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Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse [Editor]
Die Weltkunst — 5.1931

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Nr. 22 (31. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44978#0267
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^£g. V, Nr. 22 vom 31. Mai 1931

DIE WELTKUNST

9

G.R.

Otto Mueller
Gedenk-Ausstellung

im
d ..'->11. ixronprinzenpaiais eine Ge-
®chtnisausstellung für Otto Mueller veran-
jjaEet, die einen ziemlich erschöpfenden Uber-
I über das kul_ _ _
^rs gibt, der 1930 im Alter von 56 Jahren in
Qleslau starb. In erster Linie sind es die
tnemälde, die diese Schau interessant
j achen. Nicht als ob nun neue Aspekte auf-
achten, die bisher unbekannt gewesen
®ren. Aber die Auswahl von Hauptwerken
s der nicht eben durchweg gleichwertigen
Induktion zeigt die Höhepunkte dieses
^hstlertums in einer bisher unerreichten
(j eise. Das gilt vor allem für die Gemälde
t, r späteren Zeit, in der Mueller seinen eige-
[y,n Stil gefunden hafte. Hier stellt sich
Joches Mal eine Intensität zur Schau, die
fl^ fast dramatischen Wendungen und Linien-
j Zungen nahe an Monumentalität streift —
j? bei den beiden Badenden (bei H. Lange,
j^feld) und Kind mit Esel. Von gobelin-
^ffem Reiz ist das aus Krefelder Privat-
s®.s'ß stammende „Schwarze Wasser“. Von
Ten verschiedenen Selbstbildnissen dieser
ist am bedeutendsten sein Selbstbild-
,.s mit Pentagramm, auf dem er sich in Braun
si 'sehen grünen und roten Hintergrund darge-
em hat.
(j- Neben diesen späteren Gemälden fallen
|re Arbeiten der früheren Zeit nicht unbe-
achtlich ab. Besonders schwach sind die
Cjen Bilder mit ihrer betonten, süßlichen
"I®; Immerhin legen sie den Ausgangs-

9ehUn9spa'as^es *n e'ner Pavillonstadt unter-
lrnöracht sein. Durch die Verlegung von dem
yrtter etwas umständlich zu erreichenden
dn°fZa nach d'er Industriehauptstadt Italiens
]-‘He der Zustrom und die Bedeutung der
fa^nn'ale wachsen. Das Programm um-
folgende Grundlinien: „Kunsterzeugnisse,
b® originell und ursprünglich sind, ferner der
s Clität des inländischen und der ausländi-
(I ’en Märkte entsprechen, auf Grund eines
heutigen Geschmack und den gegen-
Ttigen Anforderungen genügenden tech-
^schen Kriteriums zur Ausstellung zu bringen.
I la Ausstellung soll der Spiegel des heutigen
sCens sein; sie soll das Gegenwartsleben in
a|lnen kühnsten und tüchtigsten Formen, die
jJar gleichzeitig rigoros edel sind, geistig,
j.cbnisch und fendenzmäßig darstellen. Die
ahenische Teilnahme soll in möglichst stren-
^r! hochentwickelter und fortschrittlicher
„Tse das Land auf einem Gebiet, welches die
s ame Bedeutung für das moderne gesell-
^paftliche Leben hat, vertreten. Der Aus-
C Nng wird in Erweiterung zu den bisherigen
^ßsstellungen eine Schau für Wohnungs-
uesen und Architektur beigegeben sein.“
s Uss°lini hat der Triennale des Jahres 1933
c*ne volle Unterstüßung zugesagt.

Die Berliner Nationalgalerie hat
^.em. Kronprinzenpalais eine
. ®ditnisausstellung für Otto Mueller veran-
ri?Eei, die einen ziemncn ersenopfenaen über-
I lck über das künstlerische Schaffen Muel-

'leslau starb.
emälde.

^chkn.

punkt einer Entwicklung fest, die in dem
engen Kreis ihrer Begabung doch kraft ihrer
Beharrlichkeit und Intensität ein Werk her-
vorbrachte, in welchem manche Arbeiten Zu-
stimmung und Anerkennung beanspruchen
dürfen.
*
Aus der Graphik- Schau Otto Mueller
in der Galerie Ferdinand Möller,
Berlin, die wir in der leßten Nummer der
„Weltkunst“ eingehender besprochen haben,
bringen wir heute auf Seite 7 und 8 zwei
Hauptblätter zur Reproduktion.

Rudolf Grossmann
Rudolf Grossmann zeigt in Paris eine Reihe
seiner Bilder (Abbildungen in Nr. 21 u. untenst.l,
Zeichnungen und Lithographien. Die Galerie
Jeanne Castel hat in einer reizvollen
Ausstellung diese Werke in ihren Räumen
vereinigt und stellt sich durch diese mutige
Tat in die Reihe der Vorkämpfer um das Ver-
ständnis deutscher Kunst. Wieweit Gross-
mann jedoch als Vertreter typisch deutscher
Kunst angesehen werden kann, sei dahin-
gestellt. Denn er gehört zu jener Gruppe von
Künstlern, die im ersten Jahrzehnt unseres
Jahrhunderts ihre Bildung in Paris genossen,
in jenem Kreise um Henri-Matisse und im Cafe
du Dome, wo um 1905 sich eine ganz inter-
nationale Künstlerschar zusammengefunden
hatte.
Sein Stil, der sich zur Kampfzeit von
Matisse und Picasso gebildet hafte, der die
ganzen Stürme seiner Zeit als eigenstes Er-
leben durchlift, erzittert noch heute von den

heftigen Schlägen und den blißartigen Er-
kenntnissen, die vor dem Kriege der ganzen
Kunst ein verändertes Gesicht verliehen. Gross-
mann sagt uns nichts Neues; aber was er zu
sagen hat, sagt er gepflegt, ausdrucksvoll und
eindringlich. Seine festgefügten Formen,
seine leuchtende Palette, die Atmosphäre
seiner Landschaften, der Charakter seiner
Bildnisse (Abbildung in Nr. 21) und vor allem
seine empfindsame Handschrift verraten eine
starke und große Persönlichkeit, die im Rah-
men der deutschen Kunst ein unbedingt hohes
Niveau hat und hier im Ausland Zeugnis
gibt von dem Können der deutschen Künstler.
Seine Malerei, besonders aber seine Zeich-
nung fügt sich gut ein in den Rahmen der
Pariser Kunstausstellungen und dient den
Franzosen zu einem tieferen Verstehen der
Kunst jenseits des Rheins. Er wird in Paris
freundlicher aufgenommen als der eigenbröt-
lerische Max Beckmann und wohlwollender
angesehen als der für Frankreich allzu bittere
Georg Grosz. Neben Kokoschka freilich
bringt Grossmann nicht so viel Eigenes mit
und wird auch nie so sensationell und bahn-
brechend der deutschen Kunst in Paris zu
einem eigenen Gesicht verhelfen.

Christian Berard
Die rührige Galerie Bonjean, welche
vor einigen Wochen eine Gruppe deutscher
Künstler ausgestellt hatte, macht sich zur Auf-
gabe, junge Talente zu entdecken und dem
Publikum vorzusfellen.
Christian Berard gehört zu jener Gruppe
junger Künstler, die
neben Picasso und Jean
Cocteau die literarische
Note unserer heu-
tigen Kunst betonen
und der modernen
Dichtung und Lyrik als
Folie und Interpret
dienen. Ihre geistige
Haltung ist bestimmt
durch die gesellschaft-
liche Attitüde eines
kleinen Kreises mo-
derner Literaten, die in
snobistischer Zurück-
haltung eine Art von
Geheimbund bilden und
beim bläulichen Rauch
der Opiumpfeifen ihre
erträumten Welten als
dichterische Schöpfun-
gen verkünden.
Der künstlerische
Niederschlag dieser
Atmosphäre ist nicht zu
verkennen, denn diese
Menschen sind nicht
nur Künstler in ihrem
Schaffen, sondern be-
sonders in ihrer Lebens-
haltung. Die wirkliche
Welt besteht nicht für


Rudolf Grossmann, Tiroler Schneelandschaft (1930)
Paysage d’hiver dans le Tyrol — Winter landscape in Tyrol
Ausstellung — Exposition — Exhibition:
Galerie Jeanne Castel, Paris

sie; sie haben sich ein eigenes Paradies ge-
schaffen, und die Früchte, die darin gedeihen,
sind seltsame und fremdartige Gewächse.
Berard ist heute 27 Jahre. In seinem Leben
hatte er niemals starke Erschütterungen er-
fahren. Er lernte die Malerei in den Ateliers
von Vuillard und Maurice Denis, reiste früh
schon nach Italien und begeisterte sich für die
Linie von Picasso, das Licht von Matisse, das
Stoffliche bei Vermeer und das Temperament
Goyas. Aber er selbst ist keineswegs ein
Gemisch dieser Reminiszenzen. Er beginnt
mit kraftvollen heldischen Figuren, liuldi-


Christian Berard, Portrait (1927)
Ausstellung — Exposition — Exhibition:
Galerie Bonjean, Paris

gungen männlicher Schönheit, um später
immer feiner, zarter und empfindsamer zu
werden. Dekorationen und Entwürfe für ein
russisches Ballett zeigen ein starkes rhyth-
misches und kompositionelles Gefühl. Seine
Zeichnungen sind durchgeistigt und subtil und
naben bisweilen etwas von der unbedingten
Harmonie und dem klassischen Linienduktus
der Skizzen Picassos. Am interessantesten
sind jedoch seine Gemälde (Abbildung
oben), farbige Visionen, erfüllt von ner-
vöser Erregung oder traumhafter Ruhe. Im-
mer sind es seelische Spannungen, visionäre
Erscheinungen und Verwirklichungen einer
fremden Welt, die man wie auf einer Bühne
— greifbar nahe und doch unerreichbar — er-
lebt. Sie sprechen zu uns in einer lauten
und deutlichen, aber fremden Sprache; wir
verstehen den Ausdruck ihrer Gebärden, aber
der letzte Sinn bleibt uns verschlossen.
Dr. Fr. Neugass, Paris

U Es kostet eine Stunde Bahnfahrt, dann er-
^‘‘iet uns ein Wägelchen — eigentlich er-
^artet es gar nicht uns, sondern die Friseurin
lj f Gräfin, die augenscheinlich eine wichtigere
9?he spielt, — wir sind nur ungeladene Zaun-
jji, ^or dem Schloß angelangt, habe ich Muße,
tqTS zu betrachten, denn mein Führer hat
einiger Verlegenheit einstweilen hier
Iq^ü&en warten lassen. Er selbst ist im
$uerr> verschwunden. Es ist ein imposantes
kes Schloß vom Anfang des vorigen Jahr-
t] 1 derls, mit einem großen schönen Park
Ijqdnter. Der weite Hofplaß vor dem Schloß
s ,91 in vollster Sonne da. Einige Pfaue
J'mgen mit der majestätischen Koketterie
b'Tkannter Schönheiten ihr Rad, und ihre
(j aern schillern wunderbar blau und grün in
g r Sonne. Puten und Hühner schreiten
IpWkernd und reizlos wie ein paar alte Weib-
q a dazwischen. Ab und zu sieht man einen
ii?Jsinspektor in hohen Stiefeln auffauchen
a den Knechten Befehle erteilen.
Auf der anderen Seite des Hofes aber ist
Hq großes Schild: Parzellen zu verkaufen,
y d dahinter, in einer Art Schuppen, sißen
b ■ Paar Männer an Schreibtischen, — die
Sq/^ellierung des großen Grundbesißes
Tint in vollem Gange.
^.Endlich faucht mein Führer wieder auf und
eJdd mich ins Schloß. Aber nicht die Gräfin
ßfangt uns, wie ich gedacht, sondern irgend
^dienstbarer Geist führt uns durch die alt-
tle disch-eleganten Räume mit ihrer verbliche-
dfd Fracht. Überall hängen Bilder, Photo-
i^qdhien der Gräfin: hier als Reiterin hoch zu
üclt d°ri ’m großen Abendkleid, im Stil der
nff1 ?-iger Jahre, überall als schöne junge Frau,
Spunds als die Siebzigerin, die sie heute
" soll.
betrachte flüchtig das schöne Bild, das
Taben will und mache mir meine Notizen,
s 'M eine ganz wundervolle Herbstland-
\veaaft von I. C. Dahl, dem berühmten Nor-
it| 5er, der einen großen Teil seines Lebens
tjj Uresd>en verlebt hat, die Elbe darstellend,
Spk,..s'ich zwischen Herbstbäumen hindurch-
L Iar>gelf, im Hintergrund die Türme von
Nden-
Wj]| l,n bin ich zum Ankauf entschlossen und
tV: die Gräfin sprechen, um die Sache ins
de zu bringen.
be’’.Die Gräfin sprechen?“ Allgemein größte
lijljjdrzung. — „Das ist unmöglich, die Gräfin
Mch nicht sprechen!“
'■wie soll ich dann die Bilder kaufen?“
Utijj a9en Sie mir, welche Bilder Sie wollen
^as Sie dafür bezahlen.“

Es fällt mir schwer, so unkaufmännisch
vorzugehen, aber was bleibt mir übrig?
Ich verrate also mit innerem Ingrimm,
welches Bild mich interessiert, und gebe ein
Gebot ab im Glauben, daß mein Tapezierer-
meister gleich zur Gräfin hineingehen wird.
Aber er lehnt ganz erschrocken ab.
„Jeßt hineingehen? Am Vormittag? Ganz
ausgeschlossen! Die Gräfin wird mich morgen
nachmittag wohl anrufen, dann gebe ich Ihnen
Nachricht.“
Wie wir das Schloß verlassen, schreitet
eine hohe, schlanke Frauengestalt mit weißem
Bubikopf über den Hofplaß. Sie hat Breeches
an und schwingt die Reitgerte drohend über
dem Kopf eines Bedienten.
„Oh Gott, da ist sie“, flüstert mein Kuli
erschrocken und zieht mich schnell ins Schloß
zurück. Erst wie sie in den Ställen ver-
schwunden ist, darf ich hinaus.
Auf der Rückfahrt erzählt mir mein Be-
gleiter von dem strengen Regiment, das auch
heute noch auf dem Schlosse herrscht: wie
jeder Fehler der Dienstleute mit der Reit-
peitsche der Gräfin korrigiert wird, und jeder
unnachsichtig entlassen wird, der sich ihren
Befehlen nicht sofort fügt.
Am nächsten Nachmittag ruft der Hand-
werker mich an: „Ihr Gebot ist abgelehnt.“
„So — und was nun?“
„Das weiß ich nicht.“
Jeßi reißt mir die Geduld: „Herrgott,
Mensch, s o kann man doch nicht verhandeln
— entweder die Gräfin will verkaufen, dann
muß sie sich zu einer Verhandlung be-
quemen — oder man muß die Sache fallen
lassen.“
„Die Gräfin empfängt niemanden.“
„Dann soll sie’s bleiben lassen, es gibt
noch mehr Bilder!“ rufe ich zornig und
hänge an.
Eine Stunde später kommt eine weibliche
Abgesandte der Gräfin, eine Beschließerin
oder Wirtschafterin, eine einfache Person,
aber mit adeligem Namen.
Sie verlangt nur noch die Hälfte des Kauf-
preises und läßt durchblicken, daß die Gräfin
auch noch billiger würde, wenn sie das Geld
jeßt gleich haben könnte.
Wie ich von ihr erfahre, sind die Verhält-
nisse der Reichsgräfin gänzlich unterminiert.
Ihr großer Besiß ist parzelliert, die ungeheure
Summe, die sie dafür erhalten hat, ist auf die
angehäuften Schulden draufgegangen, jeßt hat
sie nur noch eine verhältnismäßig kleine
Rente, die sie an ihren Hofstaat — verarmte
Adelige, Schauspieler, Schulreifer — ver-
geudet, verborgt, verschenkt und sich mit
diesen Gnadenakfen das Gefühl ihrer Fürst-

lichkeit erhält. Wovon sie lebt? Wenn das
Wasser ihr bis an den Hals geht, verkauft sie
ein Stück aus ihrem Besiß: einen Wagen —
eine Kuh — ein Pferd — jeßt sind die Bilder
dran!
„Wir können sofort handelseins werden,
und ich lege der Gräfin das Geld bar auf den
Tisch, wenn ich sie sprechen kann“, sage ich,
denn ich hatte jeßt genug von der ungeschick-
ten Vermittlung.
„Sie läßt sich nicht sprechen. Nicht von
Bürgerlichen“, fügt die Beschließerin leise
hinzu.
„Dann nicht", sage ich ärgerlich.
„Sagen Sie doch, was Sie bezahlen
wollen", bittet die Frau. „Nachmittag um
4 Uhr 5 Minuten darf ich die Gräfin anrufen,
dann gebe ich Ihnen Bescheid.“
„Und wenn Sie jeßi um 10 anrufen oder
um 11 oder um 12 — beißt sie dann?“ sage ich
entrüstet über dieses Louis XIV-Regime im
kleinen.
„Das ist ausgeschlossen, aber um 414 kann
ich Ihnen Nachricht geben."
„Ich verzichte.“
Punkt 4% ruft die Frau doch bei mir an.
„Die Gräfin gibt Ihnen das Bild um
3000 Mark“ — die Summe, die ich gestern ge-
boten hatte — „wenn ich das Geld gleich bar
haben kann.“
„Sie können das Geld haben, sowie ich das
Bild habe.“
„Die Gräfin braucht es aber s o f o r i.“
„Ja — warum haben Sie dann nicht früher
mit ihr gesprochen?“
„Vor 4 Uhr 5 ist mir’s nicht erlaubt.“
Die Banken sind jeßt nicht mehr offen —
ich habe also gar keine Wahl.
„Morgen früh um 10 können Sie das Geld
haben, wenn Sie mir das Bild herschicken."
Nochmals versucht die Frau den Betrag
gleich zu erhalten. Wie sie aber sieht, daß es
unmöglich ist, schlägt sie zu mit der Bitte, das
Geld schon um % 10 bereit zu halten: „Aber
schicken können wir das Bild nicht, das ist
ausgeschlossen, und wenn Sie’s holen, nicht
vor 12 Uhr, damit die Gräfin schon aus dem
Haus ist.“
„Hochmütige Gesellschaft!“ denke ich mir,
aber das Bild ist zu schön, um es fahren zu
lassen.
Am nächsten Vormittag mit dem Mittags-
glockenschlag fahre ich also vor dem Schlosse
vor, um das Bild abzuholen.
Ein Lakai stürzt mir aufgeregt entgegen
und schreit meinem Chauffeur zu: „Zurück-
fahren!“
„Was heißt das?“ frage ich betroffen, „ich
will das Bild abholen."

„Ja, ja, ich weiß, Sie bekommen’s dann
schon, aber jeßt muß Ihr Wagen hier weg ...“
und mit einer gebieterischen Handbewegung
zwingt er den Chauffeur, von der Rampe
wegzufahren und auf der Hinlerseite des
Schlosses zu halten.
„Jeßt fährt der Wagen der Frau Gräfin
vor, da muß die Rampe frei sein. Sie zieht
sich nur noch an, in Stunde kann sie da
sein.“
Jeßt scheint es mir genug der feudalen
Rücksichtslosigkeiten, — troß der sichtlichen
Unzufriedenheit des Bedienten steige ich aus,
um nach vorn zu gehen.
Da sehe ich ein buntes Häuflein Leute
durch die Hintertür ins Schloß gehen.
„Was ist denn hier los?“ frage ich neu-
gierig.
„Kommen Sie doch mit, wenn’s Sie inter-
essiert“, sagt ein großer Mann mit Amtsmiene.
Ich trete mit ein und sehe ein Dußend
Menschen versammelt. Der Mann mit der
Amtsmiene rückt einen schönen, alten
Renaissanceschrank ins Licht, zeigt ihn von
innen und außen und sagt dann: „Ich beginne
mit diesem schönen, alten Danziger Schrank,
Originalbeschläge, — bitte um ein Angebot. —
Totenstille — schließlich ersteht ein kleiner
Antiquitätenhändler den Schrank, der wohl
einige tausend Mark wert ist, um ein Spott-
geld, denn — hier ist Zwangsverstei-
gerung und der Mann mit der Amtsmiene
ist der Gerichtsvollzieher! Nun
weiß ich, warum die Gräfin mein Geld durch-
aus schon gestern haben wollte.
Ganz benommen verlasse ich den Saal und
gehe langsam nach vorn. In demselben
Augenblick trift die Gräfin, eine alte Frau, die
sich aber kerzengerade und majestätisch hält,
aus dem Schloß. Rechts und links bilden die
Bedienten Spalier mil tiefer Verneigung, bis
ihre Herrin vorbeigeschritten ist.
Nun werde ich ins Schloß vorgelassen, die
Beschließerin entschuldigt sich wortreich
wegen der Verzögerung und zeigt mir —
nachdem sie mir das Bild übergeben —, um
mich zu versöhnen, den großen Ahnensaal, in
dem die Ahnenbildnisse derer von X. an den
Wänden hängen. Hier speist die alte Gräfin
jeden Mittag an der langen Tafel ganz allein,
bedient von fünf Lakaien, deren einer
immer hinter ihrem Stuhle steht. Hier
herrscht sie noch als die feudale Reichsgräfrn
von uraltem Adel, wenn auch das alte Schloß
schon in seinen Grundfesten erschüttert ist,
und immer häufiger die Hammerschläge des
Gerichtsvollziehers bis hier herein dringen:
„Zum Ersten, zum Zweiten, zum.!"
Ilse Blumenreich
 
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