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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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2590

stadt gebrochen — und für immer, denn es
ist durchaus nicht zweifelhaft, daß der Sieg
von nun an stets der Opposition zufallen wird.
Die Konservativen setzen jetzt ihre Hoffnung
auf die Einführung des Proportionalwahl-
rechts mit doppelter Stimme für die Höchst-
besteuerten und hoffen dadurch ihre Majo-
rität zu behaupten. Diese Aenderung bedarf
aber der Zustimmung des Reichstags und wird
von diesem kaum angenommen werden, es
müßte denn sein, daß kleinere Theile der Linken
eine Schwenkung nach rechts machen sollten.
Bei ihrem fünfundzwanzigjährigen Jubel-
feste im Sommer 1896 konnte die dänische
Sozialdemokratie mit Stolz auf die vergangene
Zeit zurückschauen. Sie hatte damals in den
beiden gesetzgebenden Kammern elf Vertreter
und in den Stadt- und Landgemeinden deren
gegen hundert. Die 239 politischen Organi-
sationen der Partei zählten ca. 23 000 Mit-
glieder, und zu den Gewerkschaften, die in
direkter und engster Verbindung mit der Partei
stehen, gehörten 713 Vereine mit 42 000 Mit-
gliedern. Von den 713 Vereinen waren 673
als Sektionen in 31 gewerkschaftlichen Ver-
bänden organisirt.
Die sozialdemokratische Gruppe im Parla-
ment hat in den verflossenen zwei Sessionen
die Nachgiebigkeit der Linken den steigenden
militaristischcnForderungen gegenüber bekämpft
und die demokratischen Forderungen ausge-
nommen, welche die Linke aus zu weit ge-
triebener Opportunitätssucht liegen gelassen
hatte. Unsere Vertreter haben Gesetzentwürfe,
die Einführung des achtstündigen Arbeitstags
und Staatsunterstützung an Arbeitslose be-
treffend, vorgelegt. Bei der Verhandlung der
großen Fragen der Einführung eines ver-
besserten Schulgesetzes und eines freisinnigeren
Zollgesetzes, des Verkaufs von Aeckern für die
Landarbeiter und einer für den Ackerbau gün-
stigen Umlegung der Steuern haben die Ver-
treter der Arbeiter eine scharfe, aber berechtigte
Kritik sowohl der Bourgeoisie wie der agra-
rischen Linken gegenüber geübt. Der große
politische Kampf ist noch keineswegs beendigt:
das Landsthing steuert offenbar aufs Neue
dein Konflikt zu. Der ökonomische Interessen-
kampf bildet sich in steigendem Grade zu einem
Kampfe zwischen dem Konservativismus und
dem Sozialismus aus, weil die ökonomischen
Zwischenstandpunkte im Konkurrenzkampf nach
und nach verschwinden. Der sozialistischen
Demokratie schließen sich der Reihe nach nicht
allein die Arbeiter in den Städten, sondern
auch die Landarbeiter, die Fischerbevölkerung,
die kleineren Handwerksmeister und Handel-
treibenden und der mit Steuern und Hypo-
thekenschulden belastete kleinere Bauernstand an.
Die Sozialdemokratie entfaltet eine ganz
bedeutende Agitationsarbeit auf dem Lande.
Reisende Agitatoren besuchen die einzelnen
Häuser in den Dörfern, unterhalten sich mit
den Leuten und machen sie darauf aufmerk-
sam, daß am Abend eine Versammlung ent-
weder in der Dorfschänke oder im Versamm-
lungshause abgehalten wird. Auf diese Weise
wird das Interesse unter den Landarbeitern
erweckt und gelingt es später, Vereine zu
gründen. Der Einfluß, welchen diese Vereine
ausüben, macht sich namentlich in den Kreisen
bemerklich, wo die radikalen Demokraten früher
nur mit Mühe den Konservativen die Stange
halten konnten. Für die armen Landarbeiter,
welche von den Gutsbesitzern ökonomisch ab-
hängig sind, ist es übrigens ein ungemeiner
Nachtheil und ein fastunüberwindlichesHinder-
niß, daß die Abstimmung bei den Wahlen nicht
geheim ist. Ein Gesetzentwurf, welcher die
geheime Abstimmung einzuführen suchte, wurde

mehrere Male nach einander im Landsthing,
in welchem die Gutsbesitzer herrschen, abge-
gelehnt. Diese Herren wissen ja, von welchem
Wertste der ökonomische Druck für die Erhal-
tung ihrer Machtstellung ist.
Wenden mir uns jetzt zum inneren Leben
der Partei. Wie der Kommuneaufstand in
Paris im Jahre 1871 den direkten Anstoß zur
Bewegung in Dänemark gab, so wurde das
Programm, nach welchen: die deutsche Sozial-
demokratie in den siebziger Jahren arbeitete,
das Vorbild für die Wirksamkeit der dänischen
Bruderpartei. Aus dem ersten Kongreß nach
der Reorganisation der Partei im Jahre 1878
wurde das Programm in genauer Ueberein-
stimmung mit den Forderungen der modernen
Arbeiterbewegung verändert. Besondere Auf-
merksamkeit wurde darin der Landarbeiterfrage
gewidmet. Die einschlägigen Programmpunkte
wiesen auf die Nothwendigkeit hin, den Grund
und Boden unter die Oberhoheit des Staates
zu bringen und zum Staatslehen zu machen,
und verlangten Staatshilfe für die Land-
arbeiter, um ihnen dadurch diejenige technische
Ausstattung der Betriebe zu verschaffen, die
die gemeinschaftliche Produktion im Ackerbau
erfordert.
Parteikongresse wurden in den Jahren 1890
und 1892 (in Kopenhagen), 1894 (in Aarhus)
und 1896 (in Kopenhagen) abgehalten. Skan-
dinavische Gewerkschaftskongresse haben in
Kopenhagen, Malmö und Christiania statt-
gefunden. Ende- Juli dieses Jahres fand ein
skandinavischer Arbeiterkongreß in Stockholm
statt. Diese Kongresse haben ein intimes Ver-
hältnis; zwischen den nordischen Arbeitern sehr
befördert.
Die Presse der Partei besteht aus dem
„Sozial-Demokrat" in Kopenhagen, welcher
eine bedeutende Ausbreitung hat (32000 Abon-
nenten), „Fyens Sozial-Demokrat" in Odense,

nehmungen nicht besonders betrieben, wohl
aber hat sie dieselben in gewissen Fällen so-
wohl durch ihre Presse wie durch Zuschüsse
aus der Kasse des „Sozial-Demokrat" unter-
stützt. Die größte der kooperativen Arbeiter-
unternehmungen ist die „Genossenschaftsbäckerei
der Arbeiter" auf der Norderbrücke — dem
Kopenhagener „Belleville". Sie wurde im
Jahre 1887 eingeweiht. Der Werth der Bäckerei
mit zugehöriger Mühle, Gebäuden, Grund und
Material u. s. w. wird auf 230 000 Kronen
geschätzt. In dem Unternehmen werden 20 Ge-
sellen, 1 Bäckermeister, 7 Kutscher, 4 Müller-
gehilfen, 1 Müllermeister, 3 Maschinisten, 2 Ar-
beitsleute und 1 Stallmeister beschäftigt. Der
wöchentliche Verbrauch an Mehl beträgt 600
Tonnen. Die Produkte der Bäckerei haben sich
überall einen außerordentlich guten Ruf erwor-
ben; ihr Preis hat regulirend auf die Höhe der
allgemeinen Brotpreise eingewirkt. Die tägliche
Arbeitszeit beträgt 8 Stunden für jede Schicht;
der Lohn ist der höchste in der Stadt. Gestützt
aus die Arbeitsverhältnisse dieses Unternehmens
waren die Bäckergesellen bei den privaten Ar-
beitgebern im Stande, ihren Lohn bedeutend
zu erhöhen und die Arbeitszeit zu verkürzen.
Diese letztere ist nun in allen Kopenhagener
Bäckereien auf 60 Stunden wöchentlich ein-
geschränkt. Mehrere ähnliche, aber kleinere
Genossenschaftsbäckereien befinden sich in ver-
schiedenen Städten der Provinz.
Die Sozialdemokratie hat eine größere Zahl
Vcrsammlungshäuser entweder selbst gebaut
oder durch Kauf erworben. Allein in Kopen-
hagen besitzen wir zur Zeit drei und ein
viertes ist im Bau begriffen. In Aarhus,
Odense, Helsingör und Slagelse haben die
Genossen ebenfalls ihre eigenen Versamm-
lungsgebäude, und selbst im nördlichsten
Jütland haben arme Landarbeiter sich ein
solches Haus eingerichtet. In Esbjerg hat

„Demokrat" in Aarhus, „Der ostjütländischc! man ein großes Grundstück mit Garten er-
Sozial-Demokrat" in Horsens, „Randers'Ar-! worben, in Aalborg, Silkeborg und Horsens
beiterblatt", „Nordjütlands Arbeiterblatt", dem besitzen die Organisationen der Partei Garten-
Wochenblatt „Der Landarbeiter" und dem ! anlagen zur Abhaltung von Versammlungen
Witzblatt „Der Rabe". ! unter freiem Himmel. Das größte der Ver-
JmwirthschaftlichenLebenderNationhaben sammlungsgebäude, das in Kopenhagen, hat
die Gewerkschaften eine sehr bedeutende Rolle mit dem dazu gehörigen Garten einen Werth
gespielt. Sie sind nach englischem Muster gc- von einer Viertelmillion Kronen (ca. 225000
gründet worden, stehen aber doch auf der Mark). Der größte Saal im Gebäude faßt

breiten Grundlage, welche gleichzeitig dem ge- über 1500 Menschen.
werkschaftlichen wie dem politischen Kampfe Von den Führern der dänischen Sozial-

einen Platz cinrüumt. Durch zahlreiche große demokratie nennen wir zuerst den Landsthing-
Streiks und Lockouts haben die Gewerkschaften , abgeordneten P. Knudsen, den langjährigen
ihre Anerkennung von Seiten der Arbeitgeber Geschäftsführer der Partei. Schon in den
erzwungen. Die Folgen des festen Auftretens! siebziger Jahren nahm er an der Bewegung
der Organisationen zeigen sich in dem höheren ! theil und war der erste Vertrauensmann in

Arbeitslohn, der verkürzten Arbeitszeit und
den damit verbundenen hygienischen und in-
tellektuellen Vortheilen für die Arbeiterklasse.
Im Jahre 1872 wurde der Durchschnitls-
verdienst in allen Gewerben auf 2 Kronen
47 Oere (ungefähr 2 Mark 70 Pfennig) be-
rechnet, im Jahre 1892 dagegen war er
3 Kronen 35 Oere, wies also eine Erhöhung
um 35 Prozent aus. Für die Handarbeiter
beträgt die Erhöhung mindestens 30 Prozent.
Die Letzteren haben sich übrigens in den letzten
Jahren an den meisten Orten in der Provinz
starke Organisationen geschaffen und besitzen
in ihrem Sekretär, dem Genossen Lyngsie,
einen sehr energischen Mann mit ausgezeich-
netem Rednertalent. Ebenso hat die Bewegung
unter den weiblichen Arbeitern, dank der Ent-

seinem Fache (Glacshandschuhmacherei). Als
die Bahnbrecher der dänischen Sozialdemo-
kratie, Pio und Geleff, das Land verließen,
wurde Knudsen eine der festesten Stützen der
Partei. Er wurde als Mitarbeiter für die
Redaktion des „Sozial-Demokrat" gewonnen
und gleichzeitig Leiter der politischen Organi-
sation, wie er schon damals als Vertrauens-
mann im Ausschuß der zentralisirten Gewerk-
schaften saß. Im Jahre 1890 wurde er zum
Mitglied des dänischen Senats (Landsthing)
gewühlt. Knudsen ist ein ausgezeichneter Or-
ganisator und genießt auch unter den Gegnern
große Achtung. Ein umfassendes statistisches
Werk aus seiner Feder: „Krankenversicherung
und Altersversorgung", hat ihm von allen
Seiten wohlverdiente Anerkennung eingetragen.

Wicklung der Großindustrie, nach und nach
festere Formen angenommen und zugleich da-
mit ihre Schulung zur Theilnahme am öffent-
lichen Leben bedeutende Fortschritte gemacht.
Als Partei betrachtet hat die Sozialdemo-
kratie die Einrichtung von kooperativen Unter-

Der Schneidermeister P. Holm bekleidet
am längsten in der Partei eine repräsentative
Stellung: seit zwölf Jahren sitzt er ununter-
brochen als Vertreter des fünften Kopenhagener
Kreises im Folkething. Schon im Jahre 1881
wurde er in diesem Kreise aufgestellt. Holm
 
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