Waldmann Schnauzer.
der vermeinte „gnädige" Herr ihn. den ehrlichen Waidmann, zu
einem Schanddeckel machen wollte. Doch zuckte er dasmal nicht
das Messer, noch sann er überhaupt auf Mord und Todtschlag,
sondern beschloß die genaueste Untersuchung anzustellen.
„So Pfiffig das Schnauzerle sein mag," sprach er zu sich
selber : „mir ist's nicht halb gescheidt genug. Ich will es ab-
passen, bevor es sich dessen versieht."
Der lange Sommertag ging zur Neige, als Silvester in
die Halle zurückkam. Waldmann schlief auf des Alten Lager-
stätte, doch nicht, wie gewöhnlich, am Fußende, sondern auf
dem Spreusack, welcher den Dienst eines Kopfpolsters versah.
So fest schlummerte, so lebhaft träumte das Thier, daß es des
Nahenden eine geraume Weile nicht gewahr wurde. Als er
erwachte, kroch es schnell und scheu vom Platze weg, dev ihm
nicht gehörte, erschreckt von des Gebieters finstern Blick, viel-
leicht auch voll Gewissensangst über die Sünden, welche es im
Traum begangen und worüber es sich nun ertappt wähnen
mochte. Der Waidmann legte das sorgenschwere Haupt ans
die noch thierwarme Stelle, murmelte den Abendsegen und ver-
fiel sofort in den Schlummer des Gerechten.
Was aber ereignete sich nun? Etwas ganz Natürliches und
Gewöhnliches für den, welcher derartige Dinge weiß und ver-
steht. Doch die Herrenleute wiffen und verstehen meistens nichts
davon, denn es läßt sich nicht aus gedruckten Büchern und
Zeitungen erlernen; auch machen eure gelegentlichen Anstands-
besuche im Wald euch lange noch nicht zu des Forstes lieben
Freunden und zu Vertrauten seiner Geheimnisse. Schützen
könnt ihr sein, recht tüchtige und wackre Schützen sogar, doch
Jäger werdet ihr nun und nimmermehr. Das echte und rechte
Jägerthum ist des Waldsassen und des Dichters Eigenthum
und Vorrecht, — für euch eine fremde Welt, aus welcher nur
vereinzelte Kunden zu euch dringen, die, aus dem Zusammen-
hang ihres innersten Lebens gerissen, allerdings abenteuerlich
und unglaublich klingen.
11
Silvester, der Sohn des Waldes, mit seinen frischen Sinnen
und seiner unverkünstelten Einbildungskraft, mußte im Dunst-
kreis des Hundes denselben Traum träumen, welchen Wald-
mann so eben durchlebt hatte. Er war selber der Schnauzer.
Ein unwiderstehliches Gelüst lockte und zog ihn nach der Rauch-
kammer. Sein Herr schnarchte auf der Bärenhaut. Auf un-
hörbaren Pfoten glitt der Hund über die Steinplatten des
Estrichs nach dem Schlupfloch der Hofthüre, sprang im Hof
auf die Holzbeuge, von da auf das Vordach und gelangte durch
ein enges Luflloch endlich in das Schinkenparadies. Ein Mensch
hätte auf diesem Wege zehnmal den Hals gebrochen. Mit gie-
riger Lust sog der Ankömmling den Duft des geräucherten Flei-
sches in sich. Zwar war es eigentlich nichts Besseres, als er
tagtäglich zu freffen bekam, weil Silvester ja seine besten Schin-
ken selber verzehrte und nichts genoß, wovon das Möpsle nicht
die Halbscheid erhalten hätte; aber der Sünde Reiz würzte mit
neuen Düften den wohlbekannten Geruch.
Hier endete der Traum. Plötzlich erwachend wußte Silvester
im ersten Augenblicke selber nicht recht, ob er Mensch oder Hund
sei? Eigentlich wäre er lieber ein Mops gewesen, um nur den
ungemessenen Schmerz nicht zu empfinden, der jetzt ihn marterte.
Dieser wahrhaft menschenhafte Undank zerriß seine Seele.
„Es ist nicht wahr, es ist nicht möglich," rief er aus: „nicht
wahr, Möpsle, das hast du mir nicht gethan? Du bist kein Dieb."
Waldmann gab kein Zeichen.
„Komm herein, Schnauzerle, komm', lieb's Waldmännle,"
lockte der Alte mit kindlich weicher Stimme und richtete sich
dabei in die Höhe. Des Hundes Lagerstätte war leer. Sil-
vester schüttelte das Haupt und ihm wurde eng um's Herz, als
hätte er selber gestohlen. Barfuß, wie er war, schlich er zur
Hofthüre, klingte diese mit vorsichtigem Druck auf, trat hinaus
und blieb im Schatten regungslos stehen. Hell schien der
Mond auf das Vordach, deutlich war das Luftloch in der
Wand darüber zu erkennen. Silvester sprach zu sich selber:
„Die Oeffnung ist ja viel zu eng für's Möpsle, und steht drei
Schuh hoch über dem Dächle. Wie soll einer da hinauf, hin-
ein, hindurch? Wahnsinniger Traum!" — Wie er dieses Ge-
dankens bei sich selber froh wurde, sah er etwas Dunkles sich
durch das Luftloch schieben, das länger und länger sich aus-
dehnte, um dann als der leibhaftige Schnauzer auf's Dach,
auf die Holzbeuge und vollends hinab zu springen. Daß der Hund
etwas in der Schnauze trug, hätte auch ein minder Scharfsinni-
ger leicht bemerkt. Silvester sah deutlich genug, was es war.
„Waldmann!" rief der Jäger.
Der Schnauzer schreckte zusammen, ließ seine Last fallen
und folgte dem Ruf, — aber wie? Kriechend und mit einge-
zogener Ruthe, wie Silvester ihn noch niemals gesehen hatte.
„Pfui Teufel!" sagte der: „was spielst du für eine Figur?
Grad wie ein Hofschranz. Such' verloren, Apport!"
Der Hund kroch zurück und brachte ein Stück Holz.
„Schlingel, verdammter," schrie Silvester : „such' verloren, da
da, verloren. Apport, oder dich soll das polnische Donnerwetter."
Waldmann bequemte sich langsam genug, zu thun, was ihm
geboten worden. Silvester trat in die Halle zurück, wo er den
der vermeinte „gnädige" Herr ihn. den ehrlichen Waidmann, zu
einem Schanddeckel machen wollte. Doch zuckte er dasmal nicht
das Messer, noch sann er überhaupt auf Mord und Todtschlag,
sondern beschloß die genaueste Untersuchung anzustellen.
„So Pfiffig das Schnauzerle sein mag," sprach er zu sich
selber : „mir ist's nicht halb gescheidt genug. Ich will es ab-
passen, bevor es sich dessen versieht."
Der lange Sommertag ging zur Neige, als Silvester in
die Halle zurückkam. Waldmann schlief auf des Alten Lager-
stätte, doch nicht, wie gewöhnlich, am Fußende, sondern auf
dem Spreusack, welcher den Dienst eines Kopfpolsters versah.
So fest schlummerte, so lebhaft träumte das Thier, daß es des
Nahenden eine geraume Weile nicht gewahr wurde. Als er
erwachte, kroch es schnell und scheu vom Platze weg, dev ihm
nicht gehörte, erschreckt von des Gebieters finstern Blick, viel-
leicht auch voll Gewissensangst über die Sünden, welche es im
Traum begangen und worüber es sich nun ertappt wähnen
mochte. Der Waidmann legte das sorgenschwere Haupt ans
die noch thierwarme Stelle, murmelte den Abendsegen und ver-
fiel sofort in den Schlummer des Gerechten.
Was aber ereignete sich nun? Etwas ganz Natürliches und
Gewöhnliches für den, welcher derartige Dinge weiß und ver-
steht. Doch die Herrenleute wiffen und verstehen meistens nichts
davon, denn es läßt sich nicht aus gedruckten Büchern und
Zeitungen erlernen; auch machen eure gelegentlichen Anstands-
besuche im Wald euch lange noch nicht zu des Forstes lieben
Freunden und zu Vertrauten seiner Geheimnisse. Schützen
könnt ihr sein, recht tüchtige und wackre Schützen sogar, doch
Jäger werdet ihr nun und nimmermehr. Das echte und rechte
Jägerthum ist des Waldsassen und des Dichters Eigenthum
und Vorrecht, — für euch eine fremde Welt, aus welcher nur
vereinzelte Kunden zu euch dringen, die, aus dem Zusammen-
hang ihres innersten Lebens gerissen, allerdings abenteuerlich
und unglaublich klingen.
11
Silvester, der Sohn des Waldes, mit seinen frischen Sinnen
und seiner unverkünstelten Einbildungskraft, mußte im Dunst-
kreis des Hundes denselben Traum träumen, welchen Wald-
mann so eben durchlebt hatte. Er war selber der Schnauzer.
Ein unwiderstehliches Gelüst lockte und zog ihn nach der Rauch-
kammer. Sein Herr schnarchte auf der Bärenhaut. Auf un-
hörbaren Pfoten glitt der Hund über die Steinplatten des
Estrichs nach dem Schlupfloch der Hofthüre, sprang im Hof
auf die Holzbeuge, von da auf das Vordach und gelangte durch
ein enges Luflloch endlich in das Schinkenparadies. Ein Mensch
hätte auf diesem Wege zehnmal den Hals gebrochen. Mit gie-
riger Lust sog der Ankömmling den Duft des geräucherten Flei-
sches in sich. Zwar war es eigentlich nichts Besseres, als er
tagtäglich zu freffen bekam, weil Silvester ja seine besten Schin-
ken selber verzehrte und nichts genoß, wovon das Möpsle nicht
die Halbscheid erhalten hätte; aber der Sünde Reiz würzte mit
neuen Düften den wohlbekannten Geruch.
Hier endete der Traum. Plötzlich erwachend wußte Silvester
im ersten Augenblicke selber nicht recht, ob er Mensch oder Hund
sei? Eigentlich wäre er lieber ein Mops gewesen, um nur den
ungemessenen Schmerz nicht zu empfinden, der jetzt ihn marterte.
Dieser wahrhaft menschenhafte Undank zerriß seine Seele.
„Es ist nicht wahr, es ist nicht möglich," rief er aus: „nicht
wahr, Möpsle, das hast du mir nicht gethan? Du bist kein Dieb."
Waldmann gab kein Zeichen.
„Komm herein, Schnauzerle, komm', lieb's Waldmännle,"
lockte der Alte mit kindlich weicher Stimme und richtete sich
dabei in die Höhe. Des Hundes Lagerstätte war leer. Sil-
vester schüttelte das Haupt und ihm wurde eng um's Herz, als
hätte er selber gestohlen. Barfuß, wie er war, schlich er zur
Hofthüre, klingte diese mit vorsichtigem Druck auf, trat hinaus
und blieb im Schatten regungslos stehen. Hell schien der
Mond auf das Vordach, deutlich war das Luftloch in der
Wand darüber zu erkennen. Silvester sprach zu sich selber:
„Die Oeffnung ist ja viel zu eng für's Möpsle, und steht drei
Schuh hoch über dem Dächle. Wie soll einer da hinauf, hin-
ein, hindurch? Wahnsinniger Traum!" — Wie er dieses Ge-
dankens bei sich selber froh wurde, sah er etwas Dunkles sich
durch das Luftloch schieben, das länger und länger sich aus-
dehnte, um dann als der leibhaftige Schnauzer auf's Dach,
auf die Holzbeuge und vollends hinab zu springen. Daß der Hund
etwas in der Schnauze trug, hätte auch ein minder Scharfsinni-
ger leicht bemerkt. Silvester sah deutlich genug, was es war.
„Waldmann!" rief der Jäger.
Der Schnauzer schreckte zusammen, ließ seine Last fallen
und folgte dem Ruf, — aber wie? Kriechend und mit einge-
zogener Ruthe, wie Silvester ihn noch niemals gesehen hatte.
„Pfui Teufel!" sagte der: „was spielst du für eine Figur?
Grad wie ein Hofschranz. Such' verloren, Apport!"
Der Hund kroch zurück und brachte ein Stück Holz.
„Schlingel, verdammter," schrie Silvester : „such' verloren, da
da, verloren. Apport, oder dich soll das polnische Donnerwetter."
Waldmann bequemte sich langsam genug, zu thun, was ihm
geboten worden. Silvester trat in die Halle zurück, wo er den
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Waldmann Schnauzer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
Heurechen <Motiv>
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 12.1850, Nr. 266, S. 11
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Erschließung
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CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg