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Der galante Zauberer.
der Halskette hinaus. Pustend und schnaufend, die Augen ver-
drehend und ein Stossgebetlein seufzend, tat jedes seinen
Sprung .... und immer mehr wurden ihrer, die im Städtlein
grimmigen Gesichts umherhinkten und dabei keuchend erzählten,
wie sie auf eine Kröte oder einen Kirschkern getreten oder auf
der Stiege ausgeglitten oder sonst einen Unfall erlebt, nur aber
beileibe nicht einen Birkensprung getan hätten. Etliche, die sich
schämten, blieben gar zu Hause, Hessen sich den Medikus kommen,
Salben und Pflaster verschreiben und taten, als hätten sie, weiss
Gott, welche Gebreste, während sie doch bloss aus Gier einen
falschen Sprung getan. Immer stärker wurde das geheime Leid-
wesen und der innere Groll und die vom Rat hätten am liebsten
den ganzen Baum oder doch den Ast mit dem güldenen Blättlein
abgesägt, wenn sie nicht die Macht des Zauberers gefürchtet und
überhaupt gewusst hätten, dass alles vergebens sei, was gegen
seinen Willen ginge; er hatte ja auch mit geheimem Bann jed-
wede andere Möglichkeit verwehrt, zu dem Blatt zu kommen —
es sei denn ein Sprung.
Da plötzlich eines lachenden Sommermorgens kam Eva, des
Stadtposaunisten holdseliges Töchterlein, singend und fröhlich mit
dem goldenen Blättchen über den Markt gegangen, und klein und
gross lief schreiend und schimpfend, schmeichelnd und schöntuend,
mit Gift und Neid hinter ihr her. Alles war des Staunens voll,
wie gerade sie, die kleinste von allen, ein zierliches Ding, kaum
grösser als der steinerne Zwerg am Rathaustor, den hohen Sprung
hatte tun und bestehen können.
Wie man sie aber frug, da lächelte sie bloss und sagte es
keinem — nicht einmal abends hinterm Stadttor ihrem Liebsten,
dem schmucken Bindergesellen, dem sie treu blieb trotz des Goldes.
Sie hatte aber den Sprung überhaupt gar nicht getan — als
sie sehnsüchtig schielend an dem Birkenbaum gestanden und der
alte Zauberer eben des Weges gekommen, da hatte er ihr einfach,
von ihrem süssen Liebreiz bestochen, mit mächtiger Hand . . . .
das Zweiglein herabgebogen.
W. Herbert.
Der galante Zauberer.
der Halskette hinaus. Pustend und schnaufend, die Augen ver-
drehend und ein Stossgebetlein seufzend, tat jedes seinen
Sprung .... und immer mehr wurden ihrer, die im Städtlein
grimmigen Gesichts umherhinkten und dabei keuchend erzählten,
wie sie auf eine Kröte oder einen Kirschkern getreten oder auf
der Stiege ausgeglitten oder sonst einen Unfall erlebt, nur aber
beileibe nicht einen Birkensprung getan hätten. Etliche, die sich
schämten, blieben gar zu Hause, Hessen sich den Medikus kommen,
Salben und Pflaster verschreiben und taten, als hätten sie, weiss
Gott, welche Gebreste, während sie doch bloss aus Gier einen
falschen Sprung getan. Immer stärker wurde das geheime Leid-
wesen und der innere Groll und die vom Rat hätten am liebsten
den ganzen Baum oder doch den Ast mit dem güldenen Blättlein
abgesägt, wenn sie nicht die Macht des Zauberers gefürchtet und
überhaupt gewusst hätten, dass alles vergebens sei, was gegen
seinen Willen ginge; er hatte ja auch mit geheimem Bann jed-
wede andere Möglichkeit verwehrt, zu dem Blatt zu kommen —
es sei denn ein Sprung.
Da plötzlich eines lachenden Sommermorgens kam Eva, des
Stadtposaunisten holdseliges Töchterlein, singend und fröhlich mit
dem goldenen Blättchen über den Markt gegangen, und klein und
gross lief schreiend und schimpfend, schmeichelnd und schöntuend,
mit Gift und Neid hinter ihr her. Alles war des Staunens voll,
wie gerade sie, die kleinste von allen, ein zierliches Ding, kaum
grösser als der steinerne Zwerg am Rathaustor, den hohen Sprung
hatte tun und bestehen können.
Wie man sie aber frug, da lächelte sie bloss und sagte es
keinem — nicht einmal abends hinterm Stadttor ihrem Liebsten,
dem schmucken Bindergesellen, dem sie treu blieb trotz des Goldes.
Sie hatte aber den Sprung überhaupt gar nicht getan — als
sie sehnsüchtig schielend an dem Birkenbaum gestanden und der
alte Zauberer eben des Weges gekommen, da hatte er ihr einfach,
von ihrem süssen Liebreiz bestochen, mit mächtiger Hand . . . .
das Zweiglein herabgebogen.
W. Herbert.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der galante Zauberer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1909
Entstehungsdatum (normiert)
1904 - 1914
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 130.1909, Nr. 3320, S. 134
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg