Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Jan van Goyen

I.

Iudwig Richter erzählt in seinen Lebenserinnerungen, wie er in Tivoli
^ einmal als junger Mensch, zusammen mit zwei Kameraden, einen
Ausschnitt der Landschaft zu malen unternahm, er und die andern fest ent-
schlossen, von der Natur dabei nicht um Haaresbreite abzuweichen. Und
obwohl nun das Vorbild das gleiche gewesen war und jeder mit gutem Ta-
lent an das sich gehalten hatte, was seine Augen sahen, kamen doch drei
ganz verschiedene Bilder heraus, so verschieden unter sich wie eben die
Persönlichkeiten der drei Maler. Woraus dann der Berichterstatter den
Schluß zog, daß es ein objektives Sehen nicht gäbe, daß Form und Farbe je
nach dem Temperament immer verschieden aufgefaßt werden würden.

Für den Kunsthistoriker hat diese Beobachtung nichts Überraschendes.
Man rechnet längst damit, daß jeder Maler „mit seinem Blute“ male. Alles
Unterscheiden der einzelnen Meister und ihrer „Hand“ beruht im letzten
Grunde darauf, daß man solche Typen individueller Formgebung anerkennt.
Bei gleicher Orientierung des Geschmackes (uns würden jene drei Tivoli-
landschaften zunächst wahrscheinlich ziemlich gleich, nämlich nazarenisch
Vorkommen) wird die Linie hier mehr eckigen, dort mehr rundlichen Cha-
rakter haben, hier mehr stockend und langsam, dort mehr strömend und
drängend in der Bewegung empfunden sein. Und wie die Proportionen bald

Die doppelte
Wurzel des
Stils

i Wölfflin, Grundbegriffe

I
 
Annotationen