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BESPRECHUNGEN

Er fragt nach dem Wert der Sprache für die Erkenntnis und kommt zu der Fest-
stellung: „Das Ding an sich (das würde eben die reine folgenlose Wahrheit sein) ist
auch dem Sprachbildner ganz unfaßlich und ganz und gar nicht erstrebenswerth. Er
bezeichnet nur die Relationen der Dinge zu den Menschen und nimmt zu deren Aus-
drucke die kühnsten Metaphern zu Hülfe." (Über Wahrheit und Lüge im außer-
moralischen Sinne.) „Die Sprache ist Rhetorik, denn sie will nur eine Ö6£a, keine
imalTjfirj übertragen." (Darstellung der antiken Rhetorik.) Die Sprache verschleiert
unser Wesen und verhindert so die Unmittelbarkeit des Verständnisses von Mensch
zu Mensch: Sprache ist Maske. „Alles, was tief ist, liebt die Maske," sagt N., oder
an anderer Stelle: „Diese Griechen waren oberflächlich ... aus Tiefe." Zwischen dem
Außen der Sprachform und dem Innen des gemeinten Inhalts ist eine Spannung, die
N. wesenhaft erscheint für das Sprachproblem. N., der Prophet, kann daher nicht,
und will nicht, alles sagen, was er weiß.

Auch im „Zarathustra", der im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung
steht, ist es so; der Verf. sagt: „Die Zwiespältigkeit des Gesamteindrucks beruht
eben darauf, daß bei der dauernden Spannung zwischen Form und lebendigem Inhalt
in jedem Augenblick die gleichnishafte Form durch die Kraft des inneren Erlebens
zum Symbol werden und das Symbol aus der ständig möglichen inneren Distanzie-
rung heraus in die bloße Gleichnishaftigkeit umschlagen kann" (S. 45). Aus der
geistlichen Stiltradition übernimmt N. weitgehend die Form; die Spannung zwischen
ihr und dem Gehalt einer neuen Wirklichkeit macht ihm geradezu spielerische Freude.
So kann der „Zarathustra" kein Mythos werden, denn in dieser Spannung geht der
Sprache jede mythenschaffende Kraft ihrer Bilder verloren.

Die Bildhaftigkeit aber ist das Gesicht dieses Stiles. Die Hauptkapitel der Arbeit
untersuchen das Sinnbild als Grundlage des Zarathustrastils. Grundsätzlich wollen
alle diese Bilder vom Geiste her erfaßt werden, nicht vom Gefühl her. Im Gegensatz
zur Gefühlsmetapher ebenso wie zum abstrakten Ausdruck v/ollen sie einen be-
stimmten Sinnzusammenhang herstellen von Ding zu Ding, von Vorgang zu Vorgang.
N.s Verhältnis zur Sprache ist nicht das des Überwältigtwerdens, sondern das des
meisternden Bewältigens. Er reißt geradezu dem Wort seine mythische Wurzel ab,
um es in dem von ihm gewünschten Sinne zu verwenden.

Der Verf. rindet eine aufsteigende Reihe solcher Sinnbilder: ein niederes und ein
höheres Sinnbild; jene gliedert er in wertende und magische Sinnbilder, diese in
Sinnsymbole und Gefühlssymbole. Als Beispiele für die vier Stufen seien angeführt:
der Löwe, das Rad, die Sonne, die Mitternachtsglocke im Trunkenen Lied. Unantast-
bar ist die Natur in ihrer Keuschheit und Unnahbarkeit, nach der Wirklichkeit der
seherischen Gesichte muß die Sprache sich richten, nicht umgekehrt darf die Sprache
versuchen, einen Mythos zu schaffen, denn das kann sie gar nicht, ohne den großen
Sinnzusammenhang zu vergewaltigen: der Ausdruck muß als Ausdruck sichtbar
bleiben. Auch eine sentimentale Einfühlung der Dichter in die Natur lehnt N. aus-
drücklich ab. Allerdings — je höher die Stufe des Sinnbildes, je dynamischer das
Sinnerleben wird, um so stärker werden die Symbole zu Wirklichkeiten: die Mitter-
nachtsglocke ist die Stimme des Seins selber, das Erlebnis auf der Brücke in Venedig
wird N. zur Weltbegegnung; hier ist echte Dichtung. Das Ichgefühl wird aus-
geweitet zum kosmischen Welterfassen.

In notwendiger Ergänzung der Darstellung der Bildhaftigkeit der Sprache N.s
untersucht der Verf. anschließend Satzbau und Sprachbewegung. Die Urform des
Satzes im „Zarathustra" ist die Sentenz; das bedingt einen Satz von großer Wucht
der Akzente: rededynamische Einheiten werden zusammengedrängt zu „beherrschen-
den Tongipfeln", große Perioden liebt N. nicht. (Immerhin lassen sich leicht in
 
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