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Zoepfl, Heinrich
Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte: ein Lehrbuch in zwei Bänden (2,1): Geschichte der deutschen Rechtsquellen: compendiarisch dargest. — Stuttgart: Krabbe, 1846

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https://doi.org/10.11588/diglit.47337#0082
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Erster Zeitraum. V. Canonisches Recht.

organisirten Kirchengewalt und indem sie nunmehr als Christen die
kirchlichen Satzungen (CanonesJ fiir sich als verbindlich anerkennen
mussten, so war hiermit zugleich ein neues Element, eine neue Rechts-
quelle in das germanische Volksleben eingeführt worden, welche mit
der Ausbreitung des Christenthums in dem inneren Deutschland auch
hieher verpflanzt wurde. Nicht mit Unrecht darf man hiernach die
Kirche die erste eigentliche Gesetzgeberin der germanischen Völker
nennen. Bevor noch das Königthum seine ersten legislativen Versuche
wagen durfte, und während es sich hierbei nur allmählig der Theil-
nahme des Volkes, der Theilnahme der Optimalen aber niemals ent-
schlagen konnte, erliess die Kirche bereits frei und unabhängig ihre
Gebote, und wusste sich Gehorsam durch den Bannstrahl zu sichern,
mit welchem sie die Widerspenstigen bedrohte Q. Als die Quellen des
kirchlichen Rechtes erscheinen in der merowingischen und karolingischen
Periode bereits nicht nur die Beschlüsse (CanonesJ der allgemeinen
(oecumenischen) 2) und provinziellen Kirchenversammlungen (ConciliaJ
und die bischöflichen Synodalstatute (Capilula episcoporumj, sondern
auch die Aussprüche (DecretalesJ, welche von den römischen Päpsten
ergingen, theils in der Form von Rechtsbelehrungen auf ergangene An-
fragen anderer Bischöfe, theils als wirkliche Erkenntnisse in streitigen
Fällen, deren Entscheidungsrecht der römische Stuhl allmählig an sich
zu bringen gewusst hatte. Auch in Bezug auf diese Quellen wurde
frühzeitig das Bediirfniss von Sammlungen fühlbar. Die Zusammen-
stellungen von Concilienbeschliissen und Dccretalen, welche dieser
Periode angeboren, sind übrigens sämmtlich nur Privatarbeiten. Die
ältesten in den weströmischen Provinzen entstandenen, noch erhaltenen
Sammlungen von Concilienbeschliissen und Decretalen, nämlich die in
Italien entstandene (nach ihrem Herausgeber sog.) Quesnel’sche Samm-
lung 3) und die des römischen Abtes Dionysius exiguus 4) gehören
’) Vergl. z. B. Acta concil. Toled. V. a. 636 (bei Cotet T. VI.): „Quoniam
inconsideratae quorundam mentes et se minime capientes, quos nec origo ornat, nec
virtus dccorat, passim putant licenterque ad regiae majestatis pervenire vestigia,
liujus rei causa nostra omnium cum invocatione divina profertur sententia, et qui
talia meditatus fuerit, quem nec electio omnium probat nec gothicae gentis nobilitas
ad hunc honoris apicem trahit, sit a consortio catholicorum privatus, et divino ana-
themate damnatus.“ —
2) Als öcumenische (allgemeine) Kirchenversammlungen galten : die zu Nicäa
a. 325; zu Constantinopel a. 381; zu Ephesus a. 431; zu Chalcedon a. 451. —
3) Sie findet sich bei Paschius Quesnellus, opera Leonis M. Paris, 1675.
Lugd., 1700. Bd. II.; besser bei Fratr. Balle rin. Opera Leonis M. T. 3. —
4) Verfasst um 496—514; abgedruckt in G. Voellii et II. Jus teil i biblio-
 
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