Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Blum, Gerd
Hans von Marées: autobiographische Malerei zwischen Mythos und Moderne — München, Berlin, 2005

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14541#0310

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
VII. Marees im kulturgeschichtlichen Kontext

Sie beinhalten, wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt, mehrdeutige,
ambivalente Sinneffekte, die seine Briefe an Komplexität überbieten. Damit ver-
mitteln sie, bei allen Übereinstimmungen, auch in Letzteren nicht auffindbare
Bedeutungen. Das soll nicht heißen, dass sich die Briefe, zumal nach ihrer noch
ausstehenden ungekürzten Veröffentlichung, als einsinnige Ansammlung von Ste-
reotypen darbieten. Auch sie entfalten eine durchaus vielschichtige Selbststilisie-
rung ihres Autors, die aber nicht die uneindeutige Dichte seiner Gemälde erreicht.
Marees’ »Männerbilder* entsprechen nicht zuletzt wegen ihrer homoerotischen
Motive dem gründerzeitlichen Kult viriler Männlichkeit100, wie sie etwa Gemälde
Anton von Werners überliefern, nur partiell. Darin erscheinen sie — wohl unge-
wollt — subversiv. Oder sind etwa auch die Briefe autobiographisches Masken- und
Muskelspiel? Jedoch ungleich eindimensionaleres.
In den Jahren 1874/75, in denen Marees ein Zusammenleben in einem »Dreier-
bund* von Männern plante, malt er Gemälde mit explizit homoerotischen Motiven:
die Kasettenbilder I und II (MG 315 — 16), Drei Männer in einer Landschaft
(Abb. 109) und die eben erwähnten Sechs nackten Männer am Meer (Abb. 96), an
denen er nach Meier-Graefe bis 1880 arbeitete.101 In den römischen Zeichnungsse-
rien Cheiron und Achill (vgl. Abb. 60-62) sowie Zeus und Ganymed (Abb. 63, 64)
wird das Verhältnis zu den jungen Künstlern seines Kreises emotional ausgelotet.
Die Bilder von Marees mit rein männlichem Bildpersonal machen in ihren
Ambivalenzen zwei »konträre männergesellschaftliche Attitüden zur Homosexu-
alität« anschaulich, die Nicolaus Sombart unterscheidet: »jene [...], welche die
latente Homosexualität diskreditiert und einen rein maskulinen Männertypus for-
dert« und die »männerbündlerische, in der mann-männliche Beziehungen durch-
aus eine sexuelle Konnotation haben«102.
Dagegen hat Marees ein eindimensionales militaristisches Männlichkeitsethos in
seinen Briefen, paradoxerweise besonders in denjenigen an Hildebrand, vehement
vertreten. In seinen Gemälden und Zeichnungen zeigen sich jedoch Abweichungen
von dieser sozialen Norm. Sie sind voller »Schwächen* und Unentschiedenheiten.
Diese gestand der Maler in seinen Briefen sich und seinen Schülern nicht zu.
Neben den erörterten Bildfindungen mit latenter oder offener homoerotischer
Thematik103 104 sei hier auf den zärtlichen und nicht ganz unzweideutigen Abschieds-
gestus des Düsseldorfer Bildes der Drei Männer in einer Landschaft (Abb. 111)
verwiesen, auf die elegische Weichheit des Freundespaares der späten Werbung
und auf deren Narziß (Abb. 112).
Reproduzieren Gemälde wie Pferdeführer und NymphelM gründerzeitliche Ge-
schlechterrollen, so entwerfen die meisten der Marees’schen Gemälde fragile, am-
bigue Identitäten, die zudem aus verschiedenen und durchaus divergenten kulturhis-
100 Vgl. Hamann/Hermand 1977a (1965); Mosse 1985; Mosse 1996.
101 Vgl. a. MG 291, 302, 312, 315, 331, 339.
102 Sombart 1997, S. 52.
103 Vgl. in der vorliegenden Arbeit IV.3.2.2.
104 MG 611, GL 158.

306
 
Annotationen