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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0080

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Bei den oberen Zehntausend.


Nie lag auf der Chaiselongue in ihren: Boudoir. Unter dein mit
echten Spitzen garuirteu seidenen Morgenkleid lugte kokett ein schmales
Füßchen hervor. — Sie war schön, sehr schön, und die Gattin des
Geheimen Kommerzicnraths Fünfstück, den sie vor Jahr und Tag ge-
heirathet hatte, um die uothwendige Verbindung zwischen Spinnerei und
Weberei herzustellen. Er war nämlich Spinnereibesitzer und sie die
Erbin einer großen mechanischen Weberei. Nebenbei gehörte sie dem
Vorstand des Vereins zur Hebung der Sittlichkeit an, natürlich — in
den unteren Volksschichten.
Die Geheime Kommerzienräthin befand sich heute Morgen in übler
Laune. Ein zierliches Brieflein, das sic in der Hand hielt, schien eS
ihr angethan zu habe». Voll Unmuth entnahm sie einem rcichgeschnitztcn
elfenbeinernen Kästchen eine Zigarette und blies energisch den aromatischen
Rauch deS türkischen Tabaks an den mit vergoldeten Amourettcn ge-
schmückten Plafond.
Draußen ertönte die elektrische Glocke. Blitzschnell verbarg sie das
Billet in den Falten ihres KleidcS. Wenige Minuten später wurde
die Thür ihres Boudoirs geöffnet. Ihr Mann, der Herr Geheime
Kommerzienrath, trat ein.
„Puh, Else, diese Luft!"
Er schritt ans Fenster und öffnete.
Ein frischer, kräftiger Windstoß wirbelte die Tabakwvlken durch-
einander und fegte sie zum Fenster hinaus.
Herr Fünfstück war bereits in den besten Jahren, mit rundlichem
Bäuchlein und ansehnlicher Glatze. Sein krebsrothes Gesicht war noch
um eine "Nuance dunkler geworden.
„Wie Du das nur aushalteu kannst in dieser Luft? Mir stockt
der Athem!"
Else verzog keine Miene. Es schien, als wenn ihr Mann für
sie gar nicht anwesend war.
Er hüstelte.
„Ich wollte Dir nur rnitthcilcn, daß wir übermorgen in die

Schweiz reisen. Der Arzt hat mir einen längeren Höhcnaufcnthalt,
Bergluft, verordnet."
„Bergluft! Du lieber Himmel, das wäre mein Tod. Doktor
Ballstedt sprach von einer Kur in Ems oder Wiesbaden."
Ucber das fette Gesicht Füufstücks glitt ein leichtes Lächeln.
„Aber, Else, meine Lunge ist stark angegriffen und Du könntest
mir doch wohl den Gefallen thuu und-"
Else drehte sich geschickt auf die andere Seite, wobei sich ihr Morgen-
rock etwas verschob, daß das Füßchen noch mehr zum Vorschein kam.
Sie entnahm dem Kästchen noch eine Zigarette, brannte sie an und
beobachtete dabei unter den halbgeschlosscuen Lidern hervor das Gesicht
ihres Mannes, dessen Kopf bereits eine kirschrothe Farbe angenommen
hatte.
Er trat zu ihr und küßte sie nut seinen wulstigen Lippen auf
den Hals.
„Else, Else!"
„Geh, Du bist ein Barbar!"
„Else", rief er, „Du kannst ja nach Wiesbaden gehen, aber ver-
lange nicht, daß ich mitreisen soll."
„DaS habe ich doch auch gar nicht verlangt. Ich wünsche Dir
eine gute Erholung — im Gebirge, Du Schäker!"

Als der Herr Geheime Kommerzienrath eine Viertelstunde später
Elsa's Boudoir verließ, ging er direkt in sein Arbeitszimmer, setzte sich
an den Schreibtisch und schrieb hastig folgende Zeilen auf ein Blatt
Papier:
„Geliebtes Schnuckerl! Also übermorgen! Halte Dich bereit.
Wir fahren mit dem ersten Kuricrzug in die Schweiz. Dein F."
Elsa aber schrieb mit glühenden Wangen und wogender Brust:
„Einzig Geliebter! Wiesbaden! Tausend Küsse! Deine Elsa."
 
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