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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 5.1906

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Nr. 4
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Vitzthum von Eckstädt, Georg: Ferdinand Boberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.20726#0136
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FERDINAND BOBERG —STOCKHOLM

Boberg trat für die Fernerstehenden zuerst 1897
auf der Stockholmer Ausstellung hervor, wo
er unter anderem den Kunstpalast gebaut hatte.
Die Ausstellungsarchitektur hat in den letzten zehn
Jahren einen ungeahnten Aufschwung genommen.
Sie absorbiert — man kann sagen bedauerlicher-
weise - einen sehr grossen Teil der tüchtigsten
Kräfte. Für ein Provisorium von wenigen Monaten
werden ausserordentliche Anstrengungen gemacht,
und da sich die Anstrengung im wesentlichen auf
Fassadenwirkungen beschränkt, ist der Nutzen nicht
frei von schädigenden Momenten. Bobergs Palast
auf der Stockholmer Ausstellung brachte ungewohnte
Wirkungen. Der Stil hielt sich an ein romanisches
Schema im Geiste der amerikanischen Privatbauten,
war aber in den Details von aller Anlehnung frei.
Zumal im Ornament überraschte die Vielseitigkeit.
Das Material, weisser Stuck, erlaubte das Antragen
reicher Formen. Ich erinnere mich an eine Säulen-
halle, deren Bogen mit einem sehr geschmackvollen
dichten Blätterornament bedeckt waren. Die Ver-
bindung zwischen Säulen und Bogen war mit dem-
selben Ornament gelöst und die Blätter verloren
sich auf den Säulen in dreikantigen Furchen. Den
schweren Massen gab dieser Schmuck ein ange-
nehmes Spiel von Licht und Schatten und festliches
Gepräge. Diese Eigenschaften hat Boberg in seinen
grossen Monumentalbauten des letzten Jahrzehntes
erweitert. Unsere Abbildungen zeigen unter an-
derem die Mannigfaltigkeit der Lösungen für die-
selben ornamentalen Zwecke. An der Loggia des
Restaurants „Rosenbad" schildern die Kapitäle und
das Gitter die Attribute fleischlicher Genüsse. Alle
plastischen Details sind in echtem Material gear-
beitet. Trotzdem vermag man sich nicht der ephe-
meren Bedeutung solcher Betätigung zu entziehen.
Dem Eifer, der sich in solchen Kleinigkeiten er-
schöpft, gelingt nicht die ruhige Beherrschunggrosser
Massen. In dem grossen Postgebäude stecken wesent-
lichere Vorzüge. Die Haupthalle ist angenehm
gegliedert und erfüllt ihren Zweck. Die Fassaden-
wirkung beschränkt sich auf ein reich geschmücktes
Portal, das Renaissancereminiszenzen vorteilhaft
verwertet. Aber der Bau leidet unter dem plumpen
Uhrkasten. Auch die Unterbrechung des Materials
in den seitlichen Rundtürmen und die Verschiebung
der Fensterbasen ist nicht glücklich. Ein der ruhigen
Hauptfront mehr entsprechender Erkerbau wäre

sicher dem Ganzen vorteilhafter gewesen. In dem
grossen Mietshaus hat sich Boberg auf einfache Er-
füllung gegebener Bedingungen beschränkt. Doch
auch hier möchte man die Häuschen auf den Türmen
lieber entbehren. Sehr hübsch ist die Villa, die sich
der Künstler im Park bei Stockholm gebaut hat, ohne
sich von den englischen Vorbildern allzuviel zu ent-
fernen. So einfach sie sich gibt, sie äussert einen
unverkennbaren Intimitätswert, die freundliche Be-
ziehung zu ihrer Umgebung. Die Gedanken des
Künstlers, als er sie baute, waren auf das Natür-
liche gerichtet. V
V Boberg zeigt die Peripetien der Entwicklung
der ganzen Architektur in den letzten zehn Jahren,
der Verkehrtheit eines Standpunktes, der beim Tür-
knopf zu bauen anfängt, statt bei dem Grundriss
und alle Anstrengungen auf das Ornament ver-
schwendet, anstatt für den gesunden Träger des
Schmuckes zu sorgen. Zugegeben, dass Boberg
wie viele andere bei diesem Weg auf amüsante
Dinge kam. Aber auch wenn sie noch reizender
wären, würden sie nicht den Grundfehler ihrer
Entstehung vergessen machen und die Einsicht
widerlegen, dass nur ein Zufall sie zu architekto-
nischen Attributen werden Hess, dass sie mit nicht
viel weniger Recht als Buchschmuck oder in irgend
einem anderen Gewerbe verwendbar wären. Bei
uns hat man den Fehler schneller eingesehen als
in Stockholm. Das mag in der Abgelegenheit des
Arbeitsfeldes seinen Grund finden, mehr noch in
dem Ursprung der Anregungen. Boberg wurde von
der Zierlichkeit der englischen Ornamentik und der
Pracht amerikanischer Materialverschwendung be-
troffen und sah nicht, was hier und dort unter der
Aeusserlichkeit steckte. Er ist erst auf dem Wege zu
dem rationellen Standpunkt, den die jungen Wiener
und Deutschen aus der Vielartigkeit der Anregungen
schliesslich alsbleibenden Wertnach Hause brachten.
Er hat noch nicht reagiert wie unsere bedeutenden
Architekten alle ohne Ausnahme, ist immer noch
in der Reflextätigkeit begriffen, die die Selbständig-
keit des Denkens für eine Weile ausschaltet. Aber
auch Boberg wird sich besinnen und der schwedi-
schen Hauptstadt, diesem so bevorzugten Fleck Erde,
wo man auf Schritt und Tritt auf malerische Aus-
blicke stösst und Eindrücke einer ganz eigentüm-
lichen Natur gewinnt, eine gesunde Architektur geben.

Vitzthum
 
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