Der galante Zauberer. 138
zählte er absichtlich die kleine Schelmerei dem Ober-
förster, der ihn hie und da besuchte, und dieser
gab noch am gleichen Abend in der „Goldenen Ra-
punzel“ im Städtchen den hochaufhorchenden Bürgern
die Mär bekannt. Dabei teilte er ihnen mit, dass
der Zauberer eine besondere Bedingung an den Ge-
winn des seltenen Schatzes geknüpft hätte. Das
Blatt hing nämlich so hoch, dass es niemand — auch
der grösste Mann nicht — stehenden Busses erreichen
konnte. Man durfte höchstens hoffen, es bei einem
herzhaften Sprung mit ausgestrecktem Arm zu er-
greifen. Wer es dabei fasste, der wurde reich sein
Leben lang. Wer aber umsonst sprang, der würde
sich — so hatte der Zauberer bestimmt — unfehlbar
Buss und Hüften verrenken.
Die guten Bürger lachten und sagten dem Ober-
förster, dass das alles gar nicht wahr, sondern nur
eine Jägergeschichte sei, die er ihnen da aufbinden
wolle — vielleicht um hinterher mit dem schalk-
haften Zauberer über sie heimlich zu lachen, wenn
sie umsonst nach dem Walde gingen. Wie aber am
nächsten Morgen früh ein Beerenweiblein die Kunde
ins Städtchen brachte, dass tatsächlich das goldene
Blatt an der Birke hänge, da entstand ein grosses
Rumoren an allen Brunnen und in allen Häusern und,
wie sehr auch jeder und jede Stein und Bein ver-
wettete, sie würden dem alten listigen Zauberer nicht
auf den Leim , gehen — ei,, ei, es kam eben doch
anders. Es kam just so, wie sich der schlaue Buchs
gedacht hatte. Heimlich im Morgengrauen, bei Nacht
und Nebel, ja, sogar zur Geisterstunde schlichen
Männlein und Weiblein, jung und alt, der Nacht-
wächter mit dem Spiess wie der feiste Ratsherr mit
osv Der galante Zauberer, zeo
Ein Märchen.
Li s war einmal ein grosser Zauberer. Er war so hoch gewachsen wie eine
Tanne, und der grösste Mensch reichte ihm nicht einmal bis an die Knie.
Der Zauberer hatte ein gutes Herz. Aber auch die gutherzigen Zauberer fühlen
hie und da das Bedürfnis, ihre seltene Macht den Sterblichen spüren zu lassen
und sie ein wenig damit zu necken.
Als daher der Zauberer einst spät am Abend durch das Wäldchen ging,
das in der Nähe der Stadt lag, tat er den braven Bürgern dort eine kleine
Bosheit an. Er hatte nämlich einen Goldfinger. Was er mit diesem Binger
berührte, das wurde zu Gold — und was man mit diesem Gold berührte, das
wurde wieder zu
Gold, so dass der
Besitz eines sol-
chen Kleinods von
unermesslichem
Wert war. Wie
nun der Zauberer
an einer schönen
schlanken Birke
vorüberging, da
berührte er eines
der zarten im
Abendwind wehen-
den Blätter mit sei-
nem Goldfinger —
und sofort flammte
dieses Blatt auf
und strahlte, als
ob es eben aus der
Werkstätte des er-
sten Meisters der
Kunst, edle Me-
talle zu schmieden,
gekommen wäre.
Als der Zau-
berer nach Hause
zurückgekehrt, er-
zählte er absichtlich die kleine Schelmerei dem Ober-
förster, der ihn hie und da besuchte, und dieser
gab noch am gleichen Abend in der „Goldenen Ra-
punzel“ im Städtchen den hochaufhorchenden Bürgern
die Mär bekannt. Dabei teilte er ihnen mit, dass
der Zauberer eine besondere Bedingung an den Ge-
winn des seltenen Schatzes geknüpft hätte. Das
Blatt hing nämlich so hoch, dass es niemand — auch
der grösste Mann nicht — stehenden Busses erreichen
konnte. Man durfte höchstens hoffen, es bei einem
herzhaften Sprung mit ausgestrecktem Arm zu er-
greifen. Wer es dabei fasste, der wurde reich sein
Leben lang. Wer aber umsonst sprang, der würde
sich — so hatte der Zauberer bestimmt — unfehlbar
Buss und Hüften verrenken.
Die guten Bürger lachten und sagten dem Ober-
förster, dass das alles gar nicht wahr, sondern nur
eine Jägergeschichte sei, die er ihnen da aufbinden
wolle — vielleicht um hinterher mit dem schalk-
haften Zauberer über sie heimlich zu lachen, wenn
sie umsonst nach dem Walde gingen. Wie aber am
nächsten Morgen früh ein Beerenweiblein die Kunde
ins Städtchen brachte, dass tatsächlich das goldene
Blatt an der Birke hänge, da entstand ein grosses
Rumoren an allen Brunnen und in allen Häusern und,
wie sehr auch jeder und jede Stein und Bein ver-
wettete, sie würden dem alten listigen Zauberer nicht
auf den Leim , gehen — ei,, ei, es kam eben doch
anders. Es kam just so, wie sich der schlaue Buchs
gedacht hatte. Heimlich im Morgengrauen, bei Nacht
und Nebel, ja, sogar zur Geisterstunde schlichen
Männlein und Weiblein, jung und alt, der Nacht-
wächter mit dem Spiess wie der feiste Ratsherr mit
osv Der galante Zauberer, zeo
Ein Märchen.
Li s war einmal ein grosser Zauberer. Er war so hoch gewachsen wie eine
Tanne, und der grösste Mensch reichte ihm nicht einmal bis an die Knie.
Der Zauberer hatte ein gutes Herz. Aber auch die gutherzigen Zauberer fühlen
hie und da das Bedürfnis, ihre seltene Macht den Sterblichen spüren zu lassen
und sie ein wenig damit zu necken.
Als daher der Zauberer einst spät am Abend durch das Wäldchen ging,
das in der Nähe der Stadt lag, tat er den braven Bürgern dort eine kleine
Bosheit an. Er hatte nämlich einen Goldfinger. Was er mit diesem Binger
berührte, das wurde zu Gold — und was man mit diesem Gold berührte, das
wurde wieder zu
Gold, so dass der
Besitz eines sol-
chen Kleinods von
unermesslichem
Wert war. Wie
nun der Zauberer
an einer schönen
schlanken Birke
vorüberging, da
berührte er eines
der zarten im
Abendwind wehen-
den Blätter mit sei-
nem Goldfinger —
und sofort flammte
dieses Blatt auf
und strahlte, als
ob es eben aus der
Werkstätte des er-
sten Meisters der
Kunst, edle Me-
talle zu schmieden,
gekommen wäre.
Als der Zau-
berer nach Hause
zurückgekehrt, er-
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Verblüfft" "Der galante Zauberer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1909
Entstehungsdatum (normiert)
1904 - 1914
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 130.1909, Nr. 3320, S. 133
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg