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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 21.1927

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Schering, Arnold: Symbol in der Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14169#0392
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ARNOLD SCHERING.

hohe Kunst, erst Wert gewinnt, sofern sie Symbolkraft entwickelt;
dann würde das Thema besser heißen: »Die Musik als Symbol« oder
»Das Symbolische der Musik«. Vielmehr glaube ich, unter der selbst-
verständlichen Voraussetzung, daß das Symbolische nicht nur in jeder
Kunst vorhanden ist, sondern geradezu ihr Wesen ausmacht, hier über
diejenigen Fälle berichten zu sollen, in denen Symbole in der Musik
grundsätzlich und gewissermaßen greifbar in Erscheinung zu treten
pflegen. Denn wenn bei einer solchen Gelegenheit ein Fachvertreter
gehört wird, so erwartet man, daß er das Thema zunächst vom Aspekt
seiner speziellen Kunsteinstellung betrachtet und aus seiner besonderen
Erfahrung heraus Dinge mitteilt, die vom Fernerstehenden nicht sofort
in ihrer ganzen Fülle überschaut werden können.

In unserm Falle nur die klassische Musik heranzuziehen, ist gefährlich,
da sie zur Konstruktion eines Symbolbegriffs reizt, der vielleicht doch
nicht das leistet, was er leisten soll. Die Geschichte der abendlän-
dischen Musik zeigt ja ein ununterbrochenes Streben nach Vergeistigung
ihrer Darstellungs- und Ausdrucksmittel, darin bestehend, daß diese
Mittel in immer wechselnder Weise befähigt werden, als Symbol zu
wirken. Jede neue Generation schafft sich neue Klangsinnbilder für
das, was sie an Geistigem klanglich zur Anschauung bringen will.
Und in jedem dieser Klangsinnbilder, deren Zahl Legion ist, steckt
etwas von der geistigen und seelischen Substanz, die der betreffenden
Generation, dem betreffenden Volke, der betreffenden Rasse usw. eigen-
tümlich ist, so daß der Sinn dieser Klangbilder, streng und theoretisch
genommen, völlig, d. h. im Sinne ihres ursprünglichen Wesens eigent-
lich nur von denen erfaßt werden kann, die diesen besonderen und
begrenzten Gemeinschaften angehören. Mit anderen Worten: die musi-
kalische Symbolik (und damit ihr »Verstehen«) ist an die verschiedenen
Denkrichtungen und an das musikalische Erfahrungswissen der ver-
schiedenen Zeitalter und Kulturkreise gebunden. Man darf sich nur
erinnern, welchem Wandel allein die Tonartensymbolik innerhalb der
letzten zwei Jahrtausende unterworfen gewesen ist. Nicht nur schwankt
und verfärbt sich der Symbolbegriff selbst fortwährend, auch die Masse
der »künstlichen«, historisch bedingten Symbole, die ihn ausmachen,
tut es. Jene Symbolik, die wir Menschen der Gegenwart an der Musik
des 13. und 14. Jahrhunderts wahrzunehmen meinen, ist ganz gewiß
nicht identisch mit derjenigen, die aus dieser Musik zu eben jenen
Jahrhunderten gesprochen hat. Sie gehört vielmehr einer ganz anderen
Bewußtheitsebene an.

Es ist die Frage, ob es überhaupt überzeitliche Musiksymbole gibt;
ob diese nicht vielleicht ausschließlich im Gebiet des primär Sinnlichen
zu suchen sind. Daß Musik nicht über alle Zeitgrenzen hinaus ver-
 
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