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BEMERKUNGEN

ßere Langlebigkeit gekennzeichnet, besonders wenn ihr Geist mit dem Studium der
Natur beschäftigt war. Im Studium der Natur fanden sie ein göttliches Vergnügen;
die Entdeckung neuer und wichtiger Wahrheiten begünstigten ein langes Leben."

Goethe sagte weise Worte zum Thema: die Providenz sorgt öfters dafür, daß
geniale Talente sogar im Laufe einer kurzen Lebensdauer ihre Aufgabe vollends
ausführten. Der Gedanke Goethes ist durch Beobachtungen bestätigt, die schwer zu
widerlegen sind. Es ist interessant, daß die Genies und Talente, welche zum früh-
zeitigen Tod verurteilt sind, sich schneller entwickeln als diejenigen, denen ein
langes Leben bevorsteht.

Der berühmte Mathematiker Galois zum Beispiel manifestierte schon im
16. Lebensjahre ein geniales mathematisches Talent, der Physiker Hertz hat sich
ganz jung zum Genie entwickelt. Die ersten Gedichte des genialen frühgestorbenen
französischen Dichters A. Rimbeau waren von ungewöhnlicher Schönheit, aber erst
die letzten erreichten eine Vollendung, die nur im Reifealter geschaffen werden
konnte, deren Genialität niemand zu bezweifeln wagte.

Das erste Wagnersche Werk „Das Liebesverbot" hat die Aufmerksamkeit der
Zeitgenossen kaum auf sich gelenkt. Aber das letzte Werk Wagners — die geniale
Musikdichtung „Parsifal" — wurde erst fünfzig Jahre später geschaffen, ein Bei-
spiel dafür, daß die Genialität des einen Dichters in fünf Jahren zur Reife
gelangte, die Genialität des anderen Genies dagegen die Reife in einem zehnmal
längeren Zeitabschnitt erreichte. Der dreißigjährige Puschkin ist eben so reif
wie der fünfzigjährige Dostojewsky.

Ostwald lenkt die Aufmerksamkeit in seinem Buche „Große Männer" auf die
Tatsache, daß die romantisch angelegten Genies, im Gegensatz zu den klassischen
Typen der Genies, durch eine verhältnismäßig kurze Lebensdauer gekennzeichnet
sind. Diese frühzeitige Erschöpfung und infolgedessen ein frühzeitiges Altern er-
klärt Ostwald durch eine immer schneller v/erdende Reaktion, die für die geistige
Schöpfung der romantisch angelegten Genies charakteristisch sei.

Jung ist in seinen „Psychologischen Typen" nicht mit Ostwalds Standpunkt ein-
verstanden und meint, daß die frühzeitige Erschöpfung der romantischen Genies
daraus hervorgehe, daß die Reaktionen bei ihnen nach außen gerichtet sind und nicht
nach innen, weshalb sie in einem kürzeren Zeitabschnitt ihren Lebenslauf durcheilen.

Wir versuchen, den Zusammenhang zwischen Genialität und Lebensdauer von
einem ganz anderen Standpunkt aus zu klären. Und zwar haben wir es unter-
nommen, auf Grund statistischer Daten die mittlere Lebensdauer genialer Männer,
die bis zum Jahre 1900 gelebt haben, festzustellen.

Wir haben die genialen Männer nach ihrer Tätigkeit in 4 Gruppen eingeteilt
und ihre mittlere Lebensdauer statistisch errechnet.

Die Zahl der untersuchten Genies betrug 1203 Personen. Nach ihrem Wirkungs-
kreis ließ sich folgende Tabelle der von uns untersuchten genialen Männer auf-
stellen:

Es ist interessant, wie aus unserer Tabelle klar hervorgeht, daß die Anzahl
der Genies in jeder Gruppe ganz verschieden ist und von der ersten Gruppe (Kom-
ponisten und Musiker) zur letzten Gruppe (Philosophen und Gelehrte) beträchtlich
ansteigt.

1. Gruppe: Komponisten und Musiker

2. „ : Maler und Bildhauer

48
74
364
717

3. „ : Dichter und Schriftsteller

4. „ : Philosophen und Gelehrte

Zusammen

1203 Personen.
 
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