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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0077

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2423

Helle herein. Nach einiger Zeit bemerkte er!
seitlich in der Ferne einen rothen Schein, ein
Feuer, vielleicht von einem brennenden Kohlen-
meiler. Dann waren auch Menschen dort, die
ihn zurechtweisen konnten.
Das Roth wurde satter und satter. Die
Bäume erglühten von ihm. Das Feuer brannte
auf einer freien Waldstelle. Aber seltsam, weder
Holz noch Kohle nährten es, sondern die Flammen
züngelten und loderten unmittelbar vom Boden
auf. Sie hegten ein längliches Rund ein, in
dessen Mitte eine uralte Eiche mit mächtigem
Geäst stand. An dem Stamm war eine rothe
Fahne befestigt und es schien Siegfried, als ob
in dieselbe mit Gold eine ausgehende Sonne
gestickt war. Auch bemerkte er, daß unter der
Eiche es wie von Erz schimmerte, in dem sich
das Feuer blutroth widerspiegelte. Was mochte
es nur sein? Neugierig umging er das Feuer,
aber der Gürtel desselben umschloß lückenlos
das Geheimnis;. Nun, er war ja als Knabe
über manches Sonnwendfeuer gesprungen und
er war ja ein Feuerarbeiter. So wagte er
den Sprung durch die lodernden Flammen und
er gelang. Unversehrt stand er innerhalb des
Kreises. Was er unter der Linde gesehen,
waren hohe, dicht aneinander gefügte Schilde.
Er riß sie auseinander. Da lag auf einer
Rasenbank ein von Kopf bis zu Fuß in Eisen
Gekleideter. Das Gesicht verschüttete der Helm.
Siegfried hob ihn ab. Einem Bergbache gleich
sprudelte eine Fluth goldigen Gelocks hervor
und aus ihr tauchte ein Antlitz auf von hoher,
fast strenger Schönheit. Es war ein Weib. Es
athmete, lebte, und langsam hob es die Lider
von großen blauen, noch traumbefaugenen
Augen. Jetzt gewahrte es den jungen Gesellen
und betrachtete, sich aufrecht setzend, mit Staunen
den Staunenden.
„Wer bist du? Wie bist du zu mir ge-
drungen?"
„Siegfried heiß' ich, ein Schmied bin ich und
kam durch das Feuer", antwortete er und konnte
die Blicke von ihrer wunderbaren Schönheit
nicht wenden. „Wer bist du?"
Sie sah nachdenklich auf das Feuer, das
allmälig in sich versank, dann auf ihn und end-
lich sagte sie: „So bist du derjenige, der mir
verkündet ward." Ihre Stimme klang hell wie
Silber. Sie entfernte die Eisenhandschuhe und
zog ihn mit ihrer weißen Rechten neben sich
auf die Rasenbank. „Solch' Gewand wie du
trugen die Männer nicht", fuhr sie fort, „als
ich auf meinem weißen Roß im Wetter der
Schlachten dahcrsprengte und mir die Kühnsten
kürte, um sie zu den ewigen Freuden in Wal-
halla zu führen. Walküre war ich, und weil
ich gehüllt in der Brüne, dem Panzer ging,
ward ich Bruuhilde geheißen. Einst geschah es,
daß zwei Brüder in Streit miteinander ge-
riethen. Der ältere war der reichere und stärkere
und Wodan verhieß ihm den Sieg; denn er
liebt Macht und Besitz und alles, was von
Ansehen und Erfolg ist. Mich aber erbarmte
der jüngere Bruder, weil er der schwächere und
im Recht war, und ich heftete den Sieg au
sein Schwert. Darob zürnte Wodan, stieß mir
den Schlafdorn ins Haupt, schildete mich und
umgab mich mit wallender Lohe, so wie du
mich fandest. So sollte ich schlafen, bis es einer
wagte, durch das Feuer zu mir zu dringen.
Demjenigen Manne sollte ich mich geloben."
„Walküren, Wodan, Walhalla? Sagen und
Märchen berichten noch von ihnen", murmelte
er wie ein Träumender. Sich aufrüttelud, fuhr
er lebhafter fort: „Du Arme hast lange schlafen
müssen. Denn wisse, daß es an die zweitausend
Jahre her ist, seitdem schon auf Wodans Hoch-
sitz ein neuer Gott thront."

„Ein neuer Gott? Der Gott des Lichtes?"
fragte Bruuhilde mit freudig erstrahlenden
Augen. „So hat das goldene Zeitalter be-
gonnen? Wohl mir, daß ich die grausige Götter-
dämmerung verschlief."

„Du wirst dich mit eigenen Augen an dieser
goldenen Zeit erlaben", lachte Siegfried bitter.
„Wohl ist ein neuer Gott aufgekommen, Frieden
verkündigte er und Befreiung aller Mühseligen
und Beladenen. Aber Krieg Aller gegen Alle
ist die Losung. Eigennutz ist Herr, Gewalt
triumphirt, Macht ist Recht und die Wölfe
gehen in Schafspelzen. Feigheit, Knechtssinn,
Ehr- und Habsucht liegen schmeichelnd zu Füßen
i der Vornehmen und Reichen und diese wälzen


sich in Lüsten und Lastern. Ja, für sie ist das
goldene Zeitalter da und sie spielen mit Gold.
Aber es ist unser, der Arbeiter Fleiß und
Schweiß, der es schuf und schafft, während wir
selber entbehren und darben, leiblich wie geistig,
und die Menschenwürde in uns mit Füßen ge-
treten wird."
„Aber das ist die Götterdämmerung, die
weissagt worden ist", rief sie mit erstarrenden
Blicken. „Denn aus solch greulicher Verderbniß,
wie du sie schilderst, sollte entbrennen der Ver-
nichtungskampf, der alle dahinrafft, Menschen,
Niesen und Götter. Hernach aber würde die
Erde neu erstehen und ein reineres, edleres
Geschlecht friedlich auf ihr wohnen."
Mit überzeugender Stimme sprach darauf
Siegfried: „Gewiß, diese Weltordnung, diese
Gesellschaft entgeht der Vernichtung nicht. Kein
Gott vermag sie zu stützen. Denn das Schlechte
richtet sich selbst zu Grunde. Wir Arbeiter aber
werden es überdauern; wir bekämpfen es, unsere
Macht ist die Erkenntniß des Besseren, uns
gehört die Zukunft."
Er brach ab, denn er war nicht sicher, daß
Bruuhilde auf ihn hörte. Sie hatte den Kopf
sinnend in die Hand gestützt. Die züngelnden
Flammen waren erloschen. Endlich richtete sie
das edelschöne Haupt auf, schüttelte das reiche
Gelock in den Nacken und fragte, was er ge-
sagt hätte?
„Daß uns die Zukunft gehört. Mit dem
Siege der Armen und Unterdrückten, die nichts
besitzen, als ihrer Hände Kraft — ich meine,
mit dem Siege unserer Ideen beginnt das gol-
dene Zeitalter, von dem du sprachst und in dem
es keine andere und höhere Würde giebt, als
die dem Menschen eingeboren ist, und keinen köst-
licheren Schmuck, als den Kranz der Freiheit."
„Und diesen Sieg hoffet ihr zu erringen,
ihr, die Sklaven der Arbeit?" fragte sie, seine
kräftige Gestalt wohlgefällig prüfend. „Ach,
ich habe sie in ihren Ketten zu Wodan schreien
hören, aber er blieb taub. Ich habe in meinen
Träumen furchtbare Kämpfe gesehen, aber sie
wurden in Blut erstickt."
„Aber heute ist es ein Anderes", rief er
aufspringend. „Heute sind wir stark durch unsere
Ideen, stark durch unsere Begeisterung für sie
und stark durch unsere Einigkeit. Siehe, die
Sonne kommt herauf! In ihrem Lichte treten
heute in der ganzen Welt die Genossen zu-
sammen, Millionen und Millionen, und geloben,
fest und treu zu einander zu stehen und aus-
- zuharren unentwegt im Kampfe für unsere
Freiheit, welches die Befreiung des ganzen
Menschengeschlechts ist."
Auch sie erhob sich. „Das Schicksal waltet
gewaltiger als die Götter und es erfüllt sich.
Es hat mich durch dich erweckt und dir und
den Deinigen gehören mein Herz und mein
Schwert. Wohlan, ich führe euch zum Siege
und du sollst mein Bannerträger sein!" So
sprach sie kampffrohen Antlitzes, löste die rothe
Fahne von der Eiche und reichte sie Siegfried,
zog ihr Schwert und faßte mit der anderen
Hand die seinige. Morgenrosig leuchtete unter
dem Goldgelock ihre hehre Schönheit über der
im Schmuck des Frühlings erblühenden Erde.

Siegfried saß auf dem bemoosten Stein
unter der silbergrauen Buche; aus seinem Traum
erwachend vernahm er wieder ein Singen und
Klingen. Die Vögel waren es, die den Morgen
begrüßten und froh bewegten Herzens lauschte
! der junge Schmied dem Wohllaut, mit dem ihre
süßen Kehlen den Bergwald erfüllten. Dann
erhob er sich zum Heimgang. Er wußte jetzt,
was er den Genossen sagen wollte. -!.
 
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