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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0212

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bringen und die Parteilichkeit und Ungerechtig-
keit der Gesetzeshüter an den Pranger zu
stellen. Einige Stunden vor Beginn derselben
fügte die Behörde ihren früheren Gewalt-
streichen einen neuen hinzu: sie verhaftete alle
Mitglieder des Streikkomites. Trotzdem fand
die Versammlung statt. Ms der Delegirte des
Nationalen Komites der Partei das gesetz-
mäßige Vorgehen der Streikenden mit der
Willkürherrschaft und dem Despotismus des
Gouverneurs verglich, schloß der Vertreter des
Letzteren die Versammlung. Am Abend wurde
der Delegirte wegen angeblicher Beleidigungen
der Behörde verhaftet. Sobald die Nationalen
Komites der Partei und der Arbeitervereinigung
von diesen Vorfällen Nachricht erhielten, schick-
ten sie je einen Delegirten, und zwar die Ge-
nossen Simal und Garcia Quejido nach Ma-
laga. Dieselben beriethen und unterstützten die
Streikenden, bis der Schreiber dieses gegen
Kaution aus dem Gefängniß entlassen wurde.
Da es unmöglich war, eine Versammlung zu
veranstalten, so veröffentlichten sie ein Flug-
blatt, worin sie das Verhalten der Behörden
scharf tadelten.
Wenige Tage nachher glaubten die Fabrik-
herren und ihre Vertreter, daß durch den
Mangel an Geldmitteln die Hartnäckigkeit
der Streikenden gebrochen sei; sie eröffneten
die Fabriken wieder. Nach und nach nahmen
denn auch die Ausständigen die Arbeit wie-
der auf.
Wenn auch der Streik von den Arbeitern
verloren wurde, so hat doch das Haus Larios
durch denselben eine harte Lektion erhalten.
Gewohnt, seine Arbeiter als Sklaven zu be-
handeln und von ihnen niemals den geringsten
Widerstand zu erwarten, mußte es in Folge
des Streiks seine Fabrik drei Monate lang
geschlossen halten und erlitt einen Verlust von
über 500000 Pesetas, die Materialbeschädigung
und den Kundenverlust nicht gerechnet.
In der Hauptsache ist die sozialistische
Partei mit der Verbreitung ihrer Prinzipien,
der Entwicklung der gewerkschaftlichen Organi-
sation und der Unterstützung der Arbeiter,
welche um Verbesserung ihrer wirthschaftlichen
Lage kämpften, beschäftigt gewesen. Dabei
hat sie aber den rein politischen Kampf nicht
vernachlässigt. Trotz der geringen, für diesen
Kampf zur Verfügung stehenden Streitkräfte
und trotz der besonderen Schwierigkeiten, denen
sie gerade in Spanien bei einem solchen be-
gegnen muß, hat sie den Kampf dennoch durch
ihre Theilnahme an den Wahlen zu den Kortes
ausgenommen.
Die Taktik der Partei verbietet jede Allianz
oder Vereinigung mit irgend einer bürgerlichen
Partei, so fortgeschritten dieselbe auch sein mag.
Vielleicht mag eine solche starre Taktik in einem
anderen Lande schädlich sein; in Spanien aber,
wo es Politiker giebt, die, sobald sie einmal
in das Parlament oder in den Gemeinderath
gelangt sind, nichts veranlassen könnte, sich
Sozialisten zu nennen, und wo die ungebildete
Arbeiterklasse nur die allerklarsten und ein-
fachsten Verhältnisse zu begreifen vermag,
würde die Beobachtung einer beweglicheren
Taktik nut einem Verzicht auf eine wahrhaft
sozialistische Partei gleichbedeutend sein.
Bei den genannten Wahlen hat die sozia-
listische Partei eigene Kandidaten gegenüber
den bürgerlichen Parteien überall da aufge-
stellt, wo sie auf eine Organisation rechnen
konnte. Die Resultate waren die folgenden:
Im Jahre 1891 (wo sie zum ersten Male am
Wahlkampf theilnahm) 5000 Stimmen, im
Jahre 1893 7000 und im Jahre 1896 14 000.
Unleugbar bezeichnen diese Zahlen einen deut-

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lichen Fortschritt und sind ein Beweis für
das Wirken der sozialistischen Organisationen
und Zeitungen. Die Thatsache aber, daß trotz
des in Spanien giltigen allgemeinen Wahl-
rechts für alle Männer über 25 Jahre die
Partei nicht mehr Stimmen errungen hat, muß
ohne Zweifel seltsam erscheinen.
Sie bedarf einer Erklärung. Spanien ist
das Land, wo die fortgeschritteneren bürger-
lichen Parteien sich oft vom politischen Leben
zurückziehen mit dem Gedanken, durch eine mili-
tärische Erhebung zur Herrschaft zu gelangen.
Sodann ist zu beachten, daß die Anarchisten
zahlreiche Anhänger gehabt haben, welche die
politische Enthaltung und das Fernbleiben von
den Wahlurnen predigten, und endlich muß
darauf hingewiesen werden, daß die Behörden
die größten Mißbräuche und Ungesetzlichkeiten
anwenden, um bei den Wahlen ihren Kandi-
daten zum Siege zu verhelfen. Ebenso geben
die bürgerlichen Kandidaten große Summen
aus, um den Wahlkörper zu bestechen und sich
ein Mandat zu erringen.
Ich werde einige Wahlkniffe schildern, da-
mit man zu würdigen weiß, was unsere Be-
hörden und Bourgeoisie auf dem Gebiet der
Wahlmache leisten.
Bei den letzten Wahlen zu den Kortes war
die Regierung bemüht, ihren und den mit ihr
verbündeten Kandidaten der liberalen Partei
zum Siege gegen den Marquis von Cabrinana
zu verhelfen, der ini Stadtrath von Madrid
eine Reihe kleinerer Panamaskandale aufgedeckt
hatte und nun, unterstützt von dem gesummten
Kleinbürgerthum, einen Sitz in den Kortes zu
erringen suchte. Die Wahlbeeinflussung der
Regierung war geradezu unerhört, die Be-
trügerei so groß, daß in einigen Wahlbezirken
mehr Wähler für den ministeriellen Kandidaten
stimmten als überhaupt in den Wählerlisten
standen.
Die bürgerlichen Kandidaten haben, was
den Wahlbetrug betrifft, den Regierungsabge-
ordneteu nichts vorzuwerfen. Sie kaufen die
Stimmen entweder stück- oder dörferweise.
Den Bauern zahlen sie für die Gesammtzahl
ihrer Stimmen alles, was dieselben während
eines Monats oder vierzehn Tagen essen und
trinken können.
Bei den Wahlen von 1891 kämpften um
den Distrikt von Balmareda (Biskaya) Mar-
tinez Rivas, der Gründer der Schiffswerfte
von Nervion, und Chavarri, ein großer Berg-
werkseigenthümer und Fabrikbesitzer. Diesen
unterstützte die Bürgerschaft von Bilbao, jenen
die Regierung. Von dieser Unterstützung ab-
gesehen, gab jeder von ihnen mehr als 350000
Pesetas aus, um die Wähler zu kaufen und
ihnen Geschenke zu machen. Ihre Agenten
kauften die Stimme für 200 bis 300 Pesetas
(1 Peseta — 80 Pf.). Obwohl diese Summen
Löhne von mehr als zwei und selbst drei
Monaten für die Minenarbeiter repräsentirten,
haben viele von ihnen solche Anerbietungen ab-
gewiesen und ihre Stimme dem sozialistischen
Kandidaten gegeben. Die Korruption war so
groß, daß nicht nur in kleinen Dörfern, son-
dern sogar in Städten wie Burgos, der Haupt-
stadt der Provinz, die Stimmen auf dem
Marktplatze in derselben Weise, wie jede
andere Waare, gekauft wurden.
Wenn die sozialistische Partei auch bei den
Wahlen zum Parlament keine Wahlsiege er-
fochten hat, so sind ihr doch wenigstens bei
den Gemeinderathswahlen einige, wenn auch
kleine Erfolge zu theil geworden.
Im Jahre 1891 nahmen die Sozialisten
von Bilbao zum ersten Male an den Gemeinde-
rathswahlen theil. Die bürgerlichen Parteien
legten ihrem Vorgehen keine Bedeutung bei

und sahen sich durch die Wahl von vier Sozia-
listen aufs unangenehmste überrascht. Unter
nichtigen Borwänden wurde die Wahl von
Dreien kassirt, so daß nur einer im Gemeinde-
rath verblieb. Auch im Jahre 1893 nahmen
die Sozialisten von Bilbao an den städtischen
Wahlen theil; die Bourgeoisie traf aber dieses
Mal bessere Vorkehrungen und entfaltete alle
ihre Wahlkünste, so daß kein einziger Sozialist
siegte. Trotzdem war die sozialistische Stimmen-
zahl größer als bei den letzten Wahlen.
Vor einiger Zeit fanden wiederum Ge-
meinderathswahlen statt. Dieses Mal kämpfte
die sozialistische Partei in Mataro, Bilbao,
El Ferrol, Manacor (ein ländlicher Bezirk),
Labarga (ein Bergwerksbezirk) und San Juan
de Vilasar. Das Resultat war günstig für
die Partei. In Bilbao war der Kampf ein
sehr heftiger; die bürgerlichen Kandidaten
zahlten 35—40 Pesetas für die Stimme. Da
die Sozialisten ein Haus, wo Stimmen ge-
kauft wurden, angriffen und viele Personen,
welche den Stimmenkauf betrieben, verfolgten,
so nahmen die Behörden unter den Genossen
viele Verhaftungen vor. Eine dieser Verhaf-
tungen veranlaßte in einem Arbeiterviertel
einen heftigen Kampf, wobei die Gemeinde-
polizei von den Balkonen mit Flaschen, Töpfen
und anderen Gegenständen beworfen wurde
und ihrerseits durch Gewehrfeuer antwortete.
Durch die Siege, welche die Partei bei
diesen Wahlen davongetragen, hätte dieselbe
in vier Gemeinderäthen Vertreter gehabt, wenn
nicht der Ministerpräsident Canovas durch
königliche Verordnung die sozialistischen Ge-
meindevertreter auf vollkommen gesetzwidrige
Weise ihres Amtes entsetzt hätte. Diese brutale
Entrechtung der Arbeiter hat auch eine gute
Seite. Schneller als dies sonst der Fall ge-
wesen wäre, lernt die Masse ihre wahren
Freunde kennen; sie sieht ein, daß die Sozia-
listen die einzigen Vertheidiger der Arbeiter-
klasse sind und daß man aus dem Wahlrecht
bedeutende Vortheile ziehen kann.
Wie überall, so behauptet auch in Spanien
die bürgerliche Presse, daß die Maifeier todt
sei. Das ist eine ungeheure Lüge. Sicher ver-
sammelten sich im ersten Jahre (1890) in Bar-
celona mehr als 80000 Arbeiter dieser Stadt
und der benachbarten Dörfer, in Madrid un-
gefähr 40000. Diese große Betheiligung war
einerseits eine Folge der Neuheit, die in süd-
lichen Ländern immer von großer Wirkung
ist, und andererseits des Umstandes, daß die
Regierung Sagastas der Demonstration keine
Hindernisse in den Weg legte, was nach ihr
alle Regierungen gethan haben. In den Jahren
1891 und 1892 machte die Demonstration großes
Aufsehen, da die Anarchisten die soziale Re-
volution mit Volldampf herbeiführen wollten
und die Solidarität der klassenbewußten Ar-
beiter in einem allgemeinen Streik zu ver-
puffen suchten. Die Energie der Sozialisten
machte den unsinnigen Vorschlägen der An-
archisten für immer ein Ende. Seitdem geht
die Maidemonstration in Spanien in be-
wundernswerther Ordnung vor sich. Selbst in
diesem Jahre hat die Demonstration trotz der
Kriege auf Kuba und den Philippinen und
der furchtbaren Wirkungen der Arbeitskrise —
eine Folge dieser unglücklichen Kriege selbst
und des alten wirthschaftlichen Elends in
Spanien — größere Kraft und größeren Enthu-
siasmus gezeigt als im Vorjahre.
Die, wenn auch noch geringen Fortschritte
der sozialistischen Partei Spaniens haben einen
ganz bedeutenden Aufwand an Kraft erfordert,
da sie seit ihrer Geburt nicht nur mit einer
sehr zahlreichen republikanischen Partei, son-
 
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