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754 -

Der März ist gekommen. Die Büsche schon
Viel Vliithcnkcime tragen.

Die Wasser brausen rebellisch auf.

Indessen, das ist so des Frühlings Lauf.
Dagegen lässt sich nichts sagen.

Das Wieder-Erwachen der schöne» Natur
Es stimmt oft de» Menschen so eigen.
Manch' alte Erinn'rung bewegt das Herz —
Besonders an einem Tag des März . . .
Doch will ich davon lieber schweigen.

Der Frühling kam manchmal mit Stnrm und Drang
Zur ruhenden Erde hernieder,

Und waren gar bald seine Stürme vcrbraust
Und waren gar bald seine Blüthcn zerzaust —

Der Frühling kommt immer wieder.

Ob früher, ob später — wir sahen im Glanz
Im herrlichen Glanz ihn erstehen.

So ist er gekommen auch dieses Jahr;

Wir haben diesmal im Februar

Einen Frühlingstag schon gesehen.

Sechste, lieber Jacob, nu wird et Friehling, bet steht mal bombenfest.
Denn wenn de Weidenböme an'n Spandauer Schiffahrtskanal erst klecne
Kätzchens kriegen, un wenn de Sonne anfangt, von so 'n richtigen berliner-
blauen Himmel runter zu scheinen, denn is et nalirlich keen Halten mehr,
da kanuste Jift druff nehme», denn wird et Friehling. Un da kannst De
uu sagen, wat De willst, lieber Jacob, der Friehling is un bleibt doch de
scheenstc Zeit.

Ick bummele Dir neilich so mir nischt, Dir nischt nach 'n Friedrichshain.
Ick hatte nich so recht Wat zu duhn, »a, un weeßte, wenn so'n schecnet
Wetter is, denn will der vcrnicnftige Mensch doch ooch mal 'n paar Ziege
frische Luft schnappen. Da saß Dir doch uff eenen Zacken een kleener Kerl
von Buchfink un der fing eben sein Friehlingslied an zu probiren, bet et wirk-
lich eene Lust un Freide war. Un denkste vielleicht, der jenirte sich vor
den Schutzmann, der dichte dabei stand? Keene Spur, er schmetterte sein
Friehlings- und Freiheitslied, wat bei mir detsclbe is, so frisch in de Luft
rin, als wißte hier in Berlin keen Mensch wat von 'n kleenen Belagerungs-
zustand un von det Sozialistenjesctz. Na, ick jing ruhig weiter un dachte
weiter nischt, wat ick jcweehnlich duhe, wenn ick spazieren sehe un Luft schnappe.

Nu hatte ick doch beinahe wirklich Widder versessen, Dir zu erzählen,
warum ick eijeutlich nach den Friedrichshain rausjing. Det seht mir aber
immer so, wenn ick von det Hundertste in't Dausendste komme. Also ick
hatte jelcsen, in de Zeitung nämlich, det sich der Berliner Majistrat nu
wirklich dazu entschlossen halte, de Jräbcr von de Märzjcfallenen doch end-
lich mal in Ordnung bringen zu lassen, damit et doch nich janz nn jar
so ausseht, als ob man da draußen een paar doote Hunde irtjebubbelt hätte.
Ick kann Dir sagen, lieber Jacob, det war nu ooch de heechste Zeit, det sich
der Majcstrat zu ’n eisernet Jitter un wat dazu jeheert, uffjeschwungen hat,
denn so wie et jetzt war, so war et eenfach een Schkandal. Ja, so een
freisinniger Majistrat!

Na, bei uns Berliner haben de sreisinnijen Bourgeois jetzt überhaupt
verspielt. Die Kerrels haben sich bei de Stichwahlen mal Widder benommen,
dat man sich wirklich wundern muß, dat die ollen Achtunvierzijer sich nich
in ihre Jräber umjedrcht haben. Wenn det Wort von de „eenzig reaktionäre
Masse" jemals an'n Platz jewescn is, denn is et hier in Berlin un ooch
in andere Städte jetzt der Fall jewesen. De Arbeeter sind eben zu jut, se
versessen Bitte zu leichte, se dähten wirklich ville besser daran, wenn se die
Nackenschläge, die sc von de Freisiunijen nu schon lange schabt haben, besser
in't Jedächtniß behielten. Eenmal muß mit die Brieder doch jründlich uff-
jeräumt werden, un da sollten de Arbeeter keene Jelegenheit vorüberjehen
lassen, wo se mit die Sorte orndtlich abrechnen kennen. Bei de Stichwahlen
hier haben se ja de Sache mal wieder fein jeschobcn, det is die Jesellschaft
nämlich cjal, wer vor se stimmt, ob det Antisemiten, Kartellbrieder oder
Konservative sind — jan; schnuppe, de Hauptsache is blos, det se man mit
Ach un Krach in'n Reichsdag kommen, Ivo se dann vor sich un ihre janze
Anhängerschaft nach Kräften sorjcn.

Et schad't nischt, Jacob, dessentwejen jetzt et weiter. Aber sechste, so
jetzt et mir immer, ick hatte mir nämlich fest vorjenommen, Dir nischt ieber de
Wahlen oder ieber de Stichwahlen zu schreiben, un nu bin ick von'n Frie-
drichshain doch richtig wieder uff de Wahljcschichten jekommen. Aber Hab'
man keene Bange, ick Heer ooch jlcich wieder uff, un beruhije Dir, denn ick
jehcerc nämlich ooch nich zu die Menschen, die Wahlwitze erzählen. Davor
sorjen bekanntlich schon immer unsere uffjeklärten Mitbirjer, die, wenn se
sich eenen jroßartijen Feez machen wollen, Krauts'n ihre Stimme jeden.
Eener soll in't Wahlbureau jcsagt haben: „Ick wähle Wolle — denn Pro-
fessor Jäger sagt ooch: wer weise, wählt Wolle!" Na, lach' Dir blos
keinen Ast ieber die feinen Witze, lieber Jacob, ick habe se ja ooch blos
uffjeschnappt, un det Wiedererzählen is ja weiter nich strafbar.

Sonst is aus Berlin nich ville Neiet zu berichten. Oogenblicklich sind
hier een Paar Zeitungsverlejer dabei, sich vor de edelsten un bravsten
Menschen auszujeben. Det hängt nämlich mit den Prozeß Friedenstein zu-

Starke Leib sch m rrre ti.

Lrzählung von Hans Flux.

z war im Jahre 1792 am Hofe des letzten Kurfürsten von Mainz.
wrfjpL Dort trieben die Emigranten, die französischen Adeligen, die
während der Revolution in's Ausland geflohen waren, ihr Un-
wesen. Sie traten sehr brutal auf; die Mainzer Staatskasse
mußte große Sumnien für diese Herren hergebcn, die aus großem Fuße leben
wollten, wie sie unter dem allen Regime gewohnt gewesen waren. Sie
stellten Wechsel auf die Zukunft aus. Die Advokaten könnten ja nicht lange
in Paris regieren, pflegten sie zu sagen, und dann würde man Alles, was
ihnen die deutsche Gastfreundschaft zugewendet, mit Zinsen und Zinseszinscn
zurückzahlen.

Wie cs immer in solchen Fällen geht, hatten die eben so flotten als
windbeuteligen französischen Kavaliere bei den Damen der Mainzer Aristo-
kratie viel Glück, und die Liebesabenteuer am kurfürstlichen Hofe waren
zahllos. Manch ein französischer Edelmann mochte da sein Glück machen,
nachdem die Revolution ihn seiner Vorrechte entkleidet, und Manche konnten
es recht gut gebrauchen, denn wenn sie auch am Hofe offene Tafel hatten,
so sah es mit ihren sonstigen Mitteln nicht gerade glänzend aus.

Auch der junge Marquis von Florencourt mar in solcher Lage. Seitdem
seine Bauern ihn nicht mehr zu ernähren brauchten, hatte er kein Einkommen
mehr, und gelernt hatte er auch nichts, außer daß er die Etikette und die
sonstigen Eigenthümlichkeitcn des Hoflcbcns genau kannte. Darauf war
freilich schwer eine Existenz zu begründen.

Aber der Marquis von Florencourt war ein ausnehmend hübscher junger
Mann und so hatte er das Glück, daß sich ein Hoffräulein, Adele von
Greiffenklau, die lange Zeit vom Kurfürsten sehr ausgezeichnet und auch mit
einem herrlichen Landsitz am Rhein beschenkt worden war, in ihn sterblich
verliebte. Adele war reich und der Kurfürst, welcher die von ihm begün-
stigten Damen nach einiger Zeit immer gern untergebracht sah, that Alles,
um die Heirath zu Stande zu bringen. Es ward ihm nicht schwer, denn
der junge Emigrant ergriff mit Freuden die Gelegenheit, durch eine Heirath
reich und unabhängig zu werden.

Die Hochzeit wollte der Kurfürst in seinem Schlosse gefeiert haben und

die Vorbereitungen dazu wurden mit einem Pouip getroffen, als handelte
es sich um eine hochwichtige Staatsangelegenheit, statt um einen Emigranten,
der Nichts gelernt, und um ein Hosfräulein, das keinen Ruf mehr zu ver-
lieren hatte.

Die Feier im Schlosse sollte am Vormittag vor sich gehen. Erst sollte
im großen Saale ein großartiges und köstliches Gabelfrühstück eingenommen
werden; dann sollte im Schlosse selbst in Gegenwart des Kurfürsten die
Trauung stattfinden und eine Reihe von Festlichkeiten auf dem berühmten
Lustschloß Favorite sollten folgen.

Das große Gabelfrühstück ward feierlich eröffnet. Der Kurfürst war
nicht ganz so lustig wie sonst. Es lag eine Wolke auf seiner Stirn. Von
Zeit zu Zeit erhielt er Depeschen, die ihn nicht heiterer stimmten. Die
Gäste überließen sich bald zwangloser Fröhlichkeit, wozu der feurige Johannis-
berger aus dem kurfürstlichen Schlosse nicht wenig beitrug.

Ein kurmainzischer General — es gab zwölf solcher Generale in Mainz
und die meisten wußten nicht, wen und was sie kommandiren sollten —
brachte einen Toast aus auf den nächsten siegreichen Feldzug gegen Paris.

„Ich werde, wenn wir ausrücken", sagte der Kamaschenheld, „einen
Küchenwagen mit drei Kapaunen mitnchmen. Die drei Kapaunen lasse ich
unterwegs mästen. Den einen verzehre ich in Landau, den zweiten in Chalons
und den dritten, den fettesten, in Paris I

„Ah, sehr gut!" rief man; ,,i>on, trfes bien!“ riefen die Emigranten.

Adele, die liebenswürdige Braut, wendete sich an den General:

„Exzellenz, wenn Sie nach Paris kommen, denken Sie dann auch an
mich?"

„Gewiß, meine Gnädige", schmunzelte der General.

„Dann bringen Sie mir auch etwas mit!"

„Befehlen Sic nur!"

„Nun", meinte Adele, „ich möchte denn einen Finger des Bürger-
meisters von Paris zum Andenken".

„Gerne", meinte der General. „Ich werde hinaus zum Hochgericht
reiten, wo man diesen Bösewicht zweifellos aufhängen wird, und werde
für Sie einen Finger abschneiden".

„Abgemacht", sagte Adele.

„Ueberhaupt werden wir einen Sack voll Jakobinerköpfe mitbcingen",
sagte ein junger kurfürstlicher Rittmeister.

In diesem Augenblick wurde der Kurfürst abberufen und eilte hinaus.
 
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