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haben! Und wie anmuthig und geistreich sie zu plaudern wußte! Sie kennen
mein faible für schöne Augen und begreifen, daß ich über den reizenden
Maikäfer meinen Rentier ganz vergaß. Aber auch die ganze Feier gefiel
mir ungemein, es war eine so mollige Temperatur, man fühlte sich so behaglich
und ungezwungen, nichts von jener zeremoniösen Steifheit und kalten Höflich-
keit unserer Kreise. Und wie unterhaltend war das Programm: Gesang und
Instrumentalmusik wechselte mit Reden, Deklamationen, dramatischen Szenen,
Ernst und Humor waren auf's Anmuthigste verbunden. In einem Gedichte
war der Kapitalismus als Hexensabbath der Walpurgisnacht geschildert, auf
welchen der sozialistische Mai folgt. In einer dramatischen Szene wurde ein
Arbeiterschutzgesetz, wie es die Arbeiter wollen, als Maibowle dargcstellt, der
Waldmeister war natürlich der Achtstundentag. Ein Arbeiter hielt eine Rede,
worin er die Arbeiter aller Branchen aufsorderte, die neue Gesellschafts-
ordnung zu begründen: die Schreiner sollen dem Kapitalismus den Sarg
machen und alles gleich hobeln, die Zimmerleute sollen den neuen Gesellschafts-
bau zimmern, die Schneider sollen den Mantel der Gerechtigkeit anfertigen,
die Schuster sollen der Arbeiterbewegung Siebenmeilenstiefel machen u. s. w.
Was diese arme Teufel Humor haben! Prächtig war eine Rede, worin die
Arbeit als Göttin Maja (die Große) gefeiert wurde, welcher ihre Mutter,
die Natur, ihre reichen Schätze in den Schooß schüttet. Aber das Beste
kommt noch/ Ich war eben im Begriff, wieder nach meinem Rentier zu
sehen, als die Thür des kleinen Zimmers aufging und eine sonderbare Gestalt
sich ängstlich herausschob und wie besessen durch den Saal rannte. Es war
niemand anders als Hase, der von der gleichen koree majeure wie ich
zuvor hcimgesucht wurde und in seiner Angst mit dem Hausknecht seine
Kleider gewechselt hatte und so als maskirter Hausknecht aus dem Käfig
entwischte; ein neuer Falstaff. In meinem ganzen Leben habe ich nicht so
gelacht, als bei diesem Anblick, und ich konnte nicht umhin, meinem Mai-
käfer und der Tischnachbarschast das Gelächter zu erklären, was eine ungeheure
Heiterkeit hervorrief. Und als hernach der Hausknecht in den Rentierkleidern
herauskam, gab's ein unbeschreibliches Gaudium. — Der schönste Akt in der
ganzen Feier war aber das Opfer für die ausgesperrten Kollegen. Jeder
anwesende Arbeiter, und auch die Arbeiterinnen, spendeten den vierten Theil
ihres Tagesverdienstes zu deren Unterstützung. Werther Freund! Wenn wir
Fabrikanten ebenso großmüthig wären zum Besten der Nothleidenden! —
Ich will schließen und stelle Ihnen anheim, mein Schreiben dem Vereins-
vorstand vorzulegen; er möge darüber befinden, ob ich noch ferner würdig
bin, dem Verein anzugehören; bei den Gesinnungen, die ich seitdem habe
und welche ich immer mehr für die richtigen erkenne, halte ich mich nicht
mehr dazu qualifizirt. Für den Austritt aus dem Verein muß ich mich eben
durch den Eintritt in den Ehestand schadlos halten, denn — ich habe mich
dieser Tage mit meinem schönen Maikäfer verlobt.

Wenn ick nich so'n jroßer Politiker, jcwichtijer Denker un beriehmter
Kerl wäre, weeßte, wat ick denn jetzt dähte? Ick stellte mir uff'n Kopp, un
strampelte vor Verjniejen mit de Beene in de Luft. Ick habe blos bange,
det so'n Vorjehen meine Wirde mächtig Abbruch duhn kennte, wenn mir
Eener von unsere Freinde dabei ieberrumpeln wirde, un et hieße denn mit
Eenmal: „Bei Jotthilf Naucken is 'ne Schraube losjejangen, det arme Luder
is ieberjeschnappt un nu muß er uff Sommerwohnung in 'ne Jummizelle
ziehen!" Det mechte ick natierlich nich ferne, det de Leite sowat von mir
reden, denn uff mein Renommeh da bin ick eklig stolz un so leichte schmeiße
ick mir nich weg.

Aber bald feiern wir unfern internationalen Festdag, un da sind wir
janz „angter nauuh" — wie unsere französischen Brieder uff die andere
Kante von den Rhein sagen — un lassen die Freiheit, die Menschlichkeit un
die Jerechtigkeit hochleben!

Sechste, Jacob, det macht mir stolz, un ick richte mir jeistig een Paar-
Zoll höher uff. Laß alle die Menschen, die sich det jauze Jahr abrackern
un abschinden, mit ihre Familjcn ooch rausjehn in't Jricnc, laß se sich da-
rüber freien, det sc ooch in de Welt sind un nich raustrudeln, haben se nich
ooch Alle een Recht uff de Freiden, die uns de Natur bietet, oder haben se
blos det Recht, vor andere Leite jeden Dag un alle Dage zu arbeeten un
immer wieder zu arbeeten?! Nee, Jacob, die Maifeier dient eener jroßen
un jerechten Sache un de Bourgeoisie mag noch soville schimpfen un det
Maul uffreißen, mir lassen uns dadurch nich abbringen von unsre Idee, un
darum besehen wir unfern jroßen internationalen Feierdag.

Du jloobst nich, Jacob, wat sich de Bourgeoisie noch Alles bei die Mai-
feier denkt. Nebenan bei mir, da wohnt so'n dickneesijer Sechsdreierrenticr,
der hatte de Hosen nich schlecht voll. Ick jloobe, sein Urjroßvater der war
unter'n ollen Fritzen Feldwebel un der hat ihn een janz scheußlichen Mord-
jewehr hinterlassen. Eenes Dages jeh ick so bei sein' Fenster vorbei, da
sehe ick denn, wie der Kerl dasteht un richtig die olle Flinte putzt. Na, ick
denn nu ran un frage ihn denn ooch, ob er sich vielleicht als Waffenmeester
nach de Spandauer Musteranstalten vermiethen will. „Jh, Jott bewahre,"
sagt er, „ick bereite mir uff de Maifeier von de Arbeeter vor!" „Nanu,
wieso denn?" frage ick un markir den Dämlichen, „wieso denn? Sie wollen
woll Viktoria schießen?" „Nich in de Hand," sagt er, „man kann aber
nich wissen, wat passirt, un da muß man denn doch sein Hab un Jut
schitzen, un ick vertheidije meine Staatspapiere bis uff den letzten Bluts-
droppen!" Dabei kiekt mir der Kerl mit seinen Jlotzoogen mächtig wiethend
an un macht een Jesicht, als ob er eenen Borstwisch runterjeschluckt hätte.
Ick sagte ja nu weiter nischt, wunderte mir aber in'n Stillen, det se det
Exemplar noch nich als Riesen-Rhinozeros in'n Zohlogischen Jarten uff-
jenommen hatten.

Aber die Sorte is noch nich mal de schlimmste. Bille ekliger sind
nämlich die Brieder, die mit sojenannte jeistije Waffen kämpfen; wenn ick
so'n Kameel sehe, denn fehlen mir blos immer noch neununzwanzig Jroschen
an'n Dahler. Un wat sind in de letzte Zeit nich Alles vor jeistije Waffen
jejen uns anjewandt worden?! Du meine Jiete, da kann Eenen orndtlich
schlimm werden, wenn man blos dran denkt. Die allerjeistreichste Waffe,
die det Unternehmerthum zur Verhinderung der Maifeier in Petto hatte,
det war natierlich der Hunger, un den kennen de besten Menschen uff de
Dauer nich aushalten. Aber der zieht, un mit Hilfe von den klapperbeenigen
Bruder verstehen die Herren Arbeetjeber, wie se sich so ferne nennen Heeren,
Manchet durchzusetzen. Aber diesmal konnten se uns nich an de Wimpern
klimpern, wir demonstriren vor den achtstündijen Arbeetsdag, det man Alles
so roocht, un da soll hier bei uns in de janze Nachbarschaft keen Ooge brocken
bleiben, mit welchen Wunsch ick verbleibe erjebenst un mit ville Jrieße

Dein treier

Jotthilf Naucke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Hobrlspähne.

Bergmann, Schiffer, Bürger, Bauer,
Schlosser, Schreiner, Feilenhauer,

Euch heut' grüß' ich kollegial!

Mag uns sonst die Welt auch trennen,
Heute wir uns Brüder nennen,
lind Kollegen sind wir all',

Denn wir schaffen frohen Muthes
Heut' ein Werk, ein großes, gutes!

* _ *

Die Maifeier sei ins Wasser gefallen, logen
im vorigen Jahre die Bourgeoisblätter. Dieselben
werden sich diesmal bei Zeiten rühren und einen
ganzen Ozean von Wasser zusammenlügen müssen,
um auch die heurige Maifeier hineinfallen zu lassen.

Der Dampf, mit dem Eisen gepaart —

Und doch — bei der Lohnarbeit Hasten

Ward noch keine Stunde gespart?

Was hilfreiche Kräfte vollenden,

Gereicht, statt zum Heil, uns zum Fluch!

Ihr, denen die Schätze sie spenden,

O sagt: wann bekommt Ihr genug?

* *

*

Man könnte die widerspenstigen Abgeordneten, welche jeden Arbeiter-
schutz bekämpfen, sehr leicht für die Achtstundcnbewegung gewinnen. Man
brauchte sie nur zu nöthigcn, eine längere Zeitperiodc täglich selbst acht
Stunden körperlich zu arbeiten und dabei die dürftige Kost unserer Arbeiter
zu genießen, dann würden sie ganz gewiß keine Verlängerung der täglichen
Anstrengung wünschen.

*

Was sie duften die Maienblüthen,

Was sie summen die Maikäfer all',

Und was die Philister auch wüthen

Ob der Maifeier Jubelschall —

Verweht wird es spurlos vom Wind,

Vom Mailüsterl lieblich und lind.

* *

*

Die Arbeiter lammen überall zu kurz, nur die Arbeitszeit kann

man ihnen gar nicht lang genug bemessen.

* *

*

Viel könnt' ich noch sagen,

Doch thu' ich es nicht, —

Zur Maifeier eil' ich
Und mache jetzt Schicht.

Ihr getreuer

Säge, Schreiner.
 
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