Der Wandel der Bildvorstellungen in der deutschen Dichtung und Kunst 65
Situation der Vorgänge, ihre
örtlichen und zeitlichen Um-
stände, undeutlich zu lassen“,
gilt als eine Eigenheit der stili-
sierenden epischen Poesie1).
Die Illustrationen der Heidel-
berger Handschrift zeigen die
gleiche Hintergrundslosigkeit
(Abb. 6). Von den 39 Bildern
bringen nur 5 hinter den Figu-
ren ganz zurücktretende, teil-
weise absolut kleiner als diese
gegebene Andeutungen über
die Umgebung: Architekturen,
Baum, Felsen. Aber wenn wir
auch versichern, daß sie dies
mit der überwiegenden Mehr- Abb. 2. Frühlingslandschaft
zahl der Miniaturen des 1 2. J ahr- Aus den Carmina Burana, München, Staatsbibliothek, uni 1225
hunderts gemein haben, so beweist das nichts. Zu allen Zeiten kann die Illustration und
besonders die Zeichnung auf Hintergrundsangaben verzichten. E§ kommt darauf an, wie
die Periode da, wo sie es tut, die Umgebung darstellt. Der Dichter begnügt sich gewöhn-
lich mit einer einzelnen Benennung, die vielleicht noch formelhaft ein Beiwort begleitet2).
Rolandslied: Türme und Mauern, unter einem Ölbaum, auf einer Höhe der Alpen, in
einem finstern Tal. Mit Knappheit und Beiläufigkeit sind diese Angaben nicht genügend
charakterisiert. Wenn die Kaiserchronik berichtet, wie Crescentia von der Brücke gestürzt
wird (Schröder 11883): „ ... si fiten vuoren ze Rome zuo der bruke. da nam si üf den ruke
ainer der genöz, in den wäc er si scöz“, so wird von der Örtlichkeit nur das gegeben, was
die Handlung trägt: Rom, Brücke, Wasserflut. Nicht als sinnliche Erscheinung mit tau-
senderlei Eigenschaften und Besonderheiten, nicht nach ihrem Sein, sondern nur nach
ihrer Verwendbarkeit, ihrer Notwendigkeit für den logischen Zusammenhang ist die Um-
gebung zugelassen. In der Kunst wird dieses Verhältnis ganz klar. Abb. 1, aus den in
Regensburg illustrierten Passiones Apostolorum (clm 130743), berichtet, wie der Aufwärter,
der dem hl. Thomas beim Hochzeitsmahl der indischen Fürstin eine Ohrfeige gegeben hat, zur
Strafe dafür, als er in den Wald geht Wasser zu schöpfen, von einem Löwen zerrissen
wird und ein Hündchen die Hand des Toten zu dem Heiligen in den Saal trägt. Bäume,
Quelle, Mann, Gefäß, Löwe, Körperteile, Hündchen mit Hand: Die Träger der Hand-
lung werden, man sagt wohl zeichenhaft, wie in einer Bildersprache, in der kontinuier-
lichen Erzählungsweise nebeneinander gesetzt, alles was nicht unbedingt zu dem einzel-
nen Begriff gehört, was einen Zusammenhang außer dem logischen zwischen den einzel-
nen Bildteilen hersteilen würde, die räumlichen Verhältnisse, die Größenunterschiede, ist
unterdrückt. Der Bericht über die Geschehnisse bildet den Bildinhalt. Und so werden
1) Schönbach a. a. O., S. 416.
2) Vgl. Wiegand, Stilist. Untersuchungen z. König Rother, Germ. Abh. 22.
3) Damrich, Regensburger Buchmalerei, Diss. München 1902.
H. Wolf fl in, Festschrift 5
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Situation der Vorgänge, ihre
örtlichen und zeitlichen Um-
stände, undeutlich zu lassen“,
gilt als eine Eigenheit der stili-
sierenden epischen Poesie1).
Die Illustrationen der Heidel-
berger Handschrift zeigen die
gleiche Hintergrundslosigkeit
(Abb. 6). Von den 39 Bildern
bringen nur 5 hinter den Figu-
ren ganz zurücktretende, teil-
weise absolut kleiner als diese
gegebene Andeutungen über
die Umgebung: Architekturen,
Baum, Felsen. Aber wenn wir
auch versichern, daß sie dies
mit der überwiegenden Mehr- Abb. 2. Frühlingslandschaft
zahl der Miniaturen des 1 2. J ahr- Aus den Carmina Burana, München, Staatsbibliothek, uni 1225
hunderts gemein haben, so beweist das nichts. Zu allen Zeiten kann die Illustration und
besonders die Zeichnung auf Hintergrundsangaben verzichten. E§ kommt darauf an, wie
die Periode da, wo sie es tut, die Umgebung darstellt. Der Dichter begnügt sich gewöhn-
lich mit einer einzelnen Benennung, die vielleicht noch formelhaft ein Beiwort begleitet2).
Rolandslied: Türme und Mauern, unter einem Ölbaum, auf einer Höhe der Alpen, in
einem finstern Tal. Mit Knappheit und Beiläufigkeit sind diese Angaben nicht genügend
charakterisiert. Wenn die Kaiserchronik berichtet, wie Crescentia von der Brücke gestürzt
wird (Schröder 11883): „ ... si fiten vuoren ze Rome zuo der bruke. da nam si üf den ruke
ainer der genöz, in den wäc er si scöz“, so wird von der Örtlichkeit nur das gegeben, was
die Handlung trägt: Rom, Brücke, Wasserflut. Nicht als sinnliche Erscheinung mit tau-
senderlei Eigenschaften und Besonderheiten, nicht nach ihrem Sein, sondern nur nach
ihrer Verwendbarkeit, ihrer Notwendigkeit für den logischen Zusammenhang ist die Um-
gebung zugelassen. In der Kunst wird dieses Verhältnis ganz klar. Abb. 1, aus den in
Regensburg illustrierten Passiones Apostolorum (clm 130743), berichtet, wie der Aufwärter,
der dem hl. Thomas beim Hochzeitsmahl der indischen Fürstin eine Ohrfeige gegeben hat, zur
Strafe dafür, als er in den Wald geht Wasser zu schöpfen, von einem Löwen zerrissen
wird und ein Hündchen die Hand des Toten zu dem Heiligen in den Saal trägt. Bäume,
Quelle, Mann, Gefäß, Löwe, Körperteile, Hündchen mit Hand: Die Träger der Hand-
lung werden, man sagt wohl zeichenhaft, wie in einer Bildersprache, in der kontinuier-
lichen Erzählungsweise nebeneinander gesetzt, alles was nicht unbedingt zu dem einzel-
nen Begriff gehört, was einen Zusammenhang außer dem logischen zwischen den einzel-
nen Bildteilen hersteilen würde, die räumlichen Verhältnisse, die Größenunterschiede, ist
unterdrückt. Der Bericht über die Geschehnisse bildet den Bildinhalt. Und so werden
1) Schönbach a. a. O., S. 416.
2) Vgl. Wiegand, Stilist. Untersuchungen z. König Rother, Germ. Abh. 22.
3) Damrich, Regensburger Buchmalerei, Diss. München 1902.
H. Wolf fl in, Festschrift 5
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