Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Allgemeines

ii. Fläche und Tiefe

Malerei

i.

T X Tenn man sagt, es habe eine Entwicklung vom Flächenhaften zum Tie-
^ * fenhaften stattgefunden, so sagt man damit nichts Besonderes, denn
es ist selbstverständlich, daß die Darstellungsmittel für den Ausdruck des
Körperlich-Vollen und des Räumlich-Tiefen sich erst allmählich ausgebildet
haben. Allein in diesem Sinne soll hier auch gar nicht von den zwei Begriffen
gehandelt werden. Das Phänomen, das wir im Auge haben, ist jenes andere:
daß gerade diejenige Kunststufe, die sich in den vollen Besitz der bildneri-
schen Raummittel gesetzt hat, das 16. Jahrhundert, den flächenmäßigen Zu-
sammenschluß der Formen als Grundsatz anerkennt, und daß dieses Prinzip
der Flächenkomposition vom 17. Jahrhundert zugunsten einer ausgesproch-
en Tiefenkomposition fallen gelassen wurde. Dort ein Wille zur Fläche, der
das Bild in Schichten bringt, die parallel zum Bühnenrand stehen, hier die
Neigung, dem Auge die Fläche zu entziehen, sie zu entwerten und unschein-
bar zu machen, indem die Verhältnisse des Vor- und Rückwärts betont wer^\
den und der Beschauer zu Bindungen nach der Tiefe hin gezwungen wird.

Es scheint paradox und entspricht doch vollkommen den Tatsachen: das
16. Jahrhundert ist flächenhafter als das 15. Während die unentwickelte Vor-
stellung der Primitiven zwar im allgemeinen an die Fläche gebunden ist, aber
doch beständig Versuche macht, diesen Bann der Fläche zu durchbrechen,
sehen wir die Kunst, sobald sie erst einmal vollständig die Verkürzung und
die tiefe Bühne sich erobert hat, bewußt und konsequent zur Fläche als der
eigentlichen Anschauungsform sich bekennen, die im einzelnen da und dort
durch Tiefenmotive aufgehoben sein kann, aber doch als verbindliche Grund-
form durch das Ganze durchschlägt. Was die ältere Kunst an Tiefenmotiven
vorbringt, wirkt dort meist zusammenhanglos und die horizontale Schich-
tung erscheint als bloße Armut, jetzt dagegen ist Flaches und Tiefes zu
einem Element geworden und eben weil alles mit Verkürzung durchsetzt
ist, empfinden wir das flächenmäßige Sich-Bescheiden als ein freiwilliges und
man gewinnt den Eindruck eines zur größten Ruhe und Schaubarkeit ver-
einfachten Reichtums.

Niemand, der von den Quattrocentisten herkommt, wird den Eindruck ver-

80
 
Annotationen