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Vergessenheit gerieth, sollten ihre Traditionen, wie die der Kommune
von 1792, noch bis spät in unser Jahrhundert hinein sich geltend
machen. Durch Buonarotti, den Geschichtsschreiber der Verschwörung
der Gleichen, der nachgeborenen Generation übermittelt, leben sie in
den geheimen Verbindungen der Restaurationsepoche wieder ans, die
sie ans die des Bürgerkönigthums und des zweiten Kaiserreichs
weiter vererben.

Man muß sich den Einfluß dieser Verschwörungen nicht allzu
gering vorstellen. Haben sie auch nicht die Rolle gespielt, die ihnen
die Polizeiphantasie der reaktionären Regierungen und die Einbil-
dungskraft der Revolutionsromantiker angedichtet, haben sie auch
weder die Revolution des Februar 1848 noch die Aufstände des
4. September 1870 und des 18. März 1871 „gemacht," so haben
sie doch überall die Hand im Spiel gehabt und vielfach durch kühne
Handstreiche verhindert, daß der Unwillen der Menge sich in zweck-
losen Demonstrationen verlief. Die Konspirateure des neunzehnten
Jahrhunderts sind, wie Marx einmal schreibt, die Alchymisten der
Revolution, und es ist bekannt, daß die Wissenschaft der Alchemie
manche werthvolle Entdeckung verdankt. Aber der Alchemist kommt
über gewisse fixe Ideen nicht hinaus, und ebensowenig der Ver-
schwörer von Beruf, sei er nun italienischer Carbonari, spanischer
Republikaner oder französischer Kommunist alter Schule. Er huldigt
einer Art revolutionärem Wunderglauben und ist stets bereit, eine
Revolution ins Werk zu setzen, auch wenn alle Bedingungen einer
solchen fehlen; er fragt nicht, ob die Umstände eine revolutionäre
Aktion nöthig oder wünschenswerth machen, sondern immer nur,
ob die äußerliche Veranlassung zu einer solchen gegeben ist. Sie
ist ihm mehr Zweck als Mittel zum Zweck. Die französischen
Revolutionsverschwörer pflegten daher auf alle Arbeiterverbindungen,
ob geheime oder öffentliche, die nicht die unmittelbare Putschmacherei,
sondern die sozialistische Propaganda und die Organisation des Pro-
letariats als Klasse zum Zweck hatten, mit souveräner Verachtung
herabzublicken. Jede andere Vorbereitung, als die mit „revolutionärer
Kriegswissenschaft," war zwecklose, wenn nicht schädliche Zeitver-
schwendnng. Um ein guter Revolutionär zu sein, genügte ein in-
stinktiver Haß gegen jede bestehende Regierung und die besitzenden
Klassen, und die Landsknechteigenschaften Muth und Disziplin.
Andererseits wurden die Verschwörer von den propagandistischen
Arbeitergruppen meist mit großem Mißtrauen angesehen, da sich
unter ihnen naturgemäß stets ein großer Prozentsatz von Regierungs-
agenten befand.

Die Februarrevolution ließ diesen Gegensatz zwischen den
Sozialisten der verschiedenen Schulen einerseits und den sozialrevo-
lutionären Putschmachern andererseits zu keinem schrofferen Ausdruck
kommen, toeil beide sich — von den Ueberläusern abgesehen —
sehr bald in der Opposition gegen die zur Herrschaft gelangten
bürgerlichen Parteien zusammenfanden. Der Eifer dieser, die Ar-
beiter um ihren Antheil am Sieg über das Bürgerkönigthum zu
prellen, glich alle Fehler aus, die der Doktrinarismus der Sozialisten
und der ungestüme Thatendrang der Sozialrevolutionäre zu begehen
vermochte, und ertränkte alle ihre Herrschaft bedrohenden politischen und
sozialen Aspirationen des Proletariats im Blutbad der Junimetzelei.

Aehnlich in der Pariser Kommune von 1871. Auch hier
fanden sich plötzlich proletarische Sozialisten und Revolutionsver-
schwörer aller Art im Widerstand gegen die regierende Bourgeoisie
zusammen, aber diesmal berufen, selbst eine Art Gegenregierung
zu bilden, im Besitz politischer und militärischer Machtmittel, im
Besitz von Paris, dem Kopf Frankreichs. Wiederum verhinderte
der merkwürdige politische Instinkt, der die Pariser Arbeiter in
revolutionären Situationen auszeichnet, daß die Gegensätze zu offenen
Feindseligkeiten führten, die verschiedenen Fraktionen im Schooße
der Kommune hielten so gute, wenn nicht bessere Waffengemein-
schaft, als noch je bürgerliche Parteien, die zu gemeinsamen Aktionen
berufen worden. Der Umstand, daß sie sich aus verschiedenen
Fraktionen zusammeusetzte, hat an sich den Untergang oder die Art
des Untergangs der Kommune nicht verschuldet. Das Wie dieser
Fraktionen ist in dieser Beziehung von viel größerer Bedeutung gewesen.

Die große Mehrheit der Mitglieder der Kommune bestand ans
Blanquisten und anderen Sozialrevolutionären — mit wenigen Aus-
nahmen alle nur Sozialisten aus revolutionärem Instinkt, theils

auch nur aus revolutionärer Phrase. Ihr Jdeenkreis bestand aus
Reminiszenzen aus der großen französischen Revolution, versetzt mit
etlichen Schlagwörtern späterer Erhebungen. „Die soziale Revolution
des neunzehnten Jahrhunderts," schreibt Marx im „Achtzehnten
Brumaire," „kann nicht mit sich selbst beginnen, bevor sie allen
Aberglauben an die Vergangenheit abgestreift hat. Die früheren
Revolutionen bedurften der weltgeschichtlichen Rückerinnerungen, um
sich über ihren eigenen Inhalt zu betäuben. Die Revolution des
neunzehnten Jahrhunderts muß die Todten ihre Todten begraben
lassen, um bei ihrem eigenen Inhalt anzukommen." Genau das
Gegentheil war der Fall bei den Wortführern der Pariser Kommune.
Sie schwelgten förmlich in weltgeschichtlichen Rückerinnerungen.
Die Kommune selbst sollte eigentlich nur eine solche sein — eine
Wiederholung der revolutionären Kommune von 1792. Nun bot ja
die Situation wirklich einige Analogien mit der jenes Jahres, aber eben
auch nur Analogien. Der Feind, der ins Land eingedrungen war,
sah etwas anders aus als der Feind von 1792, er stand nicht
blos figürlich, sondern buchstäblich vor den Thoren von Paris und
hielt daselbst eine Reihe wichtiger strategischer Punkte besetzt, und
die Reaktionäre im Innern hatten nicht heimlich mit diesem Feinde
konspirirt, sondern offen und vor aller Welt vor ihm kapitnlirt und
waren eben im Begriff, mit ihm Frieden zu schließen, gestützt auf
das Mandat, das ihnen die Wählerschaft des Landes ertheilt. Roch
bedeutungsvoller jedoch waren die Veränderungen in den sozialen
und ökonomischen Verhältnissen, die das Frankreich von 1871 von
dem Frankreich von 1792 unterschieden. Wo war der „Tiers Etat,“
der, seiner Kraft sich bewußt geworden, für seine Herrschaft Himmel
und Hölle gegen die Aristokratie in Bewegung zu setzen entschlossen
war ? Wo die Bauern, die soeben die Schlösser der Adligen nieder-
gebrannt und für die der Sieg der Verbündeten die Rückkehr der
Unterdrücker bedeutete? Das Bürgerthum hatte als Klasse erreicht,
was es brauchte, und wollte jetzt, nach dem Kriege, vor Allem
seine Ruhe haben. Die Bauern hatten ebenfalls kein Interesse an
der Fortsetzung des Krieges — im Gegentheil, sie hatten ja grade
jene „Ruraux", die Krautjunkermajorität, nach Bordeaux entsendet,
gegen die Paris sich jetzt auflehnte. Statt ans alle Klassen außer
den Aristokraten, konnte die Kommune sich nur auf eine Klaffe, das
Proletariat, stützen, dem in Paris das radikale Kleinbürgerthum zur
Seite stand. Und wenn es auch gegen 1792 und gegen 1848 gewaltig
fortgeschritten war, so war das Proletariat doch noch nicht stark
genug, gegen die mit den Bauern koalirte Bourgeoisie aufzukommeu.

Von alledem gaben sich die Berufsrevolutionäre in Paris keine
Rechenschaft. Mit ein paar Schlagworten und Versprechungen
glaubten sie den veränderten Verhältnissen vollauf Rechnung ge-
tragen zu haben und das Land gegen die nach Versailles über-
siedelte Nationalversammlung aufrufen zu können, noch ehe sie der-
selben Zeit gegeben, sich in den Augen des Landes, gegenüber ihren
eigenen Wählern, zu kompromittiren. Die Pariser Kommune
von 1792 führte, als sie gegen die Gemäßigten in der Konstituante
vorgiug, einen Kamps, der das ganze Land unmittelbar interessirte,
die Kommune von 1871 nahm den Kampf mit Versailles um einer
Frage willen auf, die mittelbar allerdings auch das Land anging,
zunächst ihm aber als eine lokale Angelegenheit von Paris er-
scheinen mußte. Sie konnte daher hier und da Sympathien er-
wecken, aber Führerin der Kommune von Frankreich war sie vor-
läufig nur in ihrer Einbildung.

Aber selbst wenn man über alle Unterschiede zwischen 1792
und 1871 hinwegsieht und sich an die äußerlichen Analogien hält,
that die Kommune von 1871 wenigstens ihrerseits das, was die
Kommune von 1792 gethan? Mit Nichten. Die Männer der
That ließen die günstigsten Gelegenheiten der Aktion nutzlos ver-
streicheu. Die Kommune von 1792 war nicht vor den September-
morden zurückgeschreckt, die Kommune von 1871 Zögerte, nach
Versailles Zu ziehen und die Nationalversammlung zu besetzen, sie
beschränkte sich solange auf die bloße Vertheidigung, bis der Gegner
Kräfte genug gesammelt, selbst zum Angriff überzugehen. Ihr
Zögern ist begreiflich; vor die Thatsachen gestellt, mußte man sich
jedesmal der Verschiedenartigkeit der Situation bewußt werden, aber
in der Phrase drapirte man sich um so ängstlicher in das Gewand
jener glorreichen Epoche.
 
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