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Aber die Massenerschießungen hörten damit nicht auf, bis in
den Juni hinein dauerten sie fort. Man machte ihnen erst ein
Ende, als die Leichen sich so häuften, daß es unmöglich wurde,
sie rasch genug fortzuschaffen und die Gefahr einer Seuche entstand.
Mindestens zwanzigtausend Menschen sind auf diese Weise ohne
Urtheil geschlachtet worden.
Die Soldaten Napoleon III. waren mehr gegen den innern
Feind gedrillt worden, als gegen den äußern. Man hatte sie ge-
lehrt, die Proletarier grimmiger zu hassen, als die Preußen: Was
Wunder, daß sie sich dieser „Erziehung" würdig zeigten?
Selbst ein Theil der ausländischen Presse wurde von unersätt-
licher Grausamkeit ergriffen. Die Londoner „Naval and Military
Gazette" vom 27. Mai schrieb: „Wir sind der entschiedenen Ansicht,
nähme am Kommuneaufstand 38 568 Personen, worunter 1058
Frauen und 651 Kinder, deren jüngstes sieben Jahre zählte!
Zweitausend erlagen den Qualen des Gefängnißlebens, zehn-
tausend kamen vor die Kriegsgerichte.
Die Revolution von 1848 hatte die Todesstrafe fiir politische
Verbrechen abgeschafft. Selbst Napoleon III. wagte es nicht, diese
Bestimmung aufzuheben, und begnügte sich mit der „trockenen
Guillotine," der Deportation. Thiers und seine Helfershelfer
waren erfinderischer als der Dezembermann. Sie erklärten die
Kämpfer der Kommune nicht für politische, sondern für gemeine
Verbrecher, für Diebe und Mordbrenner, und durften sie daher
tödten — von Rechtswegen.
lieber dreizehntansend Anklagen wurden vor den Kriegsgerichten
III. Kriegsgericht in St. Cloud.
daß der Strick ein viel zu sanfter Tod für diese Schurken ist, und
wenn die Arzneiwissenschaft einigen Vortheil ans der anatomischen
Zergliederung dieser Uebelthäter bei lebendigem Leib
ziehen kann, sehen wir kein Hinderniß für solche Experimente."
Da entrüfte sich noch Jemand über die Inquisition!
Aber glücklich diejenigen, die sofort gemordet wurden, gegen-
über denjenigen, die man der trockenen Guillotine überlieferte.
Während des Transports in die Versailler Gefängnisse den
empörendsten Mißhandlungen und Brutalitäten preisgegeben,
wurden die Gefangenen, dort angelangt, in feuchten Kellerlöchern
oder in freien, dem Sonnenbrand ausgesetzten Höfen zusammen-
gepfercht, ohne Lager, anfangs selbst ohne Stroh, ohne Wasser,
sich zu waschen, ohne Mittel, Kleider und Wäsche zu wechseln,
ohne ausreichende Nahrung. Nicht blos Männer, auch Weiber
und Kinder mußten Wochen und Monate lang in diesen grauen-
haften Pferchen zubringen. Nach den lügenhaften, noch zu niedrig
gegriffenen Aufstellungen der Versailler verhafteten sie wegen Theil-
verhandelt, darunter dreitausend in contumaciam. Vou den An-
geklagten wurden zweihundertfünfundachtzig zum Tode verurtheilt,
darunter acht Frauen, und über siebentausend zur Deportation —
darunter sechsunddreißig Frauen und ein Kind.
Die zur Deportation Verurtheilten wurden nach Neu-Caledonien
ins größte Elend gesandt.
Nur langsam arbeiteten die Kriegsgerichte; noch 1876 kamen
Verhaftungen und Verurtheilungen vor.
-i- *
Und was war die Folge dieser entsetzlichen Metzeleien?
Wohl lähmte der furchtbare Aderlaß das französische Proletariat
einige Zeit. Aber schon gegen Ende der siebziger Jahre finden
wir wieder eine kräftige sozialistische Bewegung in Frankreich;
rasch wird das sozialistische Proletariat wieder eine Macht, mit
der man rechnen muß, deren Gefolgschaft sich zu sichern die
bürgerlichen Radikalen manche Konzession bieten. Siegreich macht
sich die Anschauung Bahn, daß die Erhebung der Kommune von
Aber die Massenerschießungen hörten damit nicht auf, bis in
den Juni hinein dauerten sie fort. Man machte ihnen erst ein
Ende, als die Leichen sich so häuften, daß es unmöglich wurde,
sie rasch genug fortzuschaffen und die Gefahr einer Seuche entstand.
Mindestens zwanzigtausend Menschen sind auf diese Weise ohne
Urtheil geschlachtet worden.
Die Soldaten Napoleon III. waren mehr gegen den innern
Feind gedrillt worden, als gegen den äußern. Man hatte sie ge-
lehrt, die Proletarier grimmiger zu hassen, als die Preußen: Was
Wunder, daß sie sich dieser „Erziehung" würdig zeigten?
Selbst ein Theil der ausländischen Presse wurde von unersätt-
licher Grausamkeit ergriffen. Die Londoner „Naval and Military
Gazette" vom 27. Mai schrieb: „Wir sind der entschiedenen Ansicht,
nähme am Kommuneaufstand 38 568 Personen, worunter 1058
Frauen und 651 Kinder, deren jüngstes sieben Jahre zählte!
Zweitausend erlagen den Qualen des Gefängnißlebens, zehn-
tausend kamen vor die Kriegsgerichte.
Die Revolution von 1848 hatte die Todesstrafe fiir politische
Verbrechen abgeschafft. Selbst Napoleon III. wagte es nicht, diese
Bestimmung aufzuheben, und begnügte sich mit der „trockenen
Guillotine," der Deportation. Thiers und seine Helfershelfer
waren erfinderischer als der Dezembermann. Sie erklärten die
Kämpfer der Kommune nicht für politische, sondern für gemeine
Verbrecher, für Diebe und Mordbrenner, und durften sie daher
tödten — von Rechtswegen.
lieber dreizehntansend Anklagen wurden vor den Kriegsgerichten
III. Kriegsgericht in St. Cloud.
daß der Strick ein viel zu sanfter Tod für diese Schurken ist, und
wenn die Arzneiwissenschaft einigen Vortheil ans der anatomischen
Zergliederung dieser Uebelthäter bei lebendigem Leib
ziehen kann, sehen wir kein Hinderniß für solche Experimente."
Da entrüfte sich noch Jemand über die Inquisition!
Aber glücklich diejenigen, die sofort gemordet wurden, gegen-
über denjenigen, die man der trockenen Guillotine überlieferte.
Während des Transports in die Versailler Gefängnisse den
empörendsten Mißhandlungen und Brutalitäten preisgegeben,
wurden die Gefangenen, dort angelangt, in feuchten Kellerlöchern
oder in freien, dem Sonnenbrand ausgesetzten Höfen zusammen-
gepfercht, ohne Lager, anfangs selbst ohne Stroh, ohne Wasser,
sich zu waschen, ohne Mittel, Kleider und Wäsche zu wechseln,
ohne ausreichende Nahrung. Nicht blos Männer, auch Weiber
und Kinder mußten Wochen und Monate lang in diesen grauen-
haften Pferchen zubringen. Nach den lügenhaften, noch zu niedrig
gegriffenen Aufstellungen der Versailler verhafteten sie wegen Theil-
verhandelt, darunter dreitausend in contumaciam. Vou den An-
geklagten wurden zweihundertfünfundachtzig zum Tode verurtheilt,
darunter acht Frauen, und über siebentausend zur Deportation —
darunter sechsunddreißig Frauen und ein Kind.
Die zur Deportation Verurtheilten wurden nach Neu-Caledonien
ins größte Elend gesandt.
Nur langsam arbeiteten die Kriegsgerichte; noch 1876 kamen
Verhaftungen und Verurtheilungen vor.
-i- *
Und was war die Folge dieser entsetzlichen Metzeleien?
Wohl lähmte der furchtbare Aderlaß das französische Proletariat
einige Zeit. Aber schon gegen Ende der siebziger Jahre finden
wir wieder eine kräftige sozialistische Bewegung in Frankreich;
rasch wird das sozialistische Proletariat wieder eine Macht, mit
der man rechnen muß, deren Gefolgschaft sich zu sichern die
bürgerlichen Radikalen manche Konzession bieten. Siegreich macht
sich die Anschauung Bahn, daß die Erhebung der Kommune von