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KUNSTGESCHICHTLICHE GRUNDBEGRIFFE

mehr ins Schlanke, bald mehr ins
Breite fallen, so stellt sich die
körperliche Modellierung dem
einen vielleicht voll und saftig dar,
während dieselben Vorsprünge
und Eintiefungen von andern
zurückhaltender, mit viel mehr
Knappheit gesehen werden. Und
so ist es mit dem Licht und mit
der Farbe. Die redlichste Absicht,
genau zu beobachten, kann nicht
verhindern, daß eine Farbe das
eine Mal mehr nach der warmen
Seite hin, das andere Mal mehr
nach der kalten aufgefaßt wird,
daß ein Schatten bald weicher,
bald härter, ein Lichtgang bald
schleichend; bald mehr lebhaft
und springend erscheint.

Botticelli (Ausschnitt) Läßt man die Verpflichtung auf

ein gemeinsames Vorbild der Natur fallen, so treten diese individuel-
len Stile natürlich noch deutlicher auseinander. Botticelli und Lorenzo
di Credi sind zeit- und stammverwandte Künstler, beides Florentiner
des späteren Quattrocento, aber wenn Botticelli einen weiblichen Kör-
per zeichnet, so ist es nach Gewächs und Formenauffassung etwas, das
nur ihm eigentümlich ist und was von jedem Frauenakt des Lorenzo
sich so grundsätzlich und unverwechselbar unterscheidet wie eine Eiche
von einer Linde. In Botticellis ungestümer Linienführung gewinnt jede
Form eine eigentümliche Verve und Aktivität, für den bedächtig mo-
dellierenden Lorenzo erschöpft sich der Anblick wesentlich im Eindruck
der ruhenden Erscheinung. Nichts lehrreicher als den ähnlich gebogenen
Arm hier und dort zu vergleichen. Die Schärfe des Ellenbogens, der zügige
Strich des Unterarms und dann wie die Finger radiant über der Brust aus-
einandergehen, jede Linie geladen mit Energie, das ist Botticelli; Credi wirkt
lahmer dagegen. Sehr überzeugend modelliert, das heißt im Volumen emp-
funden, besitzt seine Form doch nicht die Stoßkraft der Botticellischen Kon-
tur. Das ist ein Temperamentsunterschied, und dieser Unterschied geht

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