollen wir nicht die
Lichter anzünden? Vielleicht kommt der Vater bald!"
Aus ihren traurigen Gedanken aufgescheucht, neigt sich die Frau
seufzend zu der Kleinen und sagt:
„Ja, mein Mädchen, gewiß kommt er, aber Emma kommt auch noch,
uns zu helfen."
„O", meint Fritz, „das kann ich auch", und sich dem Ohr der Mutter
nähernd, flüstert er: „Ich bin ja bald groß, und da will ich schon für
Dich arbeiten. Und heute hat mir mein Lehrer noch gesagt, wir sollten
uns nur nicht grämen. Der Vater würde bald wieder kommen, und ich
sollte nur immer so brav sein wie der Vater. Horck, da kommt er schon!"
Der Knabe eilt hinaus. Doch die Mutter weiß wohl, ihr lieber
Wie kleine Leute Weihnachten feiern.
er kurze Dezembertag, dessen Mittagshelle eine trübe Däm-
merung war, ist zu Ende. Der Nebel, welcher wochenlang
die große nordische Handelsstadt in drückenden Banden hielt,
hat sich zertheilt und zur Freude der Fußgänger besorgt ein
leichter Frost in kurzer Zeit die endlose Arbeit der Straßenreinigung.
Auch einige Sterne blicken bereits vom dunklen Himmel, damit auch dieser
sich rüste zum Feste. Es ist heut Weihnachtabend.
An den hellerleuchteten Schaufenstern vorüber, die manch' sehnsüchtig
verlangender Blick streift, schreitet mit leichten Schritten ein junges
Mädchen, bald einlenkend in einen Stadttheil, dessen enge Straßen nur
von dem gelben, flackernden Scheine der Laternen dürftig erhellt sind.
Doch ohne Furcht eilt sie ihres Weges, hier ist sie zu Hanse, in der
Gegend der Arbeit und der Armuth, auch sie ist ein Proletarierkind. Nach
geraumer Zeit biegt sie ein in einen schmalen, überbauten Gang, der zu
den dahinterliegenden kleinen Wohnungen führt, in welche das ganze Jahr
über selten oder nie ein Heller, freundlicher Sonnenstrahl dringt.
Bald schreitet sie eine schmale Treppe hinan und erreicht einen kleinen
Vorplatz, auf welchen die Thüren zweier Wohnungen führen. Treppe und
Vorplatz sind heute blitzblank gescheuert und mit weißem Sand bestreut.
Die vor jeder Thür ausgebreitete Fußmatte erinnert die Kommenden
daran, vor dem Betreten der kleinen Behausung sich hübsch säuberlich die
Fußbekleidung zu reinigen.
Das junge Mädchen betritt schnell die Wohnung zur Rechten, bleibt
aber mit einem „Guten Abend" an der Schwelle stehen, da der Raum
vor ihr vollständig in Dunkel gehüllt ist.
„Ach, Sie sind es, Fräulein Emma", erwidert eine tief traurige
Stimme; „treten Sie näher, ich will gleich die Lampe anzünden."
„Aber, warum sitzen Sie denn noch ini Dunkeln, Frau Schubert?"
„Ja, das sagen Sie wohl, liebe Emma", seufzt die Augeredete, welche
mittlerweile Licht angezündet hatte, und nun die Besucherin in die Stube
nöthigt; „aber heute ist Weihnachtabend, und ich sitze hier mit meinen
beiden Kindern und mein Mann-" hier ging die Stimme der Frau
in Schluchzen über.
„Nun, nun", tröstet das junge Mädchen: „Sie müssen nicht den
Muth verlieren! Ihr Mann wird ja bald wiederkommen. Man hat doch
gar keine Schriften bei ihm gefunden und da kann man ihn doch nicht
immer im Arrest behalten und verurtheilt kann er erst recht nicht werden,
das hat mir noch neulich Herr Reich gesagt."
„Ach ja, Ihr Bräutigam meint das wohl —"
„Frau Schubert", sagte erröthend die hübsche Trösterin einfallend,
„wir sehen uns wohl manchmal, aber mein Bräutigam ist er noch lange
nicht! — Aber wo sind denn die Kinder?"
„Ich habe sie noch ein Bischen auf den Weihnachtsmarkt geschickt.
Fritz ist ja schon vernünftig. Ich kann ihnen nun doch nichts zu Weih-
nacht bescheeren. Wenn ich die Kinder ansehe, kommt mir stets das
Weinen an."
„Frau Schubert, werden Sie nur nicht wieder traurig und nehmen
Sie's mir nicht übel, denn ich habe hier eine Kleinigkeit für die Kinder
mitgebracht. Sie können ja sagen, das Hütte der Vater ihnen geschickt."
Mit diesen Worten legte Emma ein Päckchen auf den Tisch.
„Ach, Emma, Sie sind immer so gut, und ich weiß gar nicht, wie
ich Ihnen danken soll!"
Plötzlich ertönte draußen ein Gepolter und mit Geräusch wird die
Thür zum Vorplatze geöffnet. Eine noch rüstige Frau, einen Weihnachts-
baum tragend, tritt über die Schwelle und mit ihr zugleich ein Knabe
von zehn und ein Mädchen von sieben Jahren.
„Goden Abend, da bünn ick, de ohl Dürkoopsch! Un hier sünd de
Kinner un ok 'n Dan'nbohm, de letzte, de annern sünd all verköfft.
Schubert sin Lütten sölt hüt Wihnachen fiern, so wohr ick Dürkoopsch
heet. Un hier sünd ok de Lichter un datt Annere kümmt später!"
Damit hat die gute, etwas redselige Frau den Baum hingesetzt und
sich selber in einen alten Großvaterstuhl geworfen, der sonst wohl dem
Familienhaupte zu einem kurzen Mittagsschlummer dienen mochte. Der
Knabe hat sich unterdeß still in den Hintergrund des Zimmers zurück-
gezogen, während das kleine Mädchen sich an die Mutter schmiegt, bald
den Weihnachtsbaum, bald Emma's Packet mit neugierig verlangenden
Blicken betrachtend.
„Sehn Se", fängt ,ohl Dürkoopsch' wieder an, „sehn Se, Fro
Schubert, ick hew hüt Nacht 'n Droom hatt; 't wör mi, as wenn min
Seeliger de Trepp 'rup köm. So'n Droom geiht ümmer in Erfüllung!
Passen Se man up!"
Plötzlich pochte es und ein Herr, zugeknöpft bis an den Hals, glatt
gescheitelt und rasirt, tritt ein mit dem Spruch: „Gelobt sei der kommt
im Namen des Herrn! Guten Abend, meine verehrten Damen und ihr,
meine lieben Kinderchen!"
„De .verehrten Damen' laten Se man da mang rut, Herr Süßkind,"
sagte die alte Dürkoop so spitzfindig wie möglich. „Un nu maken Se
man Platz, 't wart mi stimm, wenn ick so'n Slieker seh!"
„Sie irren sich, meine verehrte Frau Dürkoop", sagte der etwas aus
der Fassung gekommene Süßkind; und mit einer Augenverdrehung fügte
er hinzu: „Die Gerechten werden stets verkannt".
„Ach wat, brun Kooken mag rck wohl to Wihnacht, aber so'n .ge-
rechtes' Theekookengesicht kann mi den'n besten App'tit verdarben! ' und
mit einer unzweideutigen Bewegung ließ die Alte den verblüfft drein-
schauenden Süßkind, der zu den bekannten Frommen des Stadttheils ge-
hörte, stehen.
„Wie spaßhaft die gute Frau immer ist", meinte der glatt rasirte
Besucher, „sehr spaßhaft, hi hi hi. Bin übrigens sehr erfreut, Fräulein
Emma hier zu treffen. Wenn Sie erlauben, Frau Schubert, hier habe
ich einige Bücher für die lieben Kleinen und für Sie zur Erbauung
initgebracht."
„Herr Süßkind", sagte Frau Schubert, „meinen besten Dank, aber
die Bücher" —-
„O, weisen Sie nicht zurück die gnadenreiche Hand, welche sich Ihnen
bietet. Sie sind schwer heimgesucht, aber Sie werden geführt auf den
rechten Pfad! Der Herr ist mein Hirt, mir wird nichts mangeln! Hätte
Ihr Mann auf meinen Rath gehört und sich zu der Gemeinde Zion,
anstatt zu der Rotte Korah, diesen — —"
„Halten Sie ein, Herr Süßkind! Bon meinem braven Manne er-
laube ich Ihnen nicht so zu sprechen!"
„Nun, nun, Frau Schubert, entschuldigen Sie meinen heiligen Eifer!
Ich meine es gewiß gut!"
Emma, der die Szene anfing peinlich zu werden, wendete sich an
Frau Schubert:
„Nichts für ungut, ich will nur 'mal hinuntergehen und bei meinen
Eltern „Guten Abend" sagen, später komme ich noch einen Augenblick
herauf und helfe Ihnen den Weihnachtsbaum anzünden."
„Gestatten Sie, Fräulein Emma, daß ich Sie begleite", wendet sich
Herr Süßkind an diese. Gern hätte das Mädchen diese Höflichkeit ab-
gelehnt, doch auf einen Wink der älteren Freundin ließ sie sich die Be-
gleitung stillschweigend gefallen, und der fromme Mann, sich schnell ver-
abschiedend, folgte ihr nach auf dem Fuße.
Auf dem Vorplatze zur Treppe angelangt, hält Herr Süßkind das
Mädchen an. indem er seinen Arm um ihre Hüfte legt.
„Auf ein Wort, Fräuleiu Emma", flüsterte er mit heiserer Stimme,
„erhören Sie mich; schon lange wollte ich Ihnen sagen, wie gut ich
Ihnen bin!"
Mit einer energischen Bewegung sich frei machend, entgegnete Emma:
„Lassen Sie mich, oder ich rufe um Hilfe!"
In demselben Augenblicke öffnete sich die Thür der Nachbarwohnung
und auf der Schwelle erscheint unsere Freundin, die alte Dürkoopsch,
wie sie sich selbstgefällig nennt, zu der das junge Mädchen flüchtet, in-
dem es hastig hervorstieß: „Er hat mich hier angefaßt!"
„Wat? He hett Di anfaat?" schrie die stets kampflustige Frau; „hier
an de Trepp? Süh mal, süh, Herr Süßkind, Se wöln hier wol 'n bidden
Waisenvadder speeln?!"
Der abgewiesene erschrockene Freier wollte, einige unverständliche
Worte murmelnd sich schnell empfehlen. Dürkoopsch kam ihm jedoch zuvor;
die alte thutkräftige Dame nahm den leeren Kohlensack, den sie gerade
unter dem Arm trug, wirbelte ihn wie einen Lasso um den Kopf, und
mit nie fehlender Sicherheit sauste der Sack Herrn Süßkind gerade auf
das salbungsvolle Haupt, als er im Begriff war, in der Versenkung zu
verschwinden. Der Fürst der Hölle konnte nicht schwärzer aussehen, als
sich nunmehr Herr Süßkind repräsentirte, der, entgegen seinen christlichen
Gewohnheiten, laut fluchend davonstürzte.
„Na, kam'n Se man good heim", rief ihm Frau Dürkoop nach,
,,'t is geern geschehn, Se — Denunziant Se! Nu sünd Se buten so swatt
wie binnen, Se — Waisenvadder Se!"
„Aber, Frau Dürkoop!" warf die erschrockene Emma ein, „das war
denn doch gar zu grob!"
„Vör so'n Karuallje is't noch to wenig!" schalt die Alte weiter.
„De Lump hett Schubert angeb'n, ick weet dat vun de Schutzmannsfro.
Un nu büst Du still, Deern, un frei Di, dat Een sin Wihnachtsbescheerung
weg hett!"
Damit eilte die Rächerin, gefolgt von der hübschen Emma, die
Treppe hinab, ihren verloren gegangenen Kohlensack wieder aufzuheben.
Unterdeß sitzt die arme Frau Schubert mit ihren Kindern beim trüben
Scheine der Lampe. Sie gedachte der früheren Jahre, wenn ihr Mann
am Weihnachtabend nach beendigter Arbeit, bald nach der Dämmerung,
nach Hause kam, beladen mit kleinen Geschenken für sie und die Kinder.
Wie sie dann selber noch ging, um kleine Einkäufe zu einem besseren
Abendessen wie gewöhnlich zu machen. Wie sie dann weiter den Weih-
nachtsbaum miteinander für die Kinder geschmückt, denselben ihre Gaben
zugetheilt und auch sie selber dem lieben, braven Manne eine heimlich
angefertigte Arbeit als Weihnachtsgeschenk überreichte. War es doch auch
an einem Abend vor dem Weihnachtsfeste, als sie sich verlobt und ver-
sprochen hatten, miteinander das sorgenreiche Leben des Arbeiterstandes
treu und redlich in Liebe zu tragen.
„Mutter", meint plötzlich das kleine Mädchen, „wollen wir nicht die
Lichter anzünden? Vielleicht kommt der Vater bald!"
Aus ihren traurigen Gedanken aufgescheucht, neigt sich die Frau
seufzend zu der Kleinen und sagt:
„Ja, mein Mädchen, gewiß kommt er, aber Emma kommt auch noch,
uns zu helfen."
„O", meint Fritz, „das kann ich auch", und sich dem Ohr der Mutter
nähernd, flüstert er: „Ich bin ja bald groß, und da will ich schon für
Dich arbeiten. Und heute hat mir mein Lehrer noch gesagt, wir sollten
uns nur nicht grämen. Der Vater würde bald wieder kommen, und ich
sollte nur immer so brav sein wie der Vater. Horck, da kommt er schon!"
Der Knabe eilt hinaus. Doch die Mutter weiß wohl, ihr lieber