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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0209

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— 2551

den ersten sozialdemokratischen Abgeordneten
für Hamburg in den Reichstag sandten. Und
das. trotzdem keine Versammlung stattfinden
konnte, trotzdem alle Flugblätter konfiszirt. ja
sogar die bloße Aufforderung zur Betheili-
gung an der Wahl verboten, das Wahlkomite
kurzerhand verhaftet und für den Fall des
Sieges der Sozialdemokratie der Belagerungs-
zustand angedroht war.
Am 24. Oktober kam denn auch wirklich
diese . . . Maßregel zur Anwendung. Ver-
anlassung war hier natürlich so wenig gegeben,
wie seiner Zeit in Berlin. Aber die preußische
Regierung wollte Altona damit beschenken.

Ausgaben der Propaganda und Agitation,
sowie der polizeilichen Verfolgungen tragen
konnten, sondern auch noch ganz bedeutende
Summen für die Opfer des Sozialistengesetzes
an anderen Orten zu verwenden vermochten
und ihre internationale Solidarität beispiels-
weise dadurch bekundeten, daß sie allein den
französischen Genossen zur Erzielung sozialisti-
scher Wahlen 2000 Francs zur Verfügung
stellten. Und als weiterer Beleg des guten
Parteigeistes und der Begeisterung der Ham-
burger Arbeiter für die sozialdemokratischen
Ideen darf hier wohl auch angeführt werden,
daß lange Zeit hindurch, allen polizeilichen

Verfolgung. Es dürste wenige Städte geben,
wo Polizei und'Gericht so offen und so oft
Hand in Hand arbeiteten in der „Vernichtung"
der Sozialdemokraten. Ein paar Beispiele
illustriren dies am besten. Im Prozeß Groß-
mann und Gen. behielt der Untersuchungsrichter
die Angeklagten zusammen sechs Jahre und
S'/s Monate in Untersuchungshaft, und die
Richter fällten dann noch drei Jahre Ge-
fängnis?. Im Prozeß Fichtner und Genossen
folgte aufzusammenvi er Iah re zehn Monate
Untersuchungshaft eine Verurtheilung zu zwei
Jahren und einem Monat Gefängniß. Im
Prozeß Saß und Genossen sprachen die Richter

und der Hamburger Senat besaß
nicht den Muth des Widerstandes,
die „Republikaner" unterwarfen
sich Preußens Willens. Die Fort-
schrittler, die sich zu einer schwäch-
lichen Interpellation an den
Senat ermannen wollten, waren
im Grunde froh, daß sie sich in
einer geheimen Sitzung mit
diplomatischen Redensarten ab-
speisen lassen konnten, der ent-
rüsteten Bevölkerung aber streute
man Sand in die Augen, in-
dem man unter der Hand das
Gerücht verbreiten ließ, es wür-
den keine weiteren Ausweisungen
aus Hamburg erfolgen. 75 Per-
sonen, davon 67 Familien-
väter, wurden auf den ersten
Schub ausgewiesen, und wie
.namentlich die preußische
Polizei dabei verfuhr, zeigte ins-
besonders der Fall des Genossen
Fahl; derselbe lag in Pinneberg
seit einem Jahre an der Schwind-
sucht darnieder und konnte das
Bett nicht verlassen; trotz-
dem wurde sein Gesuch um vor-
läufige Fristverlängerung ab ge-
wiesen . . . und so mußte er
denn trotz seines leidenden Zu-
standes forttransportirt wer-
den. Natürlich waren auch alle
jene Berliner Ausgewiesenen, die
sich in Hamburg-Altona, oft nach
schweren Opfern und mit un-
endlicher Mühe, eine neue Exi-
stenz zu gründen versucht hatten,
mit unter den ersten Ausge-
wiesenen, deren Gesammtzahl sich
bis heute auf rund 350 ge-
steigert hat.

Ausweisungs-Dekret.


zusammen neun Jahre sechs
Monate Gefängniß aus, nach-
dem die Angeklagten schon ins-
gesammt drei Jahre hinter
Schloß und Riegel zugebracht
hallen. Die zu Anfang 1888 am
Pferde markt Verhafteten muß-
ten zusammen über drei Jahre
Untersuchungshaft durchmachen,
bei der Verhandlung aber war
sogar der Staatsanwalt ge-
zwungen, gegen fünf Angeklagte
die Freisprechung zu bean-
tragen, und verhängten die Rich-
ter unter Freisprechung von
sechs der elf Angeklagten nur elf
Monate Gefängnißstrafe. Alles
Angeführte übertrifft aber der
Prozeß Kückelhahn. In 26
Fällen wurde der Angeklagte der
Verbreitung des „Sozialdemo-
krat" für „überwiesen" betrach-
tet, der Staatsanwalt Grosschuff
meinte, eigentlich könnte er drei-
zehn Jahre Gefängniß bean-
tragen, er wolle sich aber mit
sechs Jahren begnügen, und die
Richter erkannten denn auch auf
drei und ein halbes Jahr
Gefängniß.
Und nun erst die Organe
der Polizei! Jni Februar 1886
wurden die Genossen Dieckmann,
Pyar, Koch und Grüneberg aus-
gewiesen und bei der Abreise
der ersteren drei gaben ihnen
Tausende von Hamburger Ar-
beitern das Geleite zum Bahnhof.
Um nun eine ähnliche Demon-
stration bei der Abreise des Tape-
ziers Grünebcrg, dessen Aufent-
haltstermin am nächsten Tage

Natürlich erzielte diese . . . Maßregel eins
der Absicht ganz entgegengesetzte Wirkung. Statt
einzuschüchtern, stachelte sie an, und die bei
allen Wahlgängen steigende sozialdemokratische
Stimmenzahl, die Wahlen von Bebel und
Dietz in Hamburg und Frohme in Altona
gewähren uns für die nächsten Wahlen die be-
gründete Hoffnung, daß künftig das ganze
Belagerungszustandsgebiet ausschließlich durch
Sozialdemokraten im Reichstag vertreten sein
wird — ein „erzieherischer Erfolg", mit dein
wir zufrieden sind. Wo immer Gelegenheit
gegeben war, haben die Hamburger Sozial-
demokraten von ihrem ungebrochenen Geiste
Zeugniß abgelegt. Da unter dem Belagerungs-
zustand keine politischen Versammlungen mehr
möglich waren, so fanden sich die Arbeiter zu
Tausenden auf Spaziergängen zusammen und
erledigten bei diesen Anlässen ihre Angelegen-
heiten. In Tausenden von Broschüren wurden
die sozialdemokratischen Prinzipien unter die
Massen getragen, in Hunderttausenden von
Flugblättern die politischen Tagesfragen be-
handelt, und so groß war der Opfermuth der
Hamburger Arbeiter, daß sie nicht blos alle

Verfolgungen zum Trotz, sich immer wieder
Genossen fanden, dein verpönten „Sozialdemo-
krat" gerade aus dein Belagerungszustands-


gebiet heraus die Wege ins Deutsche Reich zu
ebnen.
Natürlich ging mit dieser ungebrochenen
Parteithätigkeit Hand in Hand die polizeiliche

ablief, von vornherein zu verunmöglichen,
ließ ihn die Polizei Vormittags in seiner
Werkstelle verhaften und kündigte ihm im
Stadthause an, er habe so lange dazubleiben,
bis der Zug nach Hannover abfahre. Alles
Protestiren war umsonst. „Meine Bitte", schreibt
der ausgewiesene Genosse, „in Begleitung eines
Beamten nach meiner Wohnung zu gehen, um
von meiner Frau und meinen beiden
Kindern, mein Liebstes in der Welt,
Abschied zu nehmen, wurde mir kurz ab-
geschlagen. Der Offiziant Schulte veranlaßte
schließlich, daß meine Frau, die in Bälde
ihre Niederkunft erwartet, noch ins
Stadthaus kam, um mir Adieu zu sagen. Sie
weinte. Ich verbot es ihr, weil ich nicht wollte,
daß sich die Diener der Hamburger Polizei an
einer Schmerzensszene ergötzen sollten, die sich
zwischen den Opfern derselben abspielt. Es war
so Nachmittags V» nach 3 Uhr geworden, als
ich aufgefordert wurde, mich zur Reise bereit
zu machen. In einer Droschke, die bestellt
war, stiegen ein Polizist und ich ein und rollten
dem Bahnhofe zu. Ich sah noch, daß mehrere
Droschken, die Polizisten in sich ausgenommen
 
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