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DIE KUNST ALBRECHT DÜRERS

lung bei ihm. Die Beobachtungen werden feiner und ausgedehnter, die Darstellungs-
mittel reicher und präziser; Licht und Schatten spielen eine wichtige Rolle; die Linien-
führung nimmt eine Wendung zum Zierlichen. Der Sturm und Drang ist vorbei.
Aber darf man überhaupt diesen Begriff bei Dürer anwenden ? Auch friiher, da wo man
den heftigen Pulsschlag des jungen Kiinstlers spiirt, iiberwiegt das Temperament nie
den kiinstlerischen Verstand. Das Verbliiffend-Originelle, die geistreichen Extravaganzen
findet man nicht bei ihm. Ein Zeitgenosse wie der junge Cranach ist viel weiter vom
Weg des Gewohnten abgegangen und hat auf einen Augenblick vielleicht manche mehr
geblendet; nachher ist er griindlich steckengeblieben. Diirers Kunst hat von Anfang an
eine charakteristische Eigenschaft, die vollkommene Sachlichkeit: ich meine, daß ihm
die erschöpfende Darstellung der Dinge Hauptsache gewesen ist. Durch ihn zuerst wird
dann die Darstellung an sich ein anerkanntes Problem der bildenden Kunst.

Wo aber die Absicht auf erschöpfende Darstellung ging, da konnte der Holzschnitt un-
möglich geniigen. Es ist die subtile Technik des Kupferstichs, in der Dürer seine feinsten
Dinge gibt, wo er fiir sich arbeitet, wo er die Form nachbildet um ihrer selbst willen. Die
Malerei blieb einstweilen noch zuriick.

Die Stiche umfassen alles: Heiliges und Weltliches; Landschaften, Tiere und mensch-
liche Figur; das Hauptthema aber ist der nackte Mensch. In Italien war es ihm aufge-
gangen, daß es daran fehle bei den Deutschen. Daß man mit dem natiirlichen Gewächs
des Körpers anfangen miisse und daß die menschliche Form zugleich die letzte Aufgabe
der Kunst sein möchte. Alle Gewandfigur war doch nur Phrase, solange man den Körper
nicht besaß, und das (wenige) Nackte, was da war, so ein Schongauerscher Sebastian
etwa, erschien ungeniigend nicht nur wegen mangelnder Kraft, sondern weil der Sinn
des körperlichen Baues nicht richtig erfaßt war. Aber nun erleben wir eine große Ent-
täuschung: wir erwarten Naturstudien und bekommen Nachzeichnungen fremder fertiger
Vorlagen. Diirer kopiert italienische Muster. Der Mann, der die Mittel hatte, der deut-
schen Kunst vom Wirklichen einen ganz neuen Begriff zu geben, begniigt sich in einer
ganzen Reihe von Arbeiten mit einer Kunst aus zweiter Hand. Er kopiert und setzt die
Elemente zu gelehrten Kompositionen zusammen, und es macht ihm gar kein Unbe-
hagen, daß diese Körper doch alle eine andere Natur als die deutsche voraussetzen.

Und bald bemerkt man etwas noch Merkwiirdigeres: daß ihm das Wirkliche iiberhaupt
nicht geniigt. Vom Naturalismus, der sich in der Darstellung des Gegebenen erschöpft,
drängte es ihn weiter zu einer Kunst, die das Typisch-Abschließende gibt. Er wollte
den Menschen bilden, so wie er nach der Absicht des Schöpfers sein sollte. Verwirrt
und beunruhigt durch die Unendlichkeit der individuellen Erscheinungsformen sucht
er nach dem letzten Bilde der Schönheit, das doch in bestimmten Maßverhältnissen be-
schlossen sein muß: wie könnten wir sonst sagen, der eine Mensch sei schöner als der
andere? Er findet eine solche Formel, mit der er sich vorderhand zufrieden gibt, und
so entsteht der Stich von ,,Adam und Eva“ mit dem Datum 1504, ein Blatt, das kunst-
geschichtlich unendlich viel mehr bedeutet als das beste gleichzeitige Gemälde, wie etwa
die ,,Anbetung der Könige“ (Florenz).
 
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