UBER NEUERE KÜNSTLER
Der unbefangenste Neuerer fühlte sich wohl an dem zeremoniellsten Hofe Euro-
pas. Jung traf er zusammen mit einem jungen König, der, ein passionierter
Kunstfreund, mit ihm ein Bündnis einging, das ein Leben lang gedauert hat
und intimer Art gewesen ist. Als Hofmaler Philipps des Vierten und später so-
gar als Hofmarschall hat Velazquez seine Kunst ausgebildet. Der König be-
suchte seinen Künstler fast täglich in der Werkstätte und ist ein verständiger
Schüler gewesen. Ohne diesen intimen Verkehr wäre es undenkbar, daß Velaz-
quez der Maler des Hofes hätte bleiben können. Merkwürdiger aber als die
Gunst des Königs ist die künstlerische Frische und Triebkraft, die sich der
Künstler in dieser Stellung bewahrte. Er ist nie auch nur einen Augenblick
stehen geblieben und hat das Erreichte immer nur als Ausgangspunkt für wei-
tere Entwick'ungen benutzt. Sein Stil hat sich nie zur Manier verknöchert. Das
wunderbar abgekürzte und vereinfachte Verfahren der ganz reifen Arbeiten
glaubt Justi freilich auch zum Teil aus spanischem Phlegma erklären zu dürfen
(kunsthistorische Einleitung zum Bädeker für Spanien).
Die Hofstellung brachte neben vielen Vorteilen eine große Beschränkung im
Stofflichen mit sich. Velazquez mußte so viele Porträts malen - und zwar mei-
stens dieselben Personen -, daß er außerhalb Spaniens fast nur als Porträtist
bekannt ist. Es läßt sich annehmen, daß dieser Zwang nicht als Beengung von
ihm empfunden wurde. Das, was ihn bei der Arbeit interessierte, das rein male-
rische Problem, blieb sich ja überall gleich. Und er hatte die besondere Dispo-
sition zum Porträtmaler. Er, eine kühle, beobachtende Natur, konnte der frem-
den Individualität ein vollkommenerer Spiegel sein, als wenn er von lebhafterem
Temperament gewesen wäre. Man kann viele seiner Porträts beisammen sehen:
jedes ist anders. Was sonst so leicht bemerkbar wird, ein Zug von Familien-
ähnlichkeit, der alle Köpfe untereinander verbindet, das fehlt bei ihm völlig.
Er beweist hier eine erstaunliche Fähigkeit der Selbstentäußerung. Wenn man
einen zweiten Großen mit ihm zusammenstellen wollte, so müßte man auf Hol-
bein zurückgehen. Den größten Gegensatz zu ihm bildet jedenfalls sein Zeit-
genosse Van Dyck, dessen dreihundertjähriger Geburtstag ebenfalls in diesem
Jahre gefeiert wird.
Wenn bei Gelegenheit des Zentenariums Deutschland seinen Besitz an Bil-
dern des Velazquez nachzählt, so ist das Resultat, im Vergleich zu England
etwa, nicht glänzend. Die Deutschen können sich damit trösten, daß sie ein
Buch besitzen wie Justis Velazquez: es ist das beste, was über den Künstler
geschrieben worden ist, und wahrscheinlich die vollkommenste Malerbiogra-
phie, die überhaupt existiert.
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Der unbefangenste Neuerer fühlte sich wohl an dem zeremoniellsten Hofe Euro-
pas. Jung traf er zusammen mit einem jungen König, der, ein passionierter
Kunstfreund, mit ihm ein Bündnis einging, das ein Leben lang gedauert hat
und intimer Art gewesen ist. Als Hofmaler Philipps des Vierten und später so-
gar als Hofmarschall hat Velazquez seine Kunst ausgebildet. Der König be-
suchte seinen Künstler fast täglich in der Werkstätte und ist ein verständiger
Schüler gewesen. Ohne diesen intimen Verkehr wäre es undenkbar, daß Velaz-
quez der Maler des Hofes hätte bleiben können. Merkwürdiger aber als die
Gunst des Königs ist die künstlerische Frische und Triebkraft, die sich der
Künstler in dieser Stellung bewahrte. Er ist nie auch nur einen Augenblick
stehen geblieben und hat das Erreichte immer nur als Ausgangspunkt für wei-
tere Entwick'ungen benutzt. Sein Stil hat sich nie zur Manier verknöchert. Das
wunderbar abgekürzte und vereinfachte Verfahren der ganz reifen Arbeiten
glaubt Justi freilich auch zum Teil aus spanischem Phlegma erklären zu dürfen
(kunsthistorische Einleitung zum Bädeker für Spanien).
Die Hofstellung brachte neben vielen Vorteilen eine große Beschränkung im
Stofflichen mit sich. Velazquez mußte so viele Porträts malen - und zwar mei-
stens dieselben Personen -, daß er außerhalb Spaniens fast nur als Porträtist
bekannt ist. Es läßt sich annehmen, daß dieser Zwang nicht als Beengung von
ihm empfunden wurde. Das, was ihn bei der Arbeit interessierte, das rein male-
rische Problem, blieb sich ja überall gleich. Und er hatte die besondere Dispo-
sition zum Porträtmaler. Er, eine kühle, beobachtende Natur, konnte der frem-
den Individualität ein vollkommenerer Spiegel sein, als wenn er von lebhafterem
Temperament gewesen wäre. Man kann viele seiner Porträts beisammen sehen:
jedes ist anders. Was sonst so leicht bemerkbar wird, ein Zug von Familien-
ähnlichkeit, der alle Köpfe untereinander verbindet, das fehlt bei ihm völlig.
Er beweist hier eine erstaunliche Fähigkeit der Selbstentäußerung. Wenn man
einen zweiten Großen mit ihm zusammenstellen wollte, so müßte man auf Hol-
bein zurückgehen. Den größten Gegensatz zu ihm bildet jedenfalls sein Zeit-
genosse Van Dyck, dessen dreihundertjähriger Geburtstag ebenfalls in diesem
Jahre gefeiert wird.
Wenn bei Gelegenheit des Zentenariums Deutschland seinen Besitz an Bil-
dern des Velazquez nachzählt, so ist das Resultat, im Vergleich zu England
etwa, nicht glänzend. Die Deutschen können sich damit trösten, daß sie ein
Buch besitzen wie Justis Velazquez: es ist das beste, was über den Künstler
geschrieben worden ist, und wahrscheinlich die vollkommenste Malerbiogra-
phie, die überhaupt existiert.
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