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LEBENSGESCHICHTE

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Alpen angenommen werden müßte, auch wenn wir nicht durch sonstige Hinweise
darauf gedrängt würden. Mag sein, daß einzelne Stiche italienischer Meister von Dürer
schon im Norden kopiert wurden, 1495 aber hat er sicher auf italienischem Boden ge-
standen. Mit diesem Datum stimmt es, wenn Dürer später auf der großen italienischen
Reise 1506 von einem Eindruck spricht, den er elf Jahre früher an Ort und Stelle, d. h.
in Venedig, gehabt habe1).

Vieles hat er damals gesehen, was eine mächtige Gärung in ihm hervorrufen mußte:
große Landschaft, die Berge und Täler Tirols, Venedig und seine Maler, der Hauptein-
druck scheint aber Mantegna gewesen zu sein. Der Abstand war ein ungeheurer, ja,
in ganz Italien hätte er kaum einen stärkeren Gegensatz zu Schongauer finden können
als den heroischen, strengen, antik gesinnten Meister von Padua. In großer sicherer Er-
scheinung gewahrte er da eine ganz andere Welt von Schönheit, andere Körper, andere
Bewegungen und eine Gesinnung, die ihn in ihrer Art ebenso fremd berühren mußte:
dem grandiosen Pathos Mantegnas — was hatte die nordische Kunst dem irgend Ver-
gleichbares entgegenzusetzen?

Selbstverständlich, daß Dürer nicht eine Kunst an die andere hingab; auch wenn er
gewollt hätte, er hätte nicht mit einem Male Italiener werden können. Er vermittelt
und kommt dadurch in Nachteil gegen Schongauer. Altes und Neues stehen unausge-
glichen nebeneinander. Es ist die Trübung des Stilgefühls, wie sie jeden Übergang kenn-
zeichnet. Aber es glühte eine Feuerseele in dem jungen Künstler, und man sieht mit
Spannung dem Moment entgegen, wo er die Kraft seiner Jugend in eine große Aufgabe
ausströmen lassen würde.

Das geschah im Holzschnitt. Es ist sehr charakteristisch: der Linienkunst hat er zuerst
sich anvertraut. Er griff nach dem aktuellsten Stoff der Zeit, nach der Offenbarung des
Johannes. Die Zeichen, die man damals erwartete als die letzten vor dem Untergang
der Welt, dort standen sie geschrieben, und sie wollte er in neuen Linien gestalten, mit
einer noch nie gesehenen Macht des Ausdrucks, auf großen, großen Blättern: als Holz-
schnitte, damit er sicher sein konnte, zu vielen zu reden. Das Buch erschien 1498.
Für die Geschichte des Holzschnittes bedeutet die Apokalypse eine neue Epoche; durch
die kühne Genialität der Jugend, die sie vor anderen Arbeiten Dürers auszeich.net, hat
sie aber immer, namentlich auf produktive Geister, einen besonderen Eindruck ge-
macht.

Gleichzeitig fing Dürer an, das Thema zu gestalten, das ihn zu allen Zeiten seines Le-
bens beschäftigt hat, die Passion des Herrn. Auch hier sind es Holzschnitte größten
Formats. Der Zyklus ist erst später abgeschlossen worden, aber gerade in den früheren
Blättern lebt ein auf das Heroische gerichteter Wille, der sie sehr wesentlich von der
sentimentalen Haltung der hergebrachten Passionskunst unterscheidet.

Das dritte Holzschnittwerk, das in seiner Hauptmasse noch der Frühzeit angehört, ist
das „Marienleben“, ein paar Jahre später gezeichnet als die ersten Zyklen und von
anderer Stimmung. Dürer ist hier beschaulich, beschreibend, schildernd. Etwas davon
liegt in der Natur des Themas, aber es ist auch die allgemeine Tendenz der Entwick-
 
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