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W)en. Na, bet schabt't Alles nischt, de Hauptsache is, bet bet Herz jut is
un de^ Kinder schlafen.
Ja, sehste, Jacob, so jeht et zu in be Welt, ber Eeene hat ben Beitel
HJ1 der Anbere hat bet Jelb. Ick bin stets meines Lebens een ruhijer
Staatsbirjer jewesen, ber keene Stiebelwichse fraß unb feene Fensterladen
’Kn’n Kaffee stippte, un wenn ick manchmal keene Steiern bezahle, so liejt
blos daran, bet mir zuweilen de Puste ausjeht un der Draht fehlt,
bet
aber '„e beese Absicht leitet mir dabei weiter nich. Vor Alles, Wat Obrijkeit
b^eßt, habe ick den jreeßtmöglichsten Respekt, un Widerstand jejen irjmd
eene Staatsgewalt wirde ick nie besehen. Un sehste, Jacob, die Hochachtung,
d'e ick in mir fiehle, die überdrage ick ooch uff alle Leite, die uff irjend eene
Aoeise vor ihre Verdienste ausjezeichnet sind. Wenn ick so'n Kommissions-
fahh wie Pindtern blos von Weiten sehe, denn schwenke ick schon meine
M'tze, schreie Hurrah, un fange an Bauch zu rutschen. Ja, so bin ick.
Aber Du weeßt jewiß Widder nich, wo ick druff raus will. Haste nischt
bon den Prozeß Manche jelesen? Na also, denn wirste doch woll wahr-
icheinlich ooch wissen, bet et Orden, Ehrenzeichen un sonstije Titel bei uns
blos vor wirkliche Verdienste siebt. Du natierlich mit Deinen dicken Kopp
Iloobst bet nich un sagst steif un feste, bet der Ordensrurnmel bei uns jenau
detselbe Kaliber jeschoben Wirde, wie dunnemals in Frankreich von Wilson
stu Konsorten. Aber, Jacob, nimm mir bet nich iebel, manchmal kommst
De mir wirklich so vor, als wenn De mit'n Luftballon icberjcfahren wärst.
kannste denn nu blos een wildet Land mit unser jesejnetet, rietet,
doitschet Reich verjleichen?! Ree, ieber Dir aber ooch! Bei uns jeht Allens
hach Recht und Jerechtigkeit, un Jeld un sonne Sachen sind in keener Be-
gehung im Spiele. Rich in de Hand! Natierlich, et siebt ja so Eener,
der ferne so'n Biskcn Kommerzienrath spielen mechte, janz jerne so'n drcißig-
dausend Märker vor wohlthätije Jnrichtungen hin, nä, un wenn denn der
Draht bei so'n hohen Beamten, der vor lauter Pflichttreie schon janz schief
und pucklig is, hängen bleibt — denkste, bet is vor so'n Beamten keene
^bohlthat? Aber sauber, sage ick Dir, nn Du jloobst jarnich, Wat so'n
hoher Beamter an Wohlthätigkeitsinrichtungen »ertragen kann. Na, un
denn die Dekorirten un mit sonstije Titel Behängten. Wat meenste woll,
-Eacob, wat Die nu so in de öffentliche Meinung vor Achtung jenießm!
So'n Kommerzienrath, so'n Kommissionsrath, so'n rother Ädlerorden oder
anderer Piepmatz vierter Jiete — bet is jetzt bet Eenzije, wat noch 'n
Disken zieht. Wat mojen unter so'n buntet Bändeken nich vor Jcfiehle
schlummern, namentlich wenn der Dekorirte janz jenau weeß, bet jeder
Andere ooch weeß, wat die Jeschichte kost. Nee, der Thierjarten is wirklich
n Bisken jroß, un bet et immer noch Brummochsen siebt, die vor sonnen
Mumpitz Jeld ausjeben, bet is cn Triumph, uff den de birjerliche Jescll-
schaft mit Fug nn Recht stolz sein kann.
Ick bin blos froh, bet ick mit die Kreise, die Orden und Titel zu ver-
leben haben, so jut wie jar keene Verbindung habe, sonst kennte et mir
hm Ende doch noch passiren, det ick wejen meine villseitigen Verdienste um
Staat nn Jesellschaft villcicht mit den rothen Knob'lochsorden siebenter
blasse mit kreizweise übereinander liejende Mostrichlöffel ausjezeichnet Wirde,
oder se jeden mir jar eenen ledernen Orden mit'n Loch drin zum Um-
hängen — bet wäre ooch nich schlecht, un den Feez, den et bei die Jelejen-
heit hier nfs unfern Kiez jeben wirde, den mißtest de denn blos seh'n.
Et wäre so schien jewesen, lieber Jacob, wenn ick meine Schreiben
immer als „Keeniglich preißischer Kommerzienrath" an Dir hätte unter-
schreiben kennen, villcicht noch mit den Zusatz „Ritter hoher Orden" —
aber, na, ick muß ct mir noch verkneifen, villcicht später — mit welcher
Hoffnung ick verbleibe wie immer erjebenst un mit ville Jrieße
Dein treier Jotthilf Naucke.
An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
Hobrlsxähnr.
Vom Sozialistenkongresse
Wie les' ich so.viel in den Blättern!
Alltäglich ein Philosophiren,
Ein Nörgeln, ein Grollen, ein Wettern!
So scheint sich veränderte Taktik
Bei unseren Gegnern zu zeigen:
Dereinst, zu Beginn unsres Kampfes
War Losung, uns todtzuschweigen.
Dann kam der Versuch, uns zu schlagen
Mit Hilfe von Ausnahmsgesetzen;
Da Alles nichts half, so versucht man
Am Ende, uns todtzuschwätzen.
Mehrere Zeitungen phantasiren von einer möglichen Auflösung des
Reichstages. Das ist nur bildlich zu nehmen, denn unsere Reichstags-
Majorität wird sich in Wonne und Ergebenheit anflöscn, wenn man
ihr Gelegenheit giebt, sich der Regierung durch Bewilligung neuer Militär-
forderungen dienstbar zu zeigen.
Es ist im Leben häßlich eingerichtet.
Daß bei den Rosen gleich die Dornen steh'n,
Und daß die Schmeichler und die Egoisten
Im Rath der Großen immer vorne steh'n.
In der heutigen Gesellschaft huldigt Mancher dem Rückschritt, um
besser vorwärts zu kommen.
-ft ^ *
Der Widerstand der Druckereibesitzer gegen den Nennstundentag ist
nicht unüberwindlich. Wenn diese Herren „Nein" sagen, werden sie auch
„Neun" sagen lernen.
Ihr getreuer Säge, Schreiner.
Der alte Dhonograph.
2ur Naturgeschichte de« gciltigrn Rumpfes wider
die Sozialdemokratie.
.. Nicht alle Erfinder haben Gluck und so manchem
'll es nicht beschicden, die Früchte seiner jahre-
mngen geistigen Anstrengungen zu ernten. So ging
^uch einem Manne, der lange vor Edison einen
Phonographen erfunden hatte. Der Apparat sunktio-
’’u'te ganz gut und gab die hineingesprochenen
^orte nach beliebiger Zeit ganz deutlich wieder;
"ur einige Male versagte er und er hätte vielleicht
hur „och einer kleinen Verbesserung bedurft, um
jhn vollkommen zu machen Aber der Erfinder
fand keine Anerkennung, weder bei Staatsmännern,
Noch bei Kapitalisten und wo er sonst immer seine
Erfindung behufs Ausbeutung vorzeigte. Er stieß
überall auf das gewöhnliche Mißtrauen, das man
ben Erfindern entgegenbringt, und bekam dieselben
abweichenden Worte zu hören. Hier sagte man
Mn, daß sich so viele Irrlehren in die modernen
TMssenschaften eingeschlichen hätten und daß ein Jeder
M nun für berufen hielte, ein Weltverbesserer
Zu werden; dort hieß es, das sei geradezu eine
Aushebung der persönlichen Freiheit, wenn
Man Alles auffangen und aufbewahrcn könne, was
gesprochen werde, und müsse zu einem Zwangs-
und Polizeistaat führen, und anderswo wies
>nan ihr, ^ib mit den Worten, seine Erfindung be-
ruhe überhaupt auf lauter Phantasterei. Ver-
gsbenz berief er sich daraus, welche Erleichterungen
Wr den schriftlichen und mündlichen Verkehr sein
Apparat bewirken könne. Man entgegnete ihm,
bas seien lauter Hirngespinnste und wenn man
Jl7 auf alle solche Erfindungen einlassen wolle, so
wurde das zu einer allgemeinen Verwirrung
fuhren. Dem Erfinder lief endlich auch die Galle
über, als er sich überall so schnöde abgewiesen sah,
und er machte seinem Zorn in Zeituncssartikeln
Luft. Das verschlimmerte indessen seine Sache
nur, denn als er schließlich seine Erfindung doch
wieder anbot, hieß man ihn einen Hetzer und
Aufwiegler, der die Unzufriedenheit schüre
und den Klassen haß Predige. Man erklärte ihm
ganz offen, daß man mit einem solchen Projekten-
macher nichts zu thun haben wolle, der es sich
zur Aufgabe gemacht habe, den Pöbel gegen die
gebildeten und besitzenden Klassen zu
Hetzen, und daß er sich nicht wundern dürfe,
wenn man sich gegen seine unberechtigten Angriffe
wehren werde. Auch warf man ihm vor, er könne
keine genügende Auskunft geben, wie sich die
Zukunft gestalten müsse, wenn sein Apparat in
Wirksamkeit sei.
Der Erfinder gab die Hoffnung endlich auf,
seinen Apparat an den Mann zu bringen, und zog
sich grollend in ein Stillleben zurück. Den Phono-
graphen, der ihm so viel Verdruß gebracht, mochte
er gar nicht mehr sehen. Um nicht in Versuchung
zu kommen, sich doch wieder mit der Erfindung zu
beschäftigen, und um sie zu vergessen, ließ er den
Apparat einmauern, und zwar in der Wand seiner
Wohnung zu Berlin, Zimmerstraße 7/8.
Die Welt vergaß den Apparat und den Er-
finder, nachdem in den Zeitungen so viel über
beide geschrieben worden, und es kam Edison, welcher
bei den praktischen Amerikanern mit seinem Phono-
graphen sogleich das beste Entgegenkommen fand.
Der deutsche Erfinder starb vergessen und un-
beachtet und ohne daß Jemand erfuhr, wohin das
einst so vielbesprochene Instrument gekommen war.
Lange Zeit nach dem Tode des Erfinders wurde
in dem Hause, wo der unglückliche Mann verstorben
war, ein Ofen eingesetzt und ein Rohr durch die
Wand geführt. Bei dieser Gelegenheit wurde die
Stelle, wo der Phonograph eingemauert >var, blos-
gelegt. Alsbald fing es in dem alten Apparat zu
schnurren und zu rasseln an; die Federn setzten sich
in Bewegung, die so lange geruht hatten, und der
Phonograph fnnktionirtc ganz vortrefflich. Die
kräftigen Fäuste der Arbeiter hatten seinen Mechanis-
mus in Gang gebracht. Aus der Wand hörte
man ganz deutlich die Worte heraustönen, die
einst der Apparat aufgefangen hatte, als sein un-
glücklicher Erfinder von Staatsmännern und Kapi-
talisten abgewiesen wurde. Da scholl es heraus:
„Irrlehren" — „Weltverbesserer" — „Aufhebung
der persönlichen Freiheit" — „Zwangs- und Polizei-
staat" — „Phantasterei" — „Hirngespinnste" —
„allgemeine Verwirrung" — „Aufwiegler" — „Un-
zufriedenheit" — „Klassenhaß" — „Pöbel" —
„besitzende Klassen" — „keine Auskunft" — „Zu-
kunftsstaat."
Die Arbeiter horchten verwundert auf und
einer meinte:
„Das hört sich ja gerade an, als ob hier der
Geist von einem verstorbenen freisinnigen Reise-
prediger umginge!"
Im anstoßenden Zimmer aber saß ein Mann
mit einem dicken Kopf, der vor sich ein unbeschrie-
benes Papier liegen und auf der Jagd nach einer
Idee an seiner Feder gekaut hatte. Es schien aber
keine Idee aufsteigen zu wollen.
Da schwirrten die Schlagworte des alten Phono-
graphen durch die Luft und das Antlitz des nach-
denkenden Mannes verklärte sich. „Ich hab's,"
rief er freudig. Eine höhere Eingebung war ihm
gekommen und rasch bedeckte sich das Papier mit
der Weisheit des alten Phonographen.
Als er zu Ende war, gab er dem Ganzen den
Titel.
„Die Irrlehren der Sozialdemokratie.
Von Eugen Richter."
W)en. Na, bet schabt't Alles nischt, de Hauptsache is, bet bet Herz jut is
un de^ Kinder schlafen.
Ja, sehste, Jacob, so jeht et zu in be Welt, ber Eeene hat ben Beitel
HJ1 der Anbere hat bet Jelb. Ick bin stets meines Lebens een ruhijer
Staatsbirjer jewesen, ber keene Stiebelwichse fraß unb feene Fensterladen
’Kn’n Kaffee stippte, un wenn ick manchmal keene Steiern bezahle, so liejt
blos daran, bet mir zuweilen de Puste ausjeht un der Draht fehlt,
bet
aber '„e beese Absicht leitet mir dabei weiter nich. Vor Alles, Wat Obrijkeit
b^eßt, habe ick den jreeßtmöglichsten Respekt, un Widerstand jejen irjmd
eene Staatsgewalt wirde ick nie besehen. Un sehste, Jacob, die Hochachtung,
d'e ick in mir fiehle, die überdrage ick ooch uff alle Leite, die uff irjend eene
Aoeise vor ihre Verdienste ausjezeichnet sind. Wenn ick so'n Kommissions-
fahh wie Pindtern blos von Weiten sehe, denn schwenke ick schon meine
M'tze, schreie Hurrah, un fange an Bauch zu rutschen. Ja, so bin ick.
Aber Du weeßt jewiß Widder nich, wo ick druff raus will. Haste nischt
bon den Prozeß Manche jelesen? Na also, denn wirste doch woll wahr-
icheinlich ooch wissen, bet et Orden, Ehrenzeichen un sonstije Titel bei uns
blos vor wirkliche Verdienste siebt. Du natierlich mit Deinen dicken Kopp
Iloobst bet nich un sagst steif un feste, bet der Ordensrurnmel bei uns jenau
detselbe Kaliber jeschoben Wirde, wie dunnemals in Frankreich von Wilson
stu Konsorten. Aber, Jacob, nimm mir bet nich iebel, manchmal kommst
De mir wirklich so vor, als wenn De mit'n Luftballon icberjcfahren wärst.
kannste denn nu blos een wildet Land mit unser jesejnetet, rietet,
doitschet Reich verjleichen?! Ree, ieber Dir aber ooch! Bei uns jeht Allens
hach Recht und Jerechtigkeit, un Jeld un sonne Sachen sind in keener Be-
gehung im Spiele. Rich in de Hand! Natierlich, et siebt ja so Eener,
der ferne so'n Biskcn Kommerzienrath spielen mechte, janz jerne so'n drcißig-
dausend Märker vor wohlthätije Jnrichtungen hin, nä, un wenn denn der
Draht bei so'n hohen Beamten, der vor lauter Pflichttreie schon janz schief
und pucklig is, hängen bleibt — denkste, bet is vor so'n Beamten keene
^bohlthat? Aber sauber, sage ick Dir, nn Du jloobst jarnich, Wat so'n
hoher Beamter an Wohlthätigkeitsinrichtungen »ertragen kann. Na, un
denn die Dekorirten un mit sonstije Titel Behängten. Wat meenste woll,
-Eacob, wat Die nu so in de öffentliche Meinung vor Achtung jenießm!
So'n Kommerzienrath, so'n Kommissionsrath, so'n rother Ädlerorden oder
anderer Piepmatz vierter Jiete — bet is jetzt bet Eenzije, wat noch 'n
Disken zieht. Wat mojen unter so'n buntet Bändeken nich vor Jcfiehle
schlummern, namentlich wenn der Dekorirte janz jenau weeß, bet jeder
Andere ooch weeß, wat die Jeschichte kost. Nee, der Thierjarten is wirklich
n Bisken jroß, un bet et immer noch Brummochsen siebt, die vor sonnen
Mumpitz Jeld ausjeben, bet is cn Triumph, uff den de birjerliche Jescll-
schaft mit Fug nn Recht stolz sein kann.
Ick bin blos froh, bet ick mit die Kreise, die Orden und Titel zu ver-
leben haben, so jut wie jar keene Verbindung habe, sonst kennte et mir
hm Ende doch noch passiren, det ick wejen meine villseitigen Verdienste um
Staat nn Jesellschaft villcicht mit den rothen Knob'lochsorden siebenter
blasse mit kreizweise übereinander liejende Mostrichlöffel ausjezeichnet Wirde,
oder se jeden mir jar eenen ledernen Orden mit'n Loch drin zum Um-
hängen — bet wäre ooch nich schlecht, un den Feez, den et bei die Jelejen-
heit hier nfs unfern Kiez jeben wirde, den mißtest de denn blos seh'n.
Et wäre so schien jewesen, lieber Jacob, wenn ick meine Schreiben
immer als „Keeniglich preißischer Kommerzienrath" an Dir hätte unter-
schreiben kennen, villcicht noch mit den Zusatz „Ritter hoher Orden" —
aber, na, ick muß ct mir noch verkneifen, villcicht später — mit welcher
Hoffnung ick verbleibe wie immer erjebenst un mit ville Jrieße
Dein treier Jotthilf Naucke.
An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
Hobrlsxähnr.
Vom Sozialistenkongresse
Wie les' ich so.viel in den Blättern!
Alltäglich ein Philosophiren,
Ein Nörgeln, ein Grollen, ein Wettern!
So scheint sich veränderte Taktik
Bei unseren Gegnern zu zeigen:
Dereinst, zu Beginn unsres Kampfes
War Losung, uns todtzuschweigen.
Dann kam der Versuch, uns zu schlagen
Mit Hilfe von Ausnahmsgesetzen;
Da Alles nichts half, so versucht man
Am Ende, uns todtzuschwätzen.
Mehrere Zeitungen phantasiren von einer möglichen Auflösung des
Reichstages. Das ist nur bildlich zu nehmen, denn unsere Reichstags-
Majorität wird sich in Wonne und Ergebenheit anflöscn, wenn man
ihr Gelegenheit giebt, sich der Regierung durch Bewilligung neuer Militär-
forderungen dienstbar zu zeigen.
Es ist im Leben häßlich eingerichtet.
Daß bei den Rosen gleich die Dornen steh'n,
Und daß die Schmeichler und die Egoisten
Im Rath der Großen immer vorne steh'n.
In der heutigen Gesellschaft huldigt Mancher dem Rückschritt, um
besser vorwärts zu kommen.
-ft ^ *
Der Widerstand der Druckereibesitzer gegen den Nennstundentag ist
nicht unüberwindlich. Wenn diese Herren „Nein" sagen, werden sie auch
„Neun" sagen lernen.
Ihr getreuer Säge, Schreiner.
Der alte Dhonograph.
2ur Naturgeschichte de« gciltigrn Rumpfes wider
die Sozialdemokratie.
.. Nicht alle Erfinder haben Gluck und so manchem
'll es nicht beschicden, die Früchte seiner jahre-
mngen geistigen Anstrengungen zu ernten. So ging
^uch einem Manne, der lange vor Edison einen
Phonographen erfunden hatte. Der Apparat sunktio-
’’u'te ganz gut und gab die hineingesprochenen
^orte nach beliebiger Zeit ganz deutlich wieder;
"ur einige Male versagte er und er hätte vielleicht
hur „och einer kleinen Verbesserung bedurft, um
jhn vollkommen zu machen Aber der Erfinder
fand keine Anerkennung, weder bei Staatsmännern,
Noch bei Kapitalisten und wo er sonst immer seine
Erfindung behufs Ausbeutung vorzeigte. Er stieß
überall auf das gewöhnliche Mißtrauen, das man
ben Erfindern entgegenbringt, und bekam dieselben
abweichenden Worte zu hören. Hier sagte man
Mn, daß sich so viele Irrlehren in die modernen
TMssenschaften eingeschlichen hätten und daß ein Jeder
M nun für berufen hielte, ein Weltverbesserer
Zu werden; dort hieß es, das sei geradezu eine
Aushebung der persönlichen Freiheit, wenn
Man Alles auffangen und aufbewahrcn könne, was
gesprochen werde, und müsse zu einem Zwangs-
und Polizeistaat führen, und anderswo wies
>nan ihr, ^ib mit den Worten, seine Erfindung be-
ruhe überhaupt auf lauter Phantasterei. Ver-
gsbenz berief er sich daraus, welche Erleichterungen
Wr den schriftlichen und mündlichen Verkehr sein
Apparat bewirken könne. Man entgegnete ihm,
bas seien lauter Hirngespinnste und wenn man
Jl7 auf alle solche Erfindungen einlassen wolle, so
wurde das zu einer allgemeinen Verwirrung
fuhren. Dem Erfinder lief endlich auch die Galle
über, als er sich überall so schnöde abgewiesen sah,
und er machte seinem Zorn in Zeituncssartikeln
Luft. Das verschlimmerte indessen seine Sache
nur, denn als er schließlich seine Erfindung doch
wieder anbot, hieß man ihn einen Hetzer und
Aufwiegler, der die Unzufriedenheit schüre
und den Klassen haß Predige. Man erklärte ihm
ganz offen, daß man mit einem solchen Projekten-
macher nichts zu thun haben wolle, der es sich
zur Aufgabe gemacht habe, den Pöbel gegen die
gebildeten und besitzenden Klassen zu
Hetzen, und daß er sich nicht wundern dürfe,
wenn man sich gegen seine unberechtigten Angriffe
wehren werde. Auch warf man ihm vor, er könne
keine genügende Auskunft geben, wie sich die
Zukunft gestalten müsse, wenn sein Apparat in
Wirksamkeit sei.
Der Erfinder gab die Hoffnung endlich auf,
seinen Apparat an den Mann zu bringen, und zog
sich grollend in ein Stillleben zurück. Den Phono-
graphen, der ihm so viel Verdruß gebracht, mochte
er gar nicht mehr sehen. Um nicht in Versuchung
zu kommen, sich doch wieder mit der Erfindung zu
beschäftigen, und um sie zu vergessen, ließ er den
Apparat einmauern, und zwar in der Wand seiner
Wohnung zu Berlin, Zimmerstraße 7/8.
Die Welt vergaß den Apparat und den Er-
finder, nachdem in den Zeitungen so viel über
beide geschrieben worden, und es kam Edison, welcher
bei den praktischen Amerikanern mit seinem Phono-
graphen sogleich das beste Entgegenkommen fand.
Der deutsche Erfinder starb vergessen und un-
beachtet und ohne daß Jemand erfuhr, wohin das
einst so vielbesprochene Instrument gekommen war.
Lange Zeit nach dem Tode des Erfinders wurde
in dem Hause, wo der unglückliche Mann verstorben
war, ein Ofen eingesetzt und ein Rohr durch die
Wand geführt. Bei dieser Gelegenheit wurde die
Stelle, wo der Phonograph eingemauert >var, blos-
gelegt. Alsbald fing es in dem alten Apparat zu
schnurren und zu rasseln an; die Federn setzten sich
in Bewegung, die so lange geruht hatten, und der
Phonograph fnnktionirtc ganz vortrefflich. Die
kräftigen Fäuste der Arbeiter hatten seinen Mechanis-
mus in Gang gebracht. Aus der Wand hörte
man ganz deutlich die Worte heraustönen, die
einst der Apparat aufgefangen hatte, als sein un-
glücklicher Erfinder von Staatsmännern und Kapi-
talisten abgewiesen wurde. Da scholl es heraus:
„Irrlehren" — „Weltverbesserer" — „Aufhebung
der persönlichen Freiheit" — „Zwangs- und Polizei-
staat" — „Phantasterei" — „Hirngespinnste" —
„allgemeine Verwirrung" — „Aufwiegler" — „Un-
zufriedenheit" — „Klassenhaß" — „Pöbel" —
„besitzende Klassen" — „keine Auskunft" — „Zu-
kunftsstaat."
Die Arbeiter horchten verwundert auf und
einer meinte:
„Das hört sich ja gerade an, als ob hier der
Geist von einem verstorbenen freisinnigen Reise-
prediger umginge!"
Im anstoßenden Zimmer aber saß ein Mann
mit einem dicken Kopf, der vor sich ein unbeschrie-
benes Papier liegen und auf der Jagd nach einer
Idee an seiner Feder gekaut hatte. Es schien aber
keine Idee aufsteigen zu wollen.
Da schwirrten die Schlagworte des alten Phono-
graphen durch die Luft und das Antlitz des nach-
denkenden Mannes verklärte sich. „Ich hab's,"
rief er freudig. Eine höhere Eingebung war ihm
gekommen und rasch bedeckte sich das Papier mit
der Weisheit des alten Phonographen.
Als er zu Ende war, gab er dem Ganzen den
Titel.
„Die Irrlehren der Sozialdemokratie.
Von Eugen Richter."