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Berlin, Mitte Januar.

Lieber Jacob!

Wir sind nu drin in't neie Jahr un missen et nehmen, wie et is.
Scheener wie et is, kann et Keener machen, un wenn de Kälte nu nich bald
nachlaßt, weeßte, denn vermiethe ick mir an Emin Pascha'n un helfe ihn
Krieg sichren jejen Wißmann. Ach so, davon weeßt Du woll noch nischt?
Na, die Beede, die zuerst een Herz un eene Seele waren, die bekriejen sich
jetzt, als ob se sich nie jekannt hätten. Vorläufig merkt man ja erst davon
wat in de Spalten von den keeniglich preißischen Reichs- un Staatsanzeijer,
wo Wißmann Emin Pascha'n beese bei Caprivi'n verpetzt. Ratierlich halte
ick als Kolonialschmärmer et ooch im heechsten Jrade vor unpassend, wenn
so'n Kunde wie Emin, der sich kaum een Paar Jahrzehnte in Afrika rum-
jedrieben hat, Wißmann, der doch alle menschliche Jntellijenz ieberhaupt in
seine Majorsepauletten un in seinen neien Adel besitzt, nich Order pariren
will! Weeßte, Jacob, wer so frech is un jehorcht nich mal eenen preiß'schen
Major, na, der soll sich man erst selbst zivilisiren lassen.

Aber wie jesagt, ick wäre janz froh, wenn mir Eener von die Beeden
eene kleene Kiste afrikanische Hitze herschicken wirde, ick sage Dir, Jacob, ick
kennte se jebranchen. Jlicklicher Weise war der Dom jeheizt, wie Stöcker
neilich seine Abschiedspredigt hielt, sonst wären am Ende de ollen Weiber,
in Hosen un Unterröcke, an ihre eijenen Thränen anjefroren, die se förmlich
literweise versoffen, so det man se nachher von die Eiszappen hätte abbrechen
missen. Ick sage ja jarnischt, Jacob, aber ick jloobe, mit den Bruder werden
wir woll hier in Berlin noch manchen scheenen Spaß erleben.

Aber, Jacob, et is wirklich een Jammer, wat Alles von den Bismarck'schen
Boom vor Zacken abfallcn. Wat is iebrig jeblieben von die janze Herrlichkeit?
„Und fallen seh' ich Blatt auf Blatt", singt ja woll so'n hochdeitscher Dichter —
ick weeß nich, ob et wahr is, indem ick mir Wesen de hohe Politik nich
allzuville mir die scheene Literatur abjeben kann — aber wenn et wahr is,
hat der Mann Recht. Puttkamer weg, Bismarck weg, Lucius weg, Krüger
weg, un nu noch Stöcker weg: un doch is der Staat noch nich zu Jrunde
jcjangen! Ick Hab' et immer jesagt, von die, die sich vor de Allerunent-
behrlichsten halten, von die merkt man am Allerwenigsten, wenn se der
Deibel erst cenmal jeholt hat.

Ra, det et in'n preiß'schen Landtag kriselt, wirste woll wissen. Ick finde
det spaßig, Du nich ooch? Wer hätte det jedacht, det de vereinigten Land-
räthe noch mal de preiß'sche Rejicrung Opposition machen würden, un wer
hätte et den Minister Herrsurth zujetraut, det er jejen die Herren so süchtig
werden könnte?

Et is nämlich een schnurrijet Ding mit de Loyalität von unsere Junker.
Die Brieder sind nämlich ooch so schlau wie Menschen un jenau so lange
rejierungsfreindlich, wie se de Rejierung alle Taschen vollstoppt. Sobald
wie det aber nich der Fall is, denn adjeh Speck, denn zeijen se jleich de
Katzenkrallen, die se sonst unter ihre Sammthandschuh dragcn, un denn kann
sich der Minister in Acht nehmen, der die Brieder in de Finger fallt.

Ra, wir können die Sache ja ruhig mit ansehen un brauchen uns des-
wejen noch lange keene Beene auszureißen, weil man doch ieberhaupt blos
zweee hat, womit ick verbleibe erjebenst un mit ville Jrieße

Dein treier

Jotthilf Raucke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Hobrlspähne. °£

Der kalte Winter hüllt die Erde
In weiße Schnee- und Eisespracht.

Und nicht allein mehr von den Schwarzen
Wird jetzt uns etwas weiß gemacht.

Die Flüsse und ine Seen decket
Des Eises Fläche silberweiß,

Und doch — der Windthorst und der Stöcker,
Die führen Niemand mehr auf's Eis.

Es ist Niemand schlauer, als die Konservativen.
Dieselben haben recht gut gewußt, was sie thaten,
als sie im Jahre 1890 bei der Schlußabstimmung
das Sozialistengesetz endgiltig zu Falle
brachten. Da sie selbst in Umsturz sich zu üben
und sogar Ministersessel zu stürzen gedachten, haben sie vorher bei Zeiten
das Gesetz gegen Umsturz aus dem Wege geräumt.

* *

*

Unsere Zollpolitiker haben sich der realistischen Literatur zugewandt,
indem sie sich auf dem Gebiete der Besteuerung mit einer Branntwein-
Novelle beschäftigen.

* *

*

O du armer „Reichsanzeiger",

Dein Gesicht wird täglich bleicher,

Denn der Herr von Hammerstein

Sperrt in Plötzensee dich ein.

* *

*

Ich hätte es dem Herrn von Hammerstein gar nicht zugetraut, daß er
mir als Schreiner Konkurrenz bieten könnte, indem er der Regierung so
viele Spähue macht.

Ihr getreuer

Säge, Schreiner.

ragendster Stelle zu inauguriren. Wie raffinirt
dieser Minister dabei vorgeht, beweist der Umstand,
daß er die konservative, von gehorsamen Polizei-
Journalisten bediente „Norddeutsche Allgemeine
Zeitung" abgesägt und den sozialdemokratischen
„Reichsanzeiger" zum Regierungsorgan gemacht
hat. Dieses Blatt lehnt sich offen gegen Herrn von
Hammerstein und ähnliche bewährte Vertheidiger
der Ordnung auf und druckt ihre Einsendungen
nicht ab, so daß Herr von Hammerstein genöthigt
ist, Polizei und Staatsanwalt anzurufen. Wohin
diese revolutionären Zustände führen, ist nicht ab-
zusehen. Wird der Landtag aufgelöst, so ist ein
von dem früheren Reichskanzler eben erst erfundenes
und von der staatserhaltendcn Partei angenommenes
Gesetz verletzt, das Gesetz, nach welchem eine Legis-
laturperiode fünf Jahre lang dauern muß. Nimmt
dann der neue Landtag die Gemeindereform an,
dann wird die Herrfurth'sche Kommune pro-
klamirt und die Hammerstein'sche allein echte und
wahre konservative Partei kalt gestellt. Wir sind
daher berufen, vor Umsturz zu warnen, denn wir
wollen die Landtagsauflösung und die Gemeinde-
reform nicht, und was wir, die Junker und Agrarier,
nicht wollen, das ist allemal Umsturz.

Kunz v. Rochow & Co.

War' ich ein Vögrlein!

„Gebt doch den armen Vögeln!"

So steht's in allen Blättern,

Seit Winterstürme wettern.

Die Menschen sind so lieb und gut;

Sie wissen, wie der Hunger thut.

Gebt doch den armen Vögeln!

Alltäglich streuen Futter

Die Tochter und die Mutter

Aufs Fenstersims am schönen Hans.

Die Spatzen halten frohen Schmaus.

Gebt doch den armen Vögeln!
Als ich des Hauses Pforte
Betrat, las ich die Worte:

„Nicht haben Bettler Zutritt hier."
Jedoch der Hunger nagt' in mir.

Gebt doch den armen Vögeln!
Bin herzhaft eingetreten
Und Hab' um Brot gebeten.

Da rief die Tochter flugs herbei
Die wohllöbliche Polizei.

Gebt doch den armen Vögeln!
Nun hinter Schloß und Riegel
Seufz' ich: O hält' ich Flügel!

O wär' ich doch ein Vögelein,

Ich würde satt und fröhlich sein!

Korpsstudenten - Entrüstung.

cheußlich! wat in unfern Tagen
Die Philister alles wagen!
Quasseln in der Presse 'rum
lieber Korpsstudententhum!

Uns're schön jehackten Nasen,

Wo die Hiebe jründlich saßen,

Unfern Stolz und uns're Ehr'

Jönnt uns kein Philister mehr.

Daß wir Modeluxus treiben,

Wenn wir ihn auch schuldig bleiben,

Daß wir pumpen, frisch, fromm, frei —
Jotte doch, wat is dabei?

Daß wir in die Kneipen laufen,

Daß wir täglich uns besaufen,

Daß der Kater immerdar

Uns dann quält, — es ist ja wahr.

Daß wir Händel provoziren,

Wenn die Leute uns „fixiren"

Stets zum Raufen sind bereit —

Det is „Burschenherrlichkeit".

Und det will man reformiren?

Wen'ger soll ick randaliren?

Wen'ger Schmisse ins Jesicht?

Nee, det seht uff Ehre nicht!

Sparsamkeit soll ick betreiben,

Soll zuweilen nüchtern bleiben!

Pumpen soll ick jar nicht mehr —

Nee, denn schämt' ick mir zu sehr!

Wat wär' ick denn for'n Studentc!

Man verlangte denn am Ende
Jar von mir det Schlimmste wohl:

Det ick ooch studiren soll!
 
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