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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 7.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.15409#0019
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fantmen. Ick weeß nich, ob Du von bet Vorkommniß icbcrhaupt Notiz je-
nommen hast, mir scheint et aber wichtig jenug, um hier ooch noch een
Paar Worte drüber zu verlieren. Friedenstein, der uu jlücklich in 'Plötzensee
jelandet is, war een jeweehnlicher jonrnalistischer Raubritter, Wat man so
Erpresser nennt. Vor een paar Jahre war die Branche noch jänzlich in
adlige Hände, wie De woll wissen wirst, ick brauche Dir ja blos an den
Freiherrn von Schleinitz, „unabhängigen" Angedenkens, zu erinnern. Na,
de birjerliche Kanallje drängelt sich ja überall ein, un nu hat Friedenstein
die Sache iebernommen. Na, im Jrunde jenonnnen, is det Schnuppe. De
Hauptsache is, det oogenblicklich die.Zeitungsverlejer, die sonst mit ihre Annoncen
ooch de schwierigsten Sachen machen, jetzt de Oogcn verdrehen wie de je-
stochenen Kälber un so duhn, als könnten se keen Wasser trieben.

Aber det is v.r uns bcede Kulturhistoriker ooch noch Nebensache. Von
ville mehr Bedeckung scheint et mir zu sein, det sonne Sumpfpflanzen in
unsere birjerliche Jescllschast ieberhaupt meeglich sind. Die meisten von die
seine Bonzen, die Herr Friedenstein in sein Blatt einjezappt hatte, hatten's
mit die Angst, sonst hätten se doch so'n Bruder nich mit Schweigejelder de
Taschen volljestoppt. Ick bin gewiß een jemiethlicher Knopp, Jacob, det
weeßt Du doch ooch, aber wenn so'n Erpresser mal bei mir käme, weeßte
Wat ick denn machte? Ick knöppte mir so'n Kerl vor, un denn kriegte er
so ville Wichse, wie et in Berlin uff eenen Hausen jarnicht jiebt. Ick jloobe,
Jacob, Du würdest et woll ebenso machen, un det kommt daher, weil wir
Beede nischt zu verheimlichen haben, un darum kann man so'n Bruder ooch
jlcich mit de jeheerige Licbenswirdigkeit nsswarten. Bei mir hätte Fricdenstein
mit seine Erpressungsversuche keeit Jeschäst jemacht, det kamt ick Dir uff
meinen Diensteid versichern.

Ja, wat ick noch sagen wollte, die Dokters machen jetzt eene Statistik
von de Influenza. Meinswejen, immerßu, denn ick habe sc nich jehabt
un wer se nu woll ooch nich mehr kriejen. Solange wie de Influenza hier
war, haben die Herren keen Mittel davor jewußt un hoffentlich entdecken se
nu eens, wenn se wiederkommt. Doch damit de Doktors sehen, det wir
Beede keene schlechten Menschen sind, will ick ihnen ooch mit een bisken
statistischct Material unter de Arme jreisen. Hier is nämlich neilich eene
Frau an Nikotinverjistung jcstorben und weeßte warum', lieber Jacob?
Weil se ihr Mann so mächtig „vertobakt" hatte. Sechste, Jacob, det is
de neieste Krankheitserscheinung, aber se doocht ooch nischt,

womit ick verbleibe erjebenst un mit ville Jrieße Dein treier

Jotthils Naucke.

An' Jörlitzer Bahnhof jlcich links.

An Debbchcn-Göy.

Herr Gütz, der einst ein wilder Demokrat,
Schimpft wie ein Rohrspatz auf den Zukunftsstaat,
Und ganz besonders schreit er Ach und Wehe
Ob der zukünft'gcn „lockern" Form der Ehe.

So rief er ans voll Hohn in Lindenau:

„Du nimmst Dir auf acht Wochen eine Frau,

Daraus erwächst Dir keine große Last —

Du schickst sie fort, wenn sie Dir nicht mehr paßt.
Die Sorge für die Kinder bleibt Dir ferne,

Denn die erzieht der Staat in der Kaserne.

Kurz, wenn die Rothen siegen, wird's auf Erden
Vollständige Karnickelwirthschaft werden!"

So rief der edle Demokrat erregt —

Zwölf Tage später war er — abgesägt.

Hobelspähne.

Fürst Bismarck geht? wo geht er hin,

Der sonst doch so fest Pflegt zu stehen? —

Dem Schutze der Arbeit war feindlich sein Sinn,
Doch nun will er in sich gehen!

* *

Das Kartell ist vor Schreck über die Wahl-
resultate in eine Ohnmacht von mindestens
fünfjähriger Dauer verfallen.

* *

*

Sozialistcnverfolgung ist gar so schwer,

Denn nichts will hier mehr zieh'n!

Man wollte sie setzen in Elberfeld,

Nun sitzen sie in Berlin!

* *

*

Die einzige Abgabe, die den Zoll- und
Steuervermehrern gar nicht gefällt, war die diesjährige Stimni-Abgabe,
welche ihr Macht im künstigcn Reichstage so stark beeinträchtigt.

* *

Andrassh ward „im Bild" gehenkt
Vor neunundreißig Jahren,

Und hat als mächtiger Staatsmann noch
Viel Ruhm und Ehr' erfahren.

Dies merke Dir kleiner Reaktionär:

Wenu Du Böses führest im Schilde
Und klügere Mitmenschen hängen willst,

So hänge sie stets nur im Bilde.

* *

*

Der Zeitgeist bricht sich manchtnal für die Verfechter des Alther-
gebrachten recht zur Unzeit Bahn.

* *

•X-

Kartell, Dn triebst es gar zu arg,

Drum wies Dir das Volk die Zähne,

Ich zimm're heut Dir Deinen Sarg,

Es fliegen die Hobelspähne.

Ihr getreuer

Säge, Schreiner.

Er schien erregt. Man achtete in der Freude des Festes kaum darauf. Die
mainzischen Generale versicherten unzählige Mal, in wenigen Wochen würde
man vor Paris stehen und jubelnd stieß man an auf die baldige Eroberung
der Stadt, die ganz Europa in Aufregung gebracht hatte.

Die Zeit der Trauung nahte heran, der Kurfürst erschien nicht. Adele
sah ihren Bräutigam schmachtend an. In diesem Augenblick aber trat der
kurfürstliche Hofmarschall ein und verkündete, Seine Kurfürstlichen Gnaden
könnten nicht erscheinen, .da Höchstdieselbeu plötzlich von starken Leibschmerzen
befallen worden seien.

Der Marquis und seine Braut waren kurz entschlossen; nun mußte
man sich eben ohne den Kurfürsten trauen lassen. Die Gesellschaft bildete
sich zu einem langen Zuge, um nach der Schloßkapelle aufzubrechen — da
vernahm man auf der Straße lautes Laufen und Lärmen; es ward geschrieen
und plötzlich erdröhnte ein Kanonenschuß, dann noch einer! Noch einer und
noch einer!

Ein Lakai streckte den schreckensbleichen Kopf zur Thüre herein und schrie:

„Seine Kurfürstlichen Gnaden sind abgereist! Die Franzosen kommen!"

Das schlug wie eine Bombe in die Gesellschaft. Der General mit
seinen drei Kapaunen wurde kreideweiß und lehnte sich an die Wand, um
nicht umzufallen; der Rittmeister, der einen Sack init Jakobinerköpfen bringen
wollte, stolperte über seinen Degen und fiel der Länge nach hin; die Damen
schrieen durcheinander und eine spöttische Stimme rief schneidend in das
Getümmel:

„Das müssen starke Leibschmerzen gewesen sein, die seine Kurfürstlichen
Gnaden zu so schneller Abreise gezwungen haben."

„Ah, Hofrath Förster", rief nun der General, der den Finger des
Bürgermeisters von Paris bringen sollte, „Euch kennt man. Ihr haltet es
mit den Franzosen und mit den neuen Ideen von Freiheit und Gleichheit.
Man wird Euch nach dem Siege zur Rechenschaft ziehen."

„Wenn Ihr mit Euren drei Kapaunen Paris erobert habt", spottete
Förster.

„Bomben-Element!" schäumte der General.

„Lasset Eure Bravour nur an den Franzosen aus, statt an einem harm-
losen kurfürstlichen Hofrath I" rief Förster lachend.

Der General hätte sich noch nicht beruhigt, aber nun nahm die Sache
eine andere Wendung. Ein Trupp Bürger drang in das Schloß. Sie
stürzten in den Saal zu der Hochzeitsgesellschaft.

„Die Franzosen kommen und hier wird geschlemmt", schrie ein vier-
schrötiger Bierbrauer.

„Der Kurfürst ist fort wegen starker Leibschmerzen", antwortete Förster'«
Stimme.

„Sooo, wegen Leibschmerzen", sagte der Brauer wülhend. „Was wird aus
Mainz, wenn wir beim Anmarsch der Franzosen Alle Leibschmerzen kriegen?"

Die Kavaliere und Offiziere waren rathlos, die Bürger fluchten und
wetterten, die Damen kreischten, flehten und weinten; es war eine nnbe-
schreibliche Szene.

Andere Bürger stürmten herein.

„Des Kurfürsten Wagen haben schon die Rheinbrückc passirt!" tvard
gemeldet.

„So, und uns läßt man in der Klemme stecken", schrieen die Bürger.

„Adele", meinte der Marquis von Florcncourt, „das giebt eine böse
Hochzeit".

Die Braut seufzte.

In diesem Augenblick kam Herr von Albini herein, des Kurfürsten
erster Minister, der bei den Bürgern wegen seines leutseligen Wesens nicht
unbeliebt war.

„Albini soll sprechen!" riefen sic.

Der Minister stieg auf einen Tisch und sprach:

„Werthe Mitbürger!"

„Hoch Albini!" schrieen die Bürger. „Mitbürger" eines Ministers zu
sein däuchte ihnen für jene Zeit eine gar große Ehre.

„Mitbürger", fuhr er fort, „die Franzosen sind im Anzug. Wir müssen
uns, bis Seine Kurfürstlichen Gnaden uns Hilfe bringen, vertheidigen, und
wäre es auch bis zum letzten Blutstropfen".

„Bravo!" schrieen die Bürger.

In diesem Augenblick aber trat ein Lakai ein und rief:

„Die Wagen mit den Kostbarkeiten und Möbeln des Herrn Staats-
ministers von Albini sind glücklich über die Rheinbrücke gelangt und ein
Vierspänner wartet draußen auf Seine Exzellenz!"

„Tölpel!" rief der Minister.

Ein wüthendes Hohngelächter erscholl, der Minister entfloh und am
anderen Tage ward die Festung den Franzosen übergeben. Auch der Marquis
von Florencourt hatte sich zeitig davon gemacht; die starken Leibschmerzen
des Kurftirsten hatten ihn verhindert, im „goldenen Mainz" sein Glück zu machen.
 
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