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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 7.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.15409#0051
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Wccßtc, Jacob, mir wirke et riesijcn Spaß machen, wenn ick so Zu-
sehen kennte, wenn unsere Rcichsbotcn zuerst ihren Jnzug in den Reichsdag
halten. Die Ollen missen voran marschiren un denn de Neien hinterher.
Die Ollen kenne ick ja so ziemlich Alle von Ansehen, aber de Neien, die
kennen wir Berliner nu noch nich. Neijicrig sind wir ja natierlich nu doch,
wie se aussehen, un namentlich wie se sich bedragen werden. Na, wir passen
ja nu nich schlecht nfs, uff Alles, wat se sagen werden, natierlich werden sc
nich schlecht ranjehen an'n Speck un bet is un bleibt doch de Hauptsache.
Se missen die ollen verknöcherten Bourgeois den Staar orndtlich stechen, se
missen se mal auseenanderpolkcn, wie'n Arbeiter zu Mnthe is, un se missen
ihnen ooch zeigen, bet alle unsere Forderungen blos jerecht sind. Mit den
ollen Schlendrian da kommen wir ja natierlich nich weiter, un wenn wir
de Bourgeois »ich richtig auseenandersetzen, wo uns der Schuh drickt, denn
jiebt uns keen Mensch eenen Fcnnig un wir kennen man ruhig inpacken,
un wir kennen uns abrackern un abarbeeten, det uns de Schwarte knackt,
da freit sich die Jesellschaft höchstens drieber un kloppt sich nfs de Taschen,

nn wir schnallen den Schmachtriemen immer een Loch enger, det schließlich

'ne Wespe den reenen Schmerbauch jejen uns hat.

Sechste, Jacob, um det Alles haarkleen zu erzählen, dazu is »ach meine
Ansicht de Rednertribiene von den Reichsdag vor allen Dingen vor uns da.
Um Kleenigkccten, die uns Arbectcr säst jarnischt anjehen, da sollen sich unsere
Leite am Liebsten ieberhaupt nich bekimmern. — Du wirst et ja woll ooch
wissen, wie dicke sich Eijecn Richter zum Beispiel dnht, wenn er bei'»
Militärctat, wo et sich um Hunderte von Millionen handelt, een paar

tausend Märker abhandelt, beim jloobt er, 'ne jroße politische That je-

dahn zu haben. So verrückt sind wir natierlich nich, wir sehen nfs janz Wat
Änderet aus.

Nu mußt De aber nich denken, lieber Jacob, det ick Eeeuer von die
Sorte bin, die sich einfach uff'n Jsolirschemel setzt, det Maul ustspcrrt un
wart, bis ihr de jebratenen Dauben man so rinjeflogen kommen. Nee, Jacob,
det is ooch nich der Fall. Wenn wir wat von de heitije Jesellschaft raus-
schlagen kennen, wat den Arbeeter wirklich zu Jute kommt, denn nehmen wir

det natierlich; ick jloobe, det det vor jeden vcrninftigen Menschen selbstver-
ständlich is. Denn jede Stunde, die der Arbectcr nich in de Fabrik zu

schwitzen braucht un die er seine Familie widmen kann, die is vor ihn

jewonnen; un et mißte Eener ja jrade ieber Kreiz dumm sein, wenn er nich
nimmt, wat er kricjen kann.

So mögen se denn nu ihren Jnzug in den Reichsdag halten. Ick winsche
von Herzen, det die jroße Fraktion, die wir nu haben, vor de jesammte
Arbeeterbewegung von Vortheil sein möchte, nn det wir mit ihre Hilfe unsere
Ziele een jutet Ende näher kämen. Se soll einmüthig sind, um die Interessen
von die Leite, die se jewählt haben, immer un immer in't Ooge behalten,
denn lvird die Sache schon jut jehen,

womit ick verbleibe erjcbenst nn mit ville Jricße Dein treier

Jotthilf Naucke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

17

Hobelspäh,re.

Dem Reichstage gebe ich zu bedenken, daß
! / j er bei der Arbeitcrschutzgcsetzgebnng nicht weniger

' ) /"$J / It- konsequent Vorgehen möge, wie bei Jagdschutzgesetzen.

1 f Es wird die gesetzliche Schonzeit nicht blos für

Äjy jugendliche und weibliche Wesen der betreffenden

Gattung, sondern für alle eingeführt. Was aber
1 den Thiercn Recht ist, muß den Menschen billig
sein, daher soll auch der verkürzte Arbeitstag für
alle Arbeiter in Kraft treten.

Die Sparsamkeit und Einschränkung der
fj Offiziere ist jetzt offiziell anbesohlcn. Man kann

^ dies nur mit Freuden begrüßen, zu tvünschen bleibt

aber, daß Mutter Germania selbst sich mit den
Offizieren ctivas einschränkt, damit sie nicht so gar viele Exemplare
dieser immerhin kostspieligen Gattung nöthig hat.

* *

*

Herr Crispi, der den Fürsten Bismarck so getreulich kopirt, ärgert sich
augenscheinlich, daß cs ihm noch nicht gelungen ist, abzuwirthschasten,
während dies Bismarck mit gewohnter Genialität bereits vollendete. Crispi
beginnt daher mit der Verbannung von Journalisten eine Aera von Aus-
weisungen, welche ihn sicher bald an das gewünschte Ziel bringen wird.

* *

*

Die Manchesterleute sehen den Arbciterschutz darin, die Arbeiter vor
hohen Löhnen zu schütze», daniit sie sich de» Magen nicht verderben.

Ihr getreuer

Säge, Schreiner.

Weise Vorsicht.

Russe: Sagen Sie, wie ist es nur möglich, daß bei Euch in Sachsen
ein wissenschaftlicher Vortrag über Wcltanfang und Weitende behördlich ver-
boten werden konnte, wie cs in Treuen gegen I)r. Specht geschah?

Sachse: Ja, wissen Se, inei gudestcs Herrchen, die Sache iS die:
'n Weldanfang wiß'mer schon, das is die alde Geschichde von Adam un Eva,
die wegen Boomfrevel ansgewiesen worden, weil se den »nderschditznngs-
wohnsitz in Baradiese noch nich hadden. Un 's Meldende - na heernse,
das das verbodcn worde, is ganz rechd gewäsen: mer soll den Deisel
nich an de Wand malen, sonst gommd er. Wenn Der ä langen
Daddrig icber'sch Meldende gcmachd hädde, wär' de Weld amende wärklich
undergegangen.

„Ja", fuhr er sorgenvoll fort, „aber unser schönes Geld!"

„Ja, unser schönes Geld!" echote die Frau.

„Da bleibt uns nichts Anderes übrig, als es zu machen wie der Rentier
Sparsain."

„Wir müssen es vergraben."

„Jawohl!"

lind betrübsamen Herzens, mit zitternden Händen suchte Herr Habich
sein Vermögen zusammen. Er war sehr geizig und nichts konnte sein Herz
mehr erfreuen, als der Anblick blanken Goldes. Da hatte er ein Kästlein,
mit glänzenden Zwanzigmarkstücken bis an den Rand gefüllt; vor diesem
Schatze konnte er stundenlang sitzen und seine Augen leuchteten dann in Wonne.
Seufzend nahm er das Kästlein, seine Frau brachte ihre Schmncksachen herzu
und Herr Häbich that seine Werthpapiere in eine große Brieftasche. Frau
Häbich brachte auch ihre Hochzeitshaube, die schön gestickt war.

„Glaubst Du, daß die Sozialdemokraten auch die alte Haube nehmen
werden?" frug Herr Häbich.

„Sie ist mir theucr, Anton", sprach sie mit Würde.

Also kam auch die gestickte Hochzeitshaube zu den zu bergenden Kostbarkeiten.

Als cs dunkel geworden war, begaben sich Herr und Frau Häbich in
den Garten hinter dem Hause und unter dem großen Apfelbaum in der
Mitte des Gartens wurde der Schatz vergraben. Sorgsam wurde Rasen
darüber gebreitet.

Herr und Frau Häbich waren wieder beruhigt.

Andern Tags war die Wahl und Herr Häbich war voll gespannter Er-
wartnngcn. Abends litt es ihn nicht zu Hanse. Er mußte nach dem Lokal
gehen, wo sich die konservative Partei versammelte, um die Wahlresultate
entgegen zu nehmen. Seine Frau lvollte in solch gefährlicher Zeit ohne ihren
Manir auch nicht zu Hause bleiben und begab sich zu einer befreundeten
Familie, von >vo sie Herr Häbich um elf Uhr nbholcn sollte. So blieb nur
die alte taube Magd im Hause, die sich um Nichts kümmerte und um neun
Uhr schlafen ging, wie immer, so auch am Wahltag.

Als Herr Häbich nach dem Versammlungslokal schritt, begegnete ihm
unterwegs Fritz Müller, der Zettelausträger.

„Ah, Sie wollen nach der Versammlung, Herr Häbich; Sie sind doch
eifrig für die gute Sache", begrüßte Müller den Rentier.

„Man thnt, was man kann", sagte Herr Häbich geschmeichelt. „Aber
wie sieht es aus mit der Wahl?"

„Soso — lala", sagte Müller. „Es ist noch unentschieden. Der sozial-

demokratische Kandidat bekommt viele Stimmen. Bis jetzt hat er die große
Majorität."

„Ach du lieber Gott!" ries Herr Häbich.

»Ja, so geht es heutzutage zu", meinte Müller. „Aber Sic haben
doch auch Ihren Besitz gut geborgen?"

Häbich wußte vor Bestürzung nicht mehr, was er sprach und that.

„Jaja", stotterte er, „unter dem Apfelbaum —"

„Nun es kann ja noch anders werden", tröstete Müller. „Die Bauern
wählen keinen Sozialdemokraten und die Stimmen vom Lande fehlen noch."

„Gott sei Dank", meinte Häbich.

„Und nun gehen Sie nur getrost in die Versammlung", drängte Müller.
„Ich muß telegraphiren."

Herr Häbich ging in die Versammlung. Da ließen die hochinögcnden
Herren Konservativen die Köpfe hängen, denn in der Stadt und den um-
liegenden Dörfern, wo die Arbeiter wohnten, hatte die Abstimmung eine
große Majorität für den Sozialisten ergeben. Jetzt aber kamen die Resultate
von den Dörfern. Diese stimmten fast nur für den Herrn von Protzig.

Ein donnerndes Hoch nach dem andern erscholl, so oft die Nachricht
kam, daß die Bauern eines Dorfes ihr Theil dazu beigctragen hatten, die
Zivilisaüon und die Intelligenz vor der Sozialdemokratie zu retten. Bald
war der Konservative in der Majorität und seine Wahl gesichert.

Herr Häbich schrie wacker Hoch mit und trank sich aus Begeisterung
ein Räuschlcin an; ja er hielt sogar eine Rede, in der er den Schwur leistete,
Gut und Blut für die konservative Sache zu geben. Dann holte er seine
Frau ab und sie begleitete den Schwankenden nach Hause. —

Am anderen Morgen aber erschien frühzeitig ein Gensdarm bei Herrn
Häbich und frug, ob er nichts Näheres von Fritz Müller wisse. Derselbe
sei seit gestern Abend mit einer berüchtigten Weibsperson, auf die man
fahnde, verschwunden.

Herr Häbich, im Katzenjammer, erklärte, nichts von Fritz Müller zu
wissen. Kaum >var der Gcnsdarm fort, so stürzte er nach dem Garten, denn
es überlief ihm siedend heiß. Richtig, der Schatz war fort und nur die
Hochzeitshaubc war zum Tröste von Frau Häbich dageblicben. Grimmig
zerknitterte Häbich die Haube zwischen den Fingern.

So war kein Sozialdemokrat gewählt und Herr Häbich war dennoch
seine Schätze los; Fritz Müller hatte mit ihm „getheilt".

Herr Häbich ist bekehrt; er will das nächste Mal den Sozialdemokraten
wählen!
 
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