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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0477
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470 BESPRECHUNGEiN.

tut er E. Everth unrecht, wenn er dessen Beschreibung (Monatsheft für Kunstwissen-
schaft, Bd. V, 1912, S. 224 ff.) einfach für eine Beschreibung der Komposition hält.
Everth kam es auf den Zusammenhang von Bildformat und Komposition an, er
hob also nur die für diesen Zweck bedeutungsvollen Linien hervor. Das Beispiel,
auf das Prandtl alle seine Folgerungen aufbaut, ist also unglücklich gewählt.
Jedermann, der Raffael kennt, sieht auf den ersten Blick, welche der beiden Zeich-
nungen die einzig richtige ist. Das Problem ist also gar nicht so groß, und der
Umweg über die Massenbefragung überflüssig. Daß Prandtl bei dem Bilde von
Fra Bartolommeo (Thronende Madonna mit Heiligen, Uffizien), von dem er mehrere
Skizzen mitteilt, ein verhältnismäßig günstiges Durchschnittsresultat erhalten hat
(es ist noch keineswegs vollkommen), halte ich geradezu für einen glücklichen Zufall.

Die Objektivität, die auf experimentellem Wege zu ermitteln ist, ist lediglich
eine Objektivität (Allgemeinheit) der Auffassungen. Aber nicht jede Auffassung ist
berechtigt, zu dem endgültigen Resultat überhaupt mitzuwirken. Das Objekt ist
stärker, als der Psychologe annimmt. Wäre er vertrauter mit den Werken, er
würde die »objektive Nötigung« nicht unterschätzen. Zu einer Untersuchung wie
der vorliegenden gehört eine gewisse Kunstfremdheit. Die Belehrung, die Prandtl
der kunstgeschichtlichen und ästhetischen Forschung erteilt, ist überflüssig. Es
gibt für uns sicherere Methoden, als die Befragung einer inkompetenten Allgemein-
heit: die Befragung des Gegenstandes.

Berlin. Alfred Baeumler.

Fritz Münch, Erlebnis und Geltung. Eine systematische Untersuchung zur
Transzendentalphilosophie als Weltanschauung. Berlin 1913. Ergänzungsheft
Nr. 30 der Kantstudien. 188 S.

Es ist eine charakteristische Eigenart der modernen, von Kant ausgehenden
Erkenntnistheorie, daß sie nicht nur eine Theorie des Naturerkennens geben will.
Auch Geschichte und Ethik, Religionsphilosophie und Ästhetik sollen auf ein neues
Fundament gestellt werden. In den Schulen Cohens und Rickerts hat man sich mit
besonderer Liebe der Ästhetik angenommen. Von Rickert ist auch der vorliegende
Versuch sachlich in hohem Grade beeinflußt. Da das Ästhetische nur nebenbei
behandelt wird, muß eine kurze Andeutung des Inhalts mit besonderer Berück-
sichtigung des ästhetischen Problems genügen. Für die neuesten Strömungen in
der philosophischen Ästhetik ist Münchs Buch durchaus charakteristisch.

Die entscheidende Tat der modernen Erkenntnistheorie ist, daß sie nicht von
den Begriffen Subjekt und Objekt, sondern von den Begriffen Form und Inhalt
ihren Ausgang nimmt. Wer aus »Vermögen« des Subjekts dessen Beziehung zu
logischen Gebilden begreiflich zu machen sucht, setzt diese dabei immer schon als
logisches prius voraus. Das erste ist der Sinn. Die transzendentale Problemstellung
geht nicht aus vom Erkennen als einem Tun des Subjekts, sondern von der Er-
kenntnis als Sinngefüge. Die Analyse findet zunächst kein Subjekt und dessen
Funktionen, sondern nur »Inhalte in Zusammenhangsformen«: vor. Das kritische
Geschäft besteht darin, die Zusammenhangsformen dieser Sinngefüge herauszu-
stellen. Es gibt sinnvolle Sätze (in der Wissenschaft), sinnvolle Handlungen (in
der Moral), sinnvolle Werke (in der Kunst). Als Grenzidee für alle wissenschaft-
liche Begriffsbildung dient der Gedanke einer bloßen Erlebniswelt. Das Erlebnis,
»stumm geboren und unaussagbar«, ist das Bestimmbare; nur in Beziehung auf
etwas Konstituierendes kann es überhaupt Material heißen. Die Idee einer völlig
formlosen Erlebniswelt ist nichts als ein erkenntnistheoretisches Konstruktions-
gebilde. Die Welt von Hinz und Kunz ist ebensogut schon geformt, wie die Welt
 
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