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Herr „Abgeordneter" von Bismarck.

Wer einmal dm Zauber der Macht verschmeckt, Vielleicht auch senden sie Kaviar Er dürstet nach einer großen That,

Der mag sie gern immer genießen; Ein Fäßlein, das ist nicht zu theuer; Bevor er muß scheiden von hinnen;

Auch Otto, der Eiserne, hat dies entdeckt Dazu von Jever noch jedes Jahr Drum will am Schluß er ein Mandat

Und das thut ihn sehr verdrießen. Erscheinen die Kiebitzeier. Zum Reichstag noch gewinnen.

'

Nun grollt er in seiner Einsamkeit, Doch Alles genügt dem Kanzler nicht Dazu sind freilich die Zeiten schlecht,

Unthätig will er nicht enden; Und kann ihm die Ruhe nicht geben; Doch kann es noch gelingen;

Den Hamburger Kaufherrn thut cs gar leid, Er möcht' ein letztes Strafgericht Ein nationalliberalcr Knecht

Sie möchten gern Trost ihm spenden. Noch halten in diesem Leben. Kann sich zum Opfer bringen.

Sie kaufen zu seinem Friedrichsruh, Und die bei seinem Sturze so kühl Dann fühlt der Kanzler sich hochbeglückt,

Das Gütlein schön abzurundcn, Verlassen jüngst seine Sache — Und in seinem Redeflüsse

Ihm noch manch schönes Grundstück dazu Ja, ihnen schwört er in seinem Exil Strömt er, was ihn. nur quält und drückt,

Als Balsam auf seine Wunden. Die allergrimmigste Rache. Dann aus in einem Gusse.

Das Reden, ja, behagt' ihm gar sehr, ? Voll Zorn braust auf das Parlament,

Will immer mehr ihm gefallen, ' Der Beifall wird stets schwächer,

AlS ob er wieder Kanzler wär', > Zur Ordnung ruft der Präsident

Hackt er herum auf Allen. Den ungestümen Sprecher!

Berlin, Anfang Mai.

Lieber Jacob!

Nanu lvachsen wir aber ran, mit unsere fünfundreißig Männekens,
det man Alles so roocht.

Fünfundreißig Mann, nu halt't aber de Ohren steif un macht keenen
Mumpitz, det se Eich da nich etwa mit'n Torfkahn ieberfahren. So wat
dcrf et natierlich nich jeden, denn sonst verscherzen se unsere beederseitige
Achtung, nich wahr, Jacob — un wenn se bei uns erst drunter durch sind,
na, denn kennen se sich man ruhig bcjraben lassen. Aber se werden sich
woll halten, wie se sich bis jetzt immer jehalten haben, immer feste voran,
immer det Herz uff'n richtijen Fleck, immer de Arbeeterintressen in't Ooge,
immer den Blick uff't Beste von de Alljcmeinheit jerichtet, denn wird unsere
Sache ooch jedeihlich weitermarschiren, un unser jroßartijer Sieg wird ooch
de richtijen Frichtc dragen.

Jacob, weeßte, wat ick jloobe? Ick jloobe, ick habe meinen Beruf
verfehlt, ick mißte eijentlich ooch Parlamentarier jewordcn sein. Det hceßt,
Du mußt mir richtig verstehen, nich det ick mir etwa janz besondere Jeistes-
jabcn oder sonstige Talente zutrauc, nee, davon is kcene Rede, aber, wenn
in'n Reichsdag Eener von unsere Jcnossen wat sagt, wat mir zutreffend
scheint, denn wirde ick mir dadurch auszeichncn, det ick mit riesiger Stentor-
stimme ausrnfe: „Sehr richtig!" oder „Sehr jut!" Ick sage Dir, Jacob,
et sollte denn so leichte keenen stenojraphischen Bericht jeden, in den nich an

verschiedene Stellen, wenn z. B. Aujust Bebel jesprochen hat, stünde: Ab-
jcordneter Naucke: „Sehr richtig!" oder „Sehr jut!" Meenste nich, Jacob,
det sich det sehr scheen machen wirde? Ick sehe Dir zwar in'n Jeiste Dein
sojcnanntet Dcnkerhaupt schitteln, als wolltest De sagen: „Eben war doch
Jotthilf noch janz verninftig un nu is er mit eenmal verrickt jemorden",
aber da haste mal Widder an'n falschen Kalmus jepiept. Ick mecne die
Sache janz ernsthaft. Sechste, ick bin ja ooch manchmal uff de Tribiene
von'n Reichsdag jewesen un habe von oben runter uff alle die verschiedenen
Kahlköppe runterjekiekt. Un denn habe ick denn immer jefunden, det die
Leite von andere Parteien immer eenen ricsijen Sums jemacht haben, wenn
ihre eijenen Redner sprachen. Ick jloobe, det so'n beifällijer Zwischenruf
det Selbstjefiehl un de Zuversicht von den Redner beese stärkt, un darufs
kommt et nach meine Uffassung doch 'ne janze Masse an, un namentlich
sollten unsere Leite det bei die Anfänger nich versäumen, denn det kann ick
Dir versichern, det die Ochsenjrafen von de Rechte in'n Jeringsten nich blöde sind,
wenn se darufs ausjehen, eenen Redner von 'ne Jejenpartei, der noch nich janz
sattelfest is, niederznbrillen un ausznjrienen, bis er vor Aerjer schwarz wird.

Doch det blos nebenbei, ick werde ja wahrscheinlich nie die Ehre haben,
von de Redncrtribiene des deitschcn Reichsdages zu't deitsche Volk zu
sprechen — aber an unfern Stammdisch in'n „Lustijen Stiebel", da sage ick
Dir, Jacob, da lasse ick noch manchmal 'n Ton los, un da jiebt et denn
so leichte keenen besseren Volksredner, als wie ick eener bin.

Bekehrt, oder: Das rothe Gespenst.

Eine Geschichte aus der W a h l z e i t.

Von Hans FlUX.

ch, das sind schlimme Zeiten!" seufzte Frau Häbich, indem sie sich
auf das Sopha neben ihren Mann niederließ, der daselbst im
Schlafrock mit der langen Pfeife saß und gerade eifrig das
Amtsblatt studirte.

„Du meinst wegen der Wahlen", sagte Herr Anton Häbich, seines
Zeichens Rentier, indem er einen kräftigen Zug ans der Pfeife that.

„pinn ja", meinte die Gattin, „ich meine von wegen den Sozialdemokraten."

„Jaja, das sind schlechte Leute", bemerkte Herr Häbich.

„Die wollen immer nur Alles verrungeniren!"

„Wenn cs nur das wäre! Aber da steht im Amtsblatt ein Wahl-
ausruf der konservativen Partei. Darin kann man sehen, was diese Sozial-
demokraten für Leute sind. Sie sind meine Todfeinde, denn ich bin Rentier
und gehöre in Folge dessen zur besitzenden und gebildeten Klasse!"

„Natürlich, und ich als Deine Gattin auch", sagte Frau Häbich und
strich kokett die Falten ihrer Schürze glatt. Sie fühlte sich so recht, die
gute Frau Häbich.

„Heutzutage", fuhr Herr Häbich gravitätisch fort, „muß man konservativ
sein, um das Gute zu erhalten. Das Gute ist für mich meine Rente.
Aber diese Sozialdemokraten wollen nicht nur Ehe und Familie auflösen,
sie wollen auch dem friedliebenden Bürger sein Eigenthum lvegnehmen und
es unter sich theilcn. Denke Dir nur, Schneider, Schuhmacher, Maurer und
Zimmerer wollen unser Vermögen unter sich theilen."

„Schändlich, kaum glaublich!" seufzte Frau Häbich.

„Kaum glaublich?" meinte Häbich. „Da sich nur, im Amtsblatt, da
steht's schwarz auf weiß!"

„Dann muß cs freilich wahr sein", antwortete die biedere Rentiersgattin.

Es klingelte. Ein Mann in etwas defektem Anzug erschien.

„Mit lvem habe ich die Ehre?" srng Herr Häbich.

„Mein Name ist Fritz Müller", sagte der Neuangekommene, sich neu-
gierig nmsehend. „Ich komme von dem Wahlkomitc der konservativen Partei
und bringe Ihnen den Stimmzettel für den konservativen Kandidaten, Herrn
Rittergutsbesitzer von Protzig."

!

„Das ist mein Mann", rief Herr Häbich.

„Jawohl", meinte der Zettclausträgcr, „das ist der richtige Mann.
Solche Leute kann man brauchen."

„Gegen die Sozialdemokraten!" meinte Frau Häbich.

„Natürlich!" bestätigte Herr Müller. „Unser Kandidat ist dafür, daß
man die Sozialdemokraten ans einer wüsten Insel im Stillen Ozean unter-
bringt. Dort mögen sie miteinander theilen."

„Aber wenn bei uns ein Sozialdemokrat gewählt würde?" fragte Frau
Häbich ängstlich.

„Das wäre allerdings ein großes Unglück", sagte der Zettelansträger
bedenklich. „Da würde cs drunter und drüber gehen. Man thut gut, wenn
man Alles in Sicherheit bringt, lvas nicht niet- und nagelfest ist."

Frau Häbich erbleichte.

„Sie haben Recht", sagte Herr Häbich nachdenklich.

„Vorhin war ich bei Herrn Rentier Sparsam", sagte der Zettelausträger.
„Der hat sein Geld, seine Werthpapiere und alle seine Kostbarkeiten in seinem
Garten vergraben."

„Hm!" meinte Herr Häbich.

„Also stimmen Sie für Herrn von Protzig", sagte der Zettelausträger.
„Der wird Sie vor all dem Unheil behüten!"

„Gelviß!"

„Adieu!"

Und der Zettelträger ging. Draußen wollte er sich ausschütten vor
Lachen.

„Man muß den guten Leutchen Angst machen, dann werden sic schon
für Herrn von Protzig stimmen", sagte er zu sich. „Aber da braucht's keine
große Mühe, die habcn's schon vorher mit der Angst. Haha!"

Fritz Müller war ein verdorbenes, arbeitsscheues und verlogenes Subjekt.
Da er sich gerade in großer Noth befand, hatte er sich als Zettelausträger
für die konservative Partei anwerbcn lassen. Er hatttc den Auftrag, dem
Spießbürgerthnm mit dem rothen Gespenst bange zu machen, und er ver-
stand dies, wie wir gesehen, ganz vortrefflich.

Herr und Frau Häbich aber saßen in stummer Bestürzung beisammen.
Endlich klopfte Häbich die lange Pfeife aus und sprach:

„Es ist nur gut, liebe Alte, daß sie unsere Ehe nicht mehr auflösen
können. Wir sind nun an die dreißig Jahre verheirathet, da geht es nicht mehr."

„Gottlob", sagte sie, „und unsere Familie können sie auch nicht zer-
stören, denn wir haben keine Kinder."
 
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