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habt habe; aber so viel steht historisch fest, daß
er die Stange Fenstereisen genau an derselben
Stelle, wo ich sie so hübsch gelöthet hatte, ent-
zweibrach. In größter Entrüstung kam er als-
bald in unsere Bude gerannt, wo er einen
Heidenskandal machte.
Unglückseliger Weise war auch gerade unser
würdiger „Schütz" anwesend, der einen greulichen
Kater vom Sonntag her hatte und daher furcht-
bar schlechter Laune war. Er erkundigte sich,
wer die „Pfuscherei" gemacht, warf mir allerlei
Liebenswürdigkeiten an den Kopf und beleidigte
mich dabei derart, daß ich schließlich grob wurde.
Das verdroß natürlich den stolzen Patrizier
nicht wenig und nach kaum zehn Minuten hatte
ich auch schon den „Hund" (den Fremdzettel)
im Sack.
Daran war nnn nichts mehr zu ändern:
alle die schönen Pläne, die ich gefaßt hatte,
waren mit einem Schlage zu Wasser geworden.
Ich entschloß mich kurzer Hand, wieder aus
die Wanderschaft zu gehen und andere Länder
und Sitten kennen zu lernen. Nachdem ich
meine Schulden bezahlt, die Stiefeln noch frisch
hatte besohlen lassen, ein neues Wachstuch zum
Berliner gekauft, sowie einen „zünftigen" Ab-
schied im Kreise der Kollegen gefeiert hatte,
blieben mir noch zwölf Fränkli in der Tasche,
womit ich fröhlich meine Straße zog.
* s
Es war in den ersten Junitagen des Jahres
1867, als ich von Bern Abschied nahm und
über die Niedeggbrücke am Bärengraben vorbei
die herrliche Landstraße entlang dem Berner
Oberlande zuwanderte. Kurz vor Thun schlossen
sich zwei deutsche Handwerksburschen an mich
an, zwee Sächser. Ei Herrchäses! Der eene
war Sie ä Bäcker, der andere ä Koppschuster,
was man im gewöhnlichen Leben einen Hut-
macher nennt. Der Bäcker war aus der „großen
Seestadt Leipzig", der andere in Borna zu
Hause. Es waren zwei gelungene Brüder,
„ausgetragene Jungens" würde man in Berlin
sagen. Beide waren schon über sechs Wochen
aus der Reise. Sie kamen auf dem nächsten
Wege aus Frankfurt a. M., nämlich über Paris,
Basel, Zürich und beabsichtigten, „kemiedlich"
nach Wien zu „machen".
Die kamen mir gerade recht. Der eine, der
Hutmacher, hatte noch Geld, etwa zwanzig
Franken, der andere war blitzblank, mit Aus-
nahme einer Sammlung von Kupfermünzen
aus aller Herren Länder, die einen nominellen
Werth von einem halben Thaler haben mochte,
für einen Numismatiker aber heutzutage vielleicht
ihre hundert Mark und mehr werth wäre.
Denn es existirte faktisch kein europäisches
Land, die kleinsten deutschen „Raubstaaten"
und die italienische „Republik" San Marino
nicht ausgenommen, das nicht mit irgend einer
Münzsorte in der Schweinsblase des Samm-
lers vertreten gewesen wäre.
Humor hatten sie alle Beide, obwohl sie
im Charakter und auch sonst grundverschieden
waren. Der „Huterer" war reicher Leute Kind
und hatte in Innsbruck einen Geldbrief zu er-
warten, der Bäcker, ein armer Teufel, lebte
mit seinem Landsmann kommnnistisch.
Die „kuden" Sächser freuten sich „führe",
einen Landsmann zu treffen und waren um so
glücklicher, als sie absolut außer Stande waren,
sich mit den Schweizern zu verständigen. In
Frankreich konnten sie sich mit den französischen
Brocken, die dem Huterer von der Realschule
her noch in der Erinnerung geblieben, durch-
schlagen, aber berndütsch verstand keiner. Und
je weiter wir nach dem Oberland kamen, desto
schlimmer wurde es für sie und wohl manch-
mal hätten sie nichts zu essen und zu trinken
bekommen, wenn ich nicht als ihr Dragoman
fungirt hätte.
In Thun machten wir nur kürze Rast, die
paar Meister, von denen jeder seinen „Fünfer"
gab — fünf Rappen natürlich — waren bald
abgeklopft, und so wanderten wir noch ein
Stück weiter und übernachteten in einein der
freundlichen Wirthshäuser an der Chaussee,
die man nirgends so einladend und so freund-
lich trifft wie in der Schweiz. Anderen Tages
kamen wir nach dem herrlichen Interlaken.
Es war Beginn der Saison. Die internationalen
Faulenzer hatten schon ihre Vertreter und Ver-
treterinnen gesandt. Die Veranden der Hotels
wimmelten von Damen in großer Toilette, von
elegant gekleideten Stutzern, die trotz der herr-
lichen Natur sich auch hier zu langweilen pflegen,
dabei enorme Summen Geldes verschleudern und
diejenigen, welche es für sie verdienen müssen,
verabscheuen und meiden wie Aussätzige.
Da links liegt das Hotel „Viktoria", eines
der größten Etablissements dieser Art in da-
maliger Zeit, und nebenan in langer Reihe
Villa an Villa, im Hintergründe geht's hinaus
zum Gießbach, rechts die majestätische Kette
der Berner Alpen, Jungfrau, Mönch und wie
die weißbemützten Spitzen alle heißen. Ich wäre
gar zu gern während der Saison in dem wunder-
bar schönen Neste geblieben; meine „Umschau"
war aber vergeblich, denn nur ganz ausnahms-
weise behält dort ein Handwerksmeister einen
fremden Gesellen auch den Winter über. Un-
sere Baarmittel waren inzwischen sehr knapp
geworden und zu „fechten" gab's nichts, denn
nirgends in der ganzen Schweiz ist der Bettel-
vogt schlimmer als in den Orten, wo die aus-
ländische Bourgeoisie hauptsächlich „ihr Geld
sitzen läßt". Der schweizerische Profitmichel
will sich seine „werthen Gäste" nicht durch
„unverschämtes Bettelgesindel" vertreiben lassen.
Am anderen Morgen wanderten wir den
See entlang und Nachmittags ging's die breite
Brünigstraße hinauf. Die fashionable Welt
fuhr in eleganten Landauern oder breitspurig
bequemen Postungeheuern, mit Aussichtsplätzen
auf dem Verdeck. Wie beneideten wir die Ge-
habt habe; aber so viel steht historisch fest, daß
er die Stange Fenstereisen genau an derselben
Stelle, wo ich sie so hübsch gelöthet hatte, ent-
zweibrach. In größter Entrüstung kam er als-
bald in unsere Bude gerannt, wo er einen
Heidenskandal machte.
Unglückseliger Weise war auch gerade unser
würdiger „Schütz" anwesend, der einen greulichen
Kater vom Sonntag her hatte und daher furcht-
bar schlechter Laune war. Er erkundigte sich,
wer die „Pfuscherei" gemacht, warf mir allerlei
Liebenswürdigkeiten an den Kopf und beleidigte
mich dabei derart, daß ich schließlich grob wurde.
Das verdroß natürlich den stolzen Patrizier
nicht wenig und nach kaum zehn Minuten hatte
ich auch schon den „Hund" (den Fremdzettel)
im Sack.
Daran war nnn nichts mehr zu ändern:
alle die schönen Pläne, die ich gefaßt hatte,
waren mit einem Schlage zu Wasser geworden.
Ich entschloß mich kurzer Hand, wieder aus
die Wanderschaft zu gehen und andere Länder
und Sitten kennen zu lernen. Nachdem ich
meine Schulden bezahlt, die Stiefeln noch frisch
hatte besohlen lassen, ein neues Wachstuch zum
Berliner gekauft, sowie einen „zünftigen" Ab-
schied im Kreise der Kollegen gefeiert hatte,
blieben mir noch zwölf Fränkli in der Tasche,
womit ich fröhlich meine Straße zog.
* s
Es war in den ersten Junitagen des Jahres
1867, als ich von Bern Abschied nahm und
über die Niedeggbrücke am Bärengraben vorbei
die herrliche Landstraße entlang dem Berner
Oberlande zuwanderte. Kurz vor Thun schlossen
sich zwei deutsche Handwerksburschen an mich
an, zwee Sächser. Ei Herrchäses! Der eene
war Sie ä Bäcker, der andere ä Koppschuster,
was man im gewöhnlichen Leben einen Hut-
macher nennt. Der Bäcker war aus der „großen
Seestadt Leipzig", der andere in Borna zu
Hause. Es waren zwei gelungene Brüder,
„ausgetragene Jungens" würde man in Berlin
sagen. Beide waren schon über sechs Wochen
aus der Reise. Sie kamen auf dem nächsten
Wege aus Frankfurt a. M., nämlich über Paris,
Basel, Zürich und beabsichtigten, „kemiedlich"
nach Wien zu „machen".
Die kamen mir gerade recht. Der eine, der
Hutmacher, hatte noch Geld, etwa zwanzig
Franken, der andere war blitzblank, mit Aus-
nahme einer Sammlung von Kupfermünzen
aus aller Herren Länder, die einen nominellen
Werth von einem halben Thaler haben mochte,
für einen Numismatiker aber heutzutage vielleicht
ihre hundert Mark und mehr werth wäre.
Denn es existirte faktisch kein europäisches
Land, die kleinsten deutschen „Raubstaaten"
und die italienische „Republik" San Marino
nicht ausgenommen, das nicht mit irgend einer
Münzsorte in der Schweinsblase des Samm-
lers vertreten gewesen wäre.
Humor hatten sie alle Beide, obwohl sie
im Charakter und auch sonst grundverschieden
waren. Der „Huterer" war reicher Leute Kind
und hatte in Innsbruck einen Geldbrief zu er-
warten, der Bäcker, ein armer Teufel, lebte
mit seinem Landsmann kommnnistisch.
Die „kuden" Sächser freuten sich „führe",
einen Landsmann zu treffen und waren um so
glücklicher, als sie absolut außer Stande waren,
sich mit den Schweizern zu verständigen. In
Frankreich konnten sie sich mit den französischen
Brocken, die dem Huterer von der Realschule
her noch in der Erinnerung geblieben, durch-
schlagen, aber berndütsch verstand keiner. Und
je weiter wir nach dem Oberland kamen, desto
schlimmer wurde es für sie und wohl manch-
mal hätten sie nichts zu essen und zu trinken
bekommen, wenn ich nicht als ihr Dragoman
fungirt hätte.
In Thun machten wir nur kürze Rast, die
paar Meister, von denen jeder seinen „Fünfer"
gab — fünf Rappen natürlich — waren bald
abgeklopft, und so wanderten wir noch ein
Stück weiter und übernachteten in einein der
freundlichen Wirthshäuser an der Chaussee,
die man nirgends so einladend und so freund-
lich trifft wie in der Schweiz. Anderen Tages
kamen wir nach dem herrlichen Interlaken.
Es war Beginn der Saison. Die internationalen
Faulenzer hatten schon ihre Vertreter und Ver-
treterinnen gesandt. Die Veranden der Hotels
wimmelten von Damen in großer Toilette, von
elegant gekleideten Stutzern, die trotz der herr-
lichen Natur sich auch hier zu langweilen pflegen,
dabei enorme Summen Geldes verschleudern und
diejenigen, welche es für sie verdienen müssen,
verabscheuen und meiden wie Aussätzige.
Da links liegt das Hotel „Viktoria", eines
der größten Etablissements dieser Art in da-
maliger Zeit, und nebenan in langer Reihe
Villa an Villa, im Hintergründe geht's hinaus
zum Gießbach, rechts die majestätische Kette
der Berner Alpen, Jungfrau, Mönch und wie
die weißbemützten Spitzen alle heißen. Ich wäre
gar zu gern während der Saison in dem wunder-
bar schönen Neste geblieben; meine „Umschau"
war aber vergeblich, denn nur ganz ausnahms-
weise behält dort ein Handwerksmeister einen
fremden Gesellen auch den Winter über. Un-
sere Baarmittel waren inzwischen sehr knapp
geworden und zu „fechten" gab's nichts, denn
nirgends in der ganzen Schweiz ist der Bettel-
vogt schlimmer als in den Orten, wo die aus-
ländische Bourgeoisie hauptsächlich „ihr Geld
sitzen läßt". Der schweizerische Profitmichel
will sich seine „werthen Gäste" nicht durch
„unverschämtes Bettelgesindel" vertreiben lassen.
Am anderen Morgen wanderten wir den
See entlang und Nachmittags ging's die breite
Brünigstraße hinauf. Die fashionable Welt
fuhr in eleganten Landauern oder breitspurig
bequemen Postungeheuern, mit Aussichtsplätzen
auf dem Verdeck. Wie beneideten wir die Ge-