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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 74.1924

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Zu Richard Riemerschmids Rücktritt von der Leitung der Münchener Kunstgwerbeschule
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https://doi.org/10.11588/diglit.8625#0032
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ZU RICHARD RIEMERSCHMIDS RÜCKTRITT
VON DER LEITUNG DER MÜNCHENER KUNST-

GEWERBESCHULE.

Laut amtlicher Presse^Mitteilung ist Prof. Richard Riemerschmid am 1. Mai d. J. von
seiner Stellung als Direktor der Münchener Kunstgewerbeschule zurückgetreten.

Richard Riemerschmid war im Jahre 1912, gegen
Ende der Bayerischen Gewerbeschau, deren geistiger
Leitung er an prominenter Stelle angehört hatte, als
Nachfolger Langes, zum Direktor der Münchener
Kunstgewerbeschule berufen worden. Die im fort*
schrittlichen Lager stehenden, an künstlerischen und
kunstgewerblichen Dingen und Begebenheiten interes*
sierten Kreise Münchens, besonders alles, was sich um
den „Münchner Bund" scharte, erwartete sich von
Riemerschmids Leitung der Schule außerordentlich viel.
Sie durften mit Recht dieser Meinung sein. Riemer*
schmid ist nicht nur ein Organisator, wo es nottut^
sondern ein Organisator aus Passion, der die Dinge
gern von einer neuen Seite her ansieht und seine un*
gewohnte Blickeinstellung mit blendender Dialektik be-
gründet oder gegen Andersdenkende verteidigt. Es
steht außer Zweifel, daß er dank seiner impulsiven Art,
die seiner Individualität entspricht, in Kunstdingen, bei
denen das Temperamentvolle stärkeren Eindruck wach»
ruft als das allzu sehr an die Tradition Gebundene,
gelegentlich starke Erfolge erzielte, daß er auch als
Schulleiter mit Maßnahmen, Verordnungen, Berufun*
gen zuweilen ins Schwarze traf. Indessen: wo viel Licht
ist, da ist auch viel Schatten. Reformen im Schulwesen
dürfen nicht überstürzt erfolgen, denn wem der Nach*
wuchs, die junge Kraft, die einmal die heutigen Führer
und die Bewährten, Älteren, ablösen und ersetzen soll,
in die Hand gegeben ist, der muß sich seiner großen
Verantwortung bewußt und muß behutsam sein. Vor
allem muß er stets der Grenzen eingedenk bleiben, die
dem Wirken der von ihm geleiteten Schule gesetzt sind.
Gerade hierin hat Riemerschmid, dem das Kultusmini*
sterium so großes Vertrauen entgegenbrachte, daß es
ihm vollkommen freie Hand ließ, es in manchem ver*
sehen. Als 1914 in Köln der „Deutsche Werkbund"
tagte, trat, als es um Fragen der Heranbildung des
Nachwuchses ging, Riemerschmid als Diskussionsrede
ner auf und sagte das lebhaft begrüßte Wort: „Wir
wollen aus unseren Schulen für angewandte Kunst
keine Paradiesvögel *Zuchtanstalten machen." Aber
das war nur ein Versprechen, gehalten wurde es nicht.
In München liegen die Verhältnisse so, daß wir eine
Akademie der bildenden Künste besitzen, die mit vor*
züglichen, modernen Lehrern sich ausgezeichnet für
alles eignet, was nach Experiment aussieht, was un*

gewöhnlich und was aus der Reihe ist. Wenn es sich
dieses Institut aus weiser Erkenntnis versagte, den
sogenannten „bewegten Akt" einzuführen, so hätte
Riemerschmid zu seiner Forcierung noch weniger Ver*
anlassung gehabt. Indessen hielt er an diesem Prinzip
zäh fest, und es kam darüber zu dem unerquicklichen
Streit, der noch zu lebhaft in aller Erinnerung ist, als
daß davon hier gesprochen werden müßte. Riemer*
schmid überschätzte die Aufgaben seiner Schule und
vielleicht gelegentlich auch sein Schülermaterial. Die
Kunstgewerbeschule ist und soll sein die Fortsetzung
einer künstlerisch und werkgerecht geleiteten Hand*
werkerschule oder der Lehrzeit bei einem guten, im
Sinn geschmacklicher Kultur tätigen Handwerksmeister.
Riemerschmid dagegen — das bewiesen manche seiner
Berufungen in den Lehrkörper, das bewiesen seine
schulorganisatorischen Einrichtungen, z.B. der an die
englischen Colleges gemahnende ,,Schüler*Aussdiuß"
—, faßte seine Anstalt als eine Parallele zur Akademie
auf. Er dachte wohl an eine Verschmelzung beider An*
stalten, und auch das Ministerium scheint daran ge-
dacht zu haben. Aus diesem Grund stellte Riemer*
schmid seinen jungen Leuten ein Programm, das ihre
Kräfte überstieg: er selbst wollte nun Paradiesvögel
züchten. Die große Ausstellung gelegentlich des Schul*
jubiläums bewies aber deutlich, daß nicht alle Bäume
in den Himmel wachsen, daß von dem, was die Kunst*
gewerbeschule vermag, zu den Leistungen, die man
von der Akademie fordern muß, doch noch ein großer
Schritt ist. — Im Rahmen der sich gegenwärtig in der
Stille vollziehenden, sachten Reorganisationsarbeit des
Kultusministeriums in Betreff der bayerischen Kunst*
erziehungsanstalten erwies sich eine Einschränkung der
Aufgaben und des Lehrkörpers der Kunstgewerbe*
schule als gegeben. Besonders einschneidend war die
Maßnahme, daß der Präsident der Akademie der bil*
denden Künste zur Herstellung einer Fühlungnahme
beider Anstalten künftig an allen wichtigen Sitzungen
des Kollegiums der Kunstgewerbeschule teilzunehmen
hat. Damit in Zusammenhang steht auch, daß der Di*
rektor der Kunstgewerbeschule nicht mehr hauptamt*
lieh auf Lebensdauer bestellt, sondern jeweils auf drei
Jahre nach Vorschlag des Lehrerrates ernannt wird.
Zu Kompromissen nie geneigt, da hinter allen seinen
Entschlüssen, auch hinter denen, mit denen man sich

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