Aber auch Gedankengut, das mehr als hundert Jahre
zuvor die deutschen Mystiker in ihren Schriften ent-
wickelt hatten, ist in die Phantasie der spätgotischen
Maler eingeflossen. Im ausgehenden 13. Jahrhundert sah
die hl. Gertrud von Helfta Maria in einem blühenden
Garten, und 1328 hatte Seuse in seinem „Büchlein der
ewigen Weisheit“ geschrieben: „Komm heimlich noch
fürbaß und schau, wie die süße Königin des himmlischen
Landes, die du so herzlich minnest, mit Würdigkeit und
Freuden schwebt ob allem himmlischen Heere, zärtlich
über ihren Geminnten geneigt, umgeben von den Blüten
der Rosen und den Lilien der Täler. Schau, wie ihre
wonnigliche Schönheit Wonne und Freude und bewun-
derndes Staunen gibt allem himmlischen Heere!“ (Über-
tragung aus dem Mittelhochdeutschen von W. Oehl.)
Hier ist also die Vorstellung der Himmelskönigin im
Garten literarisch ausgeprägt, wie sie Lochner in seiner
Tafel ins Bild umgesetzt hat.
Jedoch ist es ein weiter Weg von solchen literarischen
Quellen, deren Zahl beliebig vermehrt werden könnte,
bis zu der geprägten Form eines bestimmten Bildtypus,
wie er Lochners „Madonna im Rosenhag“ zugrunde
liegt. Und tatsächlich schließen sich auch in formaler
Hinsicht die verschiedensten Bild-„Erfindungen“ zusam-
men, um - offenbar zu Beginn des 15. Jahrhunderts -
den Typ der Madonna im Rosenhag zu konstituieren.
Maria in Verbindung mit einem Rosenstock tritt uns
erstmals in Skulpturen des mittleren 13. Jahrhunderts
entgegen - gleichsam erste Keimzelle des späteren Bild-
themas, wie es Lochners Tafel vertritt. Seitdem bleibt
die Verbindung von Maria mit der sie symbolisierenden
Rose fester Bestandteil mittelalterlicher Ikonographie -
sei es nun in Form der Thronenden Madonna mit dem
Rosenzepter auf Klostersiegeln im 14. Jahrhundert, sei
es in Darstellungen der Maria im Paradiesgarten, wie
sie uns Miniaturen aus französischen Stundenbüchern
seit dem späten 14. Jahrhundert als unmittelbare Vor-
stufe zur „Madonna im Rosenhag“ zeigen. Kurz zuvor
war auf sienesischem Boden ein Bildtyp entstanden, der
ebenfalls für unser Thema - zumindest im formalen Be-
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zuvor die deutschen Mystiker in ihren Schriften ent-
wickelt hatten, ist in die Phantasie der spätgotischen
Maler eingeflossen. Im ausgehenden 13. Jahrhundert sah
die hl. Gertrud von Helfta Maria in einem blühenden
Garten, und 1328 hatte Seuse in seinem „Büchlein der
ewigen Weisheit“ geschrieben: „Komm heimlich noch
fürbaß und schau, wie die süße Königin des himmlischen
Landes, die du so herzlich minnest, mit Würdigkeit und
Freuden schwebt ob allem himmlischen Heere, zärtlich
über ihren Geminnten geneigt, umgeben von den Blüten
der Rosen und den Lilien der Täler. Schau, wie ihre
wonnigliche Schönheit Wonne und Freude und bewun-
derndes Staunen gibt allem himmlischen Heere!“ (Über-
tragung aus dem Mittelhochdeutschen von W. Oehl.)
Hier ist also die Vorstellung der Himmelskönigin im
Garten literarisch ausgeprägt, wie sie Lochner in seiner
Tafel ins Bild umgesetzt hat.
Jedoch ist es ein weiter Weg von solchen literarischen
Quellen, deren Zahl beliebig vermehrt werden könnte,
bis zu der geprägten Form eines bestimmten Bildtypus,
wie er Lochners „Madonna im Rosenhag“ zugrunde
liegt. Und tatsächlich schließen sich auch in formaler
Hinsicht die verschiedensten Bild-„Erfindungen“ zusam-
men, um - offenbar zu Beginn des 15. Jahrhunderts -
den Typ der Madonna im Rosenhag zu konstituieren.
Maria in Verbindung mit einem Rosenstock tritt uns
erstmals in Skulpturen des mittleren 13. Jahrhunderts
entgegen - gleichsam erste Keimzelle des späteren Bild-
themas, wie es Lochners Tafel vertritt. Seitdem bleibt
die Verbindung von Maria mit der sie symbolisierenden
Rose fester Bestandteil mittelalterlicher Ikonographie -
sei es nun in Form der Thronenden Madonna mit dem
Rosenzepter auf Klostersiegeln im 14. Jahrhundert, sei
es in Darstellungen der Maria im Paradiesgarten, wie
sie uns Miniaturen aus französischen Stundenbüchern
seit dem späten 14. Jahrhundert als unmittelbare Vor-
stufe zur „Madonna im Rosenhag“ zeigen. Kurz zuvor
war auf sienesischem Boden ein Bildtyp entstanden, der
ebenfalls für unser Thema - zumindest im formalen Be-
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