- 1003
wie manche Quatschköppe behaupten, sondern dunnemals, wie ick noch so'n
kleenet Meechen war un wie jrade so'n strenger Winter rejierte, da habe
ick mir meinen Jesichtsvorsprung een Bisken verfroren un von damals her
hat det Ding die Kupperfarbe bis uff den heitijen Dag behalten. Ooch sonst
habe ick jrade nich vill Sylphidenhaftet in meine Fijur, indem mir mal vor
Langeweile so'n kleener Bauch stehen jeblieben is.
Aber det schad't Allens nischt, denke Dir, ick bin in die neie Lattenlaube
injeschnoppt un beschäftig mir mit weiter nischt als wie mit Schnarchen,
un det habe ick raus. Un so schlafe ick nu un schlafe, Jahr un Dag, un
alle meine Mitmenschen un sonstig Zeitjenossen haben den ollen Jotthilf
Naucke längst versessen. In die Laube haben sich in'n Laufe der Zeit mächtig
ville Spinnen anjesiedelt un haben soville Nester jesponnen, det ick jarnich
mehr zu sehen bin. Mit eenmal kommt eenes Dages — jenau wie in det
Märchen der verwunschene Prinz — een Staatsbeamter mit eenen blauen
Aktendeckel unter den Arm, drängelt sich durch die Spinnenjewebe durch,
tippt mir mit 'ne Amtsmiue uff de Schulter, un sagt in seinen Dienstton:
„Herr Naucke, haben Sie die Liebenswürdigkeit, jetzt zu erwachen; Sie sind
von heute ab — „Staatsrentier"!" Un damit legt er mir drei einzelne
Nickel uff den Disch, holt drei neie Kupperfennije raus, un sucht in seine
Taschen noch nach den drittel Fennig. Na, ick habe doch ooch Bildung
jelernt, obgleich ick denn lange jeschlafen habe, ick weeß also, wat sich jeheert,
un winke jnädig ab, indem ick ihn den drittel Fennig davor überlaste, det
er mir rechtzeitig jeweckt hat.
Un denn, Jacob — sehste, ick kennte jetzt schon de jauze Welt umarmen, denn
ji.tge det Schlaraffenleben los! Warum kann det nu nich schon Alles heile sind?!
Et is im Leben häßlich injerichtet, det mang de Dornen jleich de Disteln stehn.
Aber, lieber Jacob, Du nimmst mir doch meine Friehlingstreimereieu
nich etwa iebel? Det wierde ick mindestens dämlich finden, denn wenn de
Rosen anfangen zu blichen, denn is ooch der solideste Kerl vor Poetische
Empfindungen nich sicher. Un det ick mindestens eener von de jreeßten
Dichter bin, det wirste mir doch woll nach det Fantasiejemälde, wat ick Dir
hier eben man so hinjcschmissen habe, nich etwa abstreiten wollen? Der
Friehling steigt mir mächtig in'n Kopp, schade, det ick nich schriftlich singen
kann, sonst wierde ick Dir sofort anjröhlen, un denn mißtest De zujebcn,
det ick den erwähnten Kater siegreiche Konkurrenz mache.
Vorläufig aber verbleibe ick, wie immer, erjebenst un mit ville Jricße
Dein treier Jotthilf Naucke.
An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
Merkwürdigkeit.
Dnsecke: Det Merkwürdigste bei det Reichstagsjebeide is doch, det der
olle Moltke un andere jroße Militarier noch rin dürfen.
Pusecke: Wo so?
Dnsecke: Na, det Lokal, wo sich de Rothen so breit machen, hätte
doch längst der Militär besuch entzogen werden müssen!
Hobelspälzne.
Die Herren vom Eisenfache
In ihrem geheimen Bund,
Wie wirkten sie doch so eifrig
Für's Volkswohl zu jeder Stund'.
Sie liebten die Arbeiter innig,
Sie sorgten, daß Polizei
Den Arbeiter wirksam beschütze
Am Tage des ersten Mai.
Sie gaben dreitausend Märklein,
Sie sahen die Summe nicht an,
Drum lasset uns loben und rühmen
Die Firma Fritz Kühnemann.
* *
* «
Das Rothaverden ist bei Großindustriellen
nicht leicht zu befürchten, indessen sollen einige Mit-
glieder des Geheimbundes der Metall-Industriellen doch wenigstens blaß
geworden sein, als sie plötzlich ihre intimsten Geheimnisse veröffentlicht sahen.
* %
Wenn noch so lang der Winter war,
Zuletzt bricht doch der Frühling aus —
Doch eines wird jetzt offenbar:
Wenn in Berlin das „hohe Hans"
Mit der Sozialreform sich plagt,
Und wenn es noch so lange tagt —
Dabei kommt nie etwas heraus.
* *
„Alte Liebe rostet nicht," denken die Nationallibcralcn, da fahren
sic noch immer fort, Bismarck's Stiefel zu bc — sehen.
* *
*
War auch das Glück ihm nochmals hold
Hat seine Wahl er dnrchgesetzt —
Es fehlt ihm doch das beste jetzt:
Sein Glorienschein, das Welfeng old.
* *
Zu Pfingsten schmückt sich Alles mit frischem Grün. Auch die
Einwände der konservativen Reichstagsredner gegen den Normalarbeitstag
kommen mir recht grün vor.
Ihr getreuer Säge, Schreiner.
-
Die Schrecken deF Mormalarbeitstags.
Berlepsch, Hartmann, Leuschner, Möller,
Stumm und Andre, die noch heller,
Fürchten Schrecken, Noth und Plag'
Vom normalen Arbeitstag.
Wenn die Arbeitszeit normal ist,
Groß der Unternehmer Qual ist,
Denn es wird alsdann bei Nacht
Niemals mehr Profit gemacht.
Wird der Arbeitsmann entbunden
Von der Arbeit nach zehn Stunden,
Uebermüthig wird er da!
Treibt vielleicht Allotria.
Thut den Arbeitsschutz vertheid'gen,
Thut den König Stumm beleid'gen,
Liest den „Wahren Jacob" gar,
Denket, denket! die Gefahr!
Zur Versammlung wohl er schreitet,
Sozialismus er verbreitet.
Denu es wird nicht jedes Mal
Abgetrieben das Lokal.
Ist das Unheil dann im Fließen,
Thut mau wohl den Streik beschließen,
Welchen nicht verhindern kann
Immer der Fritz Kühnemann.
Und das Ausland wird dann lachen,
Wenn die Firmen hier verkrachen,
Weil zu viel nicht übrig bleibt,
Wenn man etwas Lupus treibt.
Nein, das kann der Staat nicht wollen,
Und er muß deu unheilvollen,
Den normalen Arbeitstag
Stets verneinen ohne Frag'.
Dieser käm' ja nur zu Nutze
Einem wahren Arbeitsschutze,
Und das Kapital vereint
Ruft: So ist es nicht gemeint!
Die Maifeier.
A. : Es hieß doch, am 1. Mai sollte diesmal keine Einstellung der
Arbeit erfolgen, und doch haben viele Tausende am 1. Mai nicht ge-
arbeitet.
B. : Wer sind denu diese hochverräthcrischen Menschen?
A. : Na, Rentiers, Börsianer, Agrarier u. s. w.
B. : Ja so! Da kann Fritz Kühnemaun freilich nicht einschreiten, da
war er selbst dabei!
Naive Frage.
Afrikaner (der einem von Enropäern angerichteten Gemetzel entronnen ist, zu
einem Missionär): Giebt es in Europa bei den Einwohnern verschiedene
Berufszweige?
Missionär: Gewiß; Schneider, Schuster, Schreiner u. s. w.
Afrikaner: Warum kommen aber dann immer nur die Metzger
nach Afrika?
Frühjahrs-Modrbericht des „Wahren Iarob."
Obgleich die Sonne nun endlich zu ihrem Rechte gekommen ist und
die Welt in Blüthen steht, so war das diesjährige kalte Frühjahr doch auf
die Mode der Saison nicht ohne Einfluß. Es macht sich noch immer eine
merkwürdige Vorliebe für Pelzwerk und ähnliche schützende Stoffe geltend.
In agrarischen Kreisen trägt man den Schafspelz, der innen mit Wolf ge-
füttert ist; die Ultramoutanen, welche in ihrer Trauer um Wiildthorst noch
schwärzer ausschen wie sonst, hängen sich ein arbeiterfreundliches Mäntelchen
über die Schultern; amtliche Sozialreformer sieht man immer sehr zugeknöpft;
in Kreisen der Zünftler leistet man sich zuweilen den Lupus einer Löwen-
haut. Die Steuerzahler machen diese kompakte Frühjahrsmode insofern mit,
als sie ein sehr dickes Fell haben und sich über nichts mehr wundern.
Bei den ehemaligen Fortschrittlern bürgert sich der Demokraten-Barth wieder
ein, der seine scharf gedrehten Spitzen gegen den Arbeiterschutz richtet. Die
seit Langem übliche Manchestertracht war in diesem Frühjahr noch nicht zu
verdrängen, sie wird theilweise sogar ergänzt durch eine phrygische Mütze,
welche mit Juchtenleder gefüttert ist. Diese Kopfbedeckung soll in sinnreicher
Weise andeuten, daß ihre Träger für die Freiheit der Ausbeutung kämpfen.
Die „weißen Blousen," welche während des Sozialistengesetzes eingeführt
wurden, sieht man jetzt seltener, sie werden nur noch versteckt getragen und
die Volksrechtbeschneider suchen neue Formen dafür. Auch nach deu Spitzen,
die in sozialistengesetzlichcn Zeiten in Handel gebracht wurden, besonders
nach den Mustern „Puttkamer" und „Krüger", ist hin und wieder Nach-
frage. Gewisse Leute möchten gern das gemeine Recht damit ausstaffircn.
•— Was die Frauen-Moden betrifft, so sind bei alten Weibern die „Ham-
burger Nachrichten" sehr beliebt, weil sie den nöthigen Stoff für den poli-
tischen Kaffeeklatsch liefern; auch die „Münchener Allgemeine Zeitung" dient
diesem Zwecke, doch muß inan bei letzterer, weil sie gar so trocken ist, immer
eine Tasse Kaffee mehr trinken. Junge Mädchen interessiren sich hingegen
für die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung", tveil sie das Liebesverhältniß
des alten Pindter mit der neuen Aera verfolgen und gespannt sind, ob diese
Beiden sich noch kriegen. Auch die Geschichte vom Welfenschatz, der von
seinen früheren Liebhabern so grausam gerupft wurde und nun in eine
Besserungsanstalt verwiesen werden soll, weil er die Prostitution der Presse
und anderer Institutionen gefördert hat, findet allgemeines Interesse. In
Sachsen riskiren es einige besonders muthige Vorkämpscrinnen der neuen
Mode bereits wieder, rothe Strümpfe zu tragen. Im Wahlkreis des
Abgeordneten Müllensiefen trägt man mit Vorliebe Vergißmeinnicht,
was jedenfalls auf die arbeiterfreundlichen Versprechungen des Volksvertreters
Bezug hat.
wie manche Quatschköppe behaupten, sondern dunnemals, wie ick noch so'n
kleenet Meechen war un wie jrade so'n strenger Winter rejierte, da habe
ick mir meinen Jesichtsvorsprung een Bisken verfroren un von damals her
hat det Ding die Kupperfarbe bis uff den heitijen Dag behalten. Ooch sonst
habe ick jrade nich vill Sylphidenhaftet in meine Fijur, indem mir mal vor
Langeweile so'n kleener Bauch stehen jeblieben is.
Aber det schad't Allens nischt, denke Dir, ick bin in die neie Lattenlaube
injeschnoppt un beschäftig mir mit weiter nischt als wie mit Schnarchen,
un det habe ick raus. Un so schlafe ick nu un schlafe, Jahr un Dag, un
alle meine Mitmenschen un sonstig Zeitjenossen haben den ollen Jotthilf
Naucke längst versessen. In die Laube haben sich in'n Laufe der Zeit mächtig
ville Spinnen anjesiedelt un haben soville Nester jesponnen, det ick jarnich
mehr zu sehen bin. Mit eenmal kommt eenes Dages — jenau wie in det
Märchen der verwunschene Prinz — een Staatsbeamter mit eenen blauen
Aktendeckel unter den Arm, drängelt sich durch die Spinnenjewebe durch,
tippt mir mit 'ne Amtsmiue uff de Schulter, un sagt in seinen Dienstton:
„Herr Naucke, haben Sie die Liebenswürdigkeit, jetzt zu erwachen; Sie sind
von heute ab — „Staatsrentier"!" Un damit legt er mir drei einzelne
Nickel uff den Disch, holt drei neie Kupperfennije raus, un sucht in seine
Taschen noch nach den drittel Fennig. Na, ick habe doch ooch Bildung
jelernt, obgleich ick denn lange jeschlafen habe, ick weeß also, wat sich jeheert,
un winke jnädig ab, indem ick ihn den drittel Fennig davor überlaste, det
er mir rechtzeitig jeweckt hat.
Un denn, Jacob — sehste, ick kennte jetzt schon de jauze Welt umarmen, denn
ji.tge det Schlaraffenleben los! Warum kann det nu nich schon Alles heile sind?!
Et is im Leben häßlich injerichtet, det mang de Dornen jleich de Disteln stehn.
Aber, lieber Jacob, Du nimmst mir doch meine Friehlingstreimereieu
nich etwa iebel? Det wierde ick mindestens dämlich finden, denn wenn de
Rosen anfangen zu blichen, denn is ooch der solideste Kerl vor Poetische
Empfindungen nich sicher. Un det ick mindestens eener von de jreeßten
Dichter bin, det wirste mir doch woll nach det Fantasiejemälde, wat ick Dir
hier eben man so hinjcschmissen habe, nich etwa abstreiten wollen? Der
Friehling steigt mir mächtig in'n Kopp, schade, det ick nich schriftlich singen
kann, sonst wierde ick Dir sofort anjröhlen, un denn mißtest De zujebcn,
det ick den erwähnten Kater siegreiche Konkurrenz mache.
Vorläufig aber verbleibe ick, wie immer, erjebenst un mit ville Jricße
Dein treier Jotthilf Naucke.
An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
Merkwürdigkeit.
Dnsecke: Det Merkwürdigste bei det Reichstagsjebeide is doch, det der
olle Moltke un andere jroße Militarier noch rin dürfen.
Pusecke: Wo so?
Dnsecke: Na, det Lokal, wo sich de Rothen so breit machen, hätte
doch längst der Militär besuch entzogen werden müssen!
Hobelspälzne.
Die Herren vom Eisenfache
In ihrem geheimen Bund,
Wie wirkten sie doch so eifrig
Für's Volkswohl zu jeder Stund'.
Sie liebten die Arbeiter innig,
Sie sorgten, daß Polizei
Den Arbeiter wirksam beschütze
Am Tage des ersten Mai.
Sie gaben dreitausend Märklein,
Sie sahen die Summe nicht an,
Drum lasset uns loben und rühmen
Die Firma Fritz Kühnemann.
* *
* «
Das Rothaverden ist bei Großindustriellen
nicht leicht zu befürchten, indessen sollen einige Mit-
glieder des Geheimbundes der Metall-Industriellen doch wenigstens blaß
geworden sein, als sie plötzlich ihre intimsten Geheimnisse veröffentlicht sahen.
* %
Wenn noch so lang der Winter war,
Zuletzt bricht doch der Frühling aus —
Doch eines wird jetzt offenbar:
Wenn in Berlin das „hohe Hans"
Mit der Sozialreform sich plagt,
Und wenn es noch so lange tagt —
Dabei kommt nie etwas heraus.
* *
„Alte Liebe rostet nicht," denken die Nationallibcralcn, da fahren
sic noch immer fort, Bismarck's Stiefel zu bc — sehen.
* *
*
War auch das Glück ihm nochmals hold
Hat seine Wahl er dnrchgesetzt —
Es fehlt ihm doch das beste jetzt:
Sein Glorienschein, das Welfeng old.
* *
Zu Pfingsten schmückt sich Alles mit frischem Grün. Auch die
Einwände der konservativen Reichstagsredner gegen den Normalarbeitstag
kommen mir recht grün vor.
Ihr getreuer Säge, Schreiner.
-
Die Schrecken deF Mormalarbeitstags.
Berlepsch, Hartmann, Leuschner, Möller,
Stumm und Andre, die noch heller,
Fürchten Schrecken, Noth und Plag'
Vom normalen Arbeitstag.
Wenn die Arbeitszeit normal ist,
Groß der Unternehmer Qual ist,
Denn es wird alsdann bei Nacht
Niemals mehr Profit gemacht.
Wird der Arbeitsmann entbunden
Von der Arbeit nach zehn Stunden,
Uebermüthig wird er da!
Treibt vielleicht Allotria.
Thut den Arbeitsschutz vertheid'gen,
Thut den König Stumm beleid'gen,
Liest den „Wahren Jacob" gar,
Denket, denket! die Gefahr!
Zur Versammlung wohl er schreitet,
Sozialismus er verbreitet.
Denu es wird nicht jedes Mal
Abgetrieben das Lokal.
Ist das Unheil dann im Fließen,
Thut mau wohl den Streik beschließen,
Welchen nicht verhindern kann
Immer der Fritz Kühnemann.
Und das Ausland wird dann lachen,
Wenn die Firmen hier verkrachen,
Weil zu viel nicht übrig bleibt,
Wenn man etwas Lupus treibt.
Nein, das kann der Staat nicht wollen,
Und er muß deu unheilvollen,
Den normalen Arbeitstag
Stets verneinen ohne Frag'.
Dieser käm' ja nur zu Nutze
Einem wahren Arbeitsschutze,
Und das Kapital vereint
Ruft: So ist es nicht gemeint!
Die Maifeier.
A. : Es hieß doch, am 1. Mai sollte diesmal keine Einstellung der
Arbeit erfolgen, und doch haben viele Tausende am 1. Mai nicht ge-
arbeitet.
B. : Wer sind denu diese hochverräthcrischen Menschen?
A. : Na, Rentiers, Börsianer, Agrarier u. s. w.
B. : Ja so! Da kann Fritz Kühnemaun freilich nicht einschreiten, da
war er selbst dabei!
Naive Frage.
Afrikaner (der einem von Enropäern angerichteten Gemetzel entronnen ist, zu
einem Missionär): Giebt es in Europa bei den Einwohnern verschiedene
Berufszweige?
Missionär: Gewiß; Schneider, Schuster, Schreiner u. s. w.
Afrikaner: Warum kommen aber dann immer nur die Metzger
nach Afrika?
Frühjahrs-Modrbericht des „Wahren Iarob."
Obgleich die Sonne nun endlich zu ihrem Rechte gekommen ist und
die Welt in Blüthen steht, so war das diesjährige kalte Frühjahr doch auf
die Mode der Saison nicht ohne Einfluß. Es macht sich noch immer eine
merkwürdige Vorliebe für Pelzwerk und ähnliche schützende Stoffe geltend.
In agrarischen Kreisen trägt man den Schafspelz, der innen mit Wolf ge-
füttert ist; die Ultramoutanen, welche in ihrer Trauer um Wiildthorst noch
schwärzer ausschen wie sonst, hängen sich ein arbeiterfreundliches Mäntelchen
über die Schultern; amtliche Sozialreformer sieht man immer sehr zugeknöpft;
in Kreisen der Zünftler leistet man sich zuweilen den Lupus einer Löwen-
haut. Die Steuerzahler machen diese kompakte Frühjahrsmode insofern mit,
als sie ein sehr dickes Fell haben und sich über nichts mehr wundern.
Bei den ehemaligen Fortschrittlern bürgert sich der Demokraten-Barth wieder
ein, der seine scharf gedrehten Spitzen gegen den Arbeiterschutz richtet. Die
seit Langem übliche Manchestertracht war in diesem Frühjahr noch nicht zu
verdrängen, sie wird theilweise sogar ergänzt durch eine phrygische Mütze,
welche mit Juchtenleder gefüttert ist. Diese Kopfbedeckung soll in sinnreicher
Weise andeuten, daß ihre Träger für die Freiheit der Ausbeutung kämpfen.
Die „weißen Blousen," welche während des Sozialistengesetzes eingeführt
wurden, sieht man jetzt seltener, sie werden nur noch versteckt getragen und
die Volksrechtbeschneider suchen neue Formen dafür. Auch nach deu Spitzen,
die in sozialistengesetzlichcn Zeiten in Handel gebracht wurden, besonders
nach den Mustern „Puttkamer" und „Krüger", ist hin und wieder Nach-
frage. Gewisse Leute möchten gern das gemeine Recht damit ausstaffircn.
•— Was die Frauen-Moden betrifft, so sind bei alten Weibern die „Ham-
burger Nachrichten" sehr beliebt, weil sie den nöthigen Stoff für den poli-
tischen Kaffeeklatsch liefern; auch die „Münchener Allgemeine Zeitung" dient
diesem Zwecke, doch muß inan bei letzterer, weil sie gar so trocken ist, immer
eine Tasse Kaffee mehr trinken. Junge Mädchen interessiren sich hingegen
für die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung", tveil sie das Liebesverhältniß
des alten Pindter mit der neuen Aera verfolgen und gespannt sind, ob diese
Beiden sich noch kriegen. Auch die Geschichte vom Welfenschatz, der von
seinen früheren Liebhabern so grausam gerupft wurde und nun in eine
Besserungsanstalt verwiesen werden soll, weil er die Prostitution der Presse
und anderer Institutionen gefördert hat, findet allgemeines Interesse. In
Sachsen riskiren es einige besonders muthige Vorkämpscrinnen der neuen
Mode bereits wieder, rothe Strümpfe zu tragen. Im Wahlkreis des
Abgeordneten Müllensiefen trägt man mit Vorliebe Vergißmeinnicht,
was jedenfalls auf die arbeiterfreundlichen Versprechungen des Volksvertreters
Bezug hat.