Einführung
Hartmanns von Aue Gregorius ist vollständig überliefert in 6 Handschriften, zu denen sich 6 Fragmente und eine Federprobe stellen. Nur eine nahezu vollständige Handschrift ist aus dem (frühen) 13. Jahrhundert erhalten (A), während die anderen alle aus dem 14. (meist zweite Hälfte) und 15. Jahrhundert stammen. Von den Fragmenten stammen drei aus dem 13., die übrigen aus dem 14. Jahrhundert.
Die erste kritische Edition durch Karl Lachmann 1838 beruhte auf fünf Handschriften (ABCDE), alle ohne den Prolog, und enthielt nur 3834 Verse. Im selben Jahr wurden die vatikanische Hs. A, der älteste Textzeuge, auch diplomatisch abgedruckt. 1856 tauchte die Hs. G mit einem verstümmelten Prolog auf, 1876 die Hs. J mit allen 170 Versen dieses Teils. So konnte Hermann Paul 1882 in der zweiten Auflage seiner Gregorius-Edition erstmals den ganzen Text edieren. Bis heute gelten die 4006 Verse seines Editionstexts als Referenz für die Forschung.
Eine wichtige Pergamenthandschrift (B) verbrannte mit den übrigen Beständen der Straßburger Stadtbibliothek bei der Bombardierung der Stadt durch deutsche Truppen im August 1870. Sie war schon seit 1819 nicht auffindbar, dürfte aber, da keine Ausleihen registriert oder weitere Spuren gefunden wurden, lediglich verstellt gewesen sein. Sie ist glücklicherweise durch eine Abschrift aus dem späten 18. Jahrhundert bekannt (B2), sowie aus zahlreichen kleinen Zitaten in einem lateinischen Glossar, das Johann Georg Scherz zwischen 1781 und 1784 edierte (B1). Erstaunlicherweise ist diese Druckquelle nie vollständig textkritisch ausgewertet worden.
Gregorius – digital bietet zum ersten Mal die komplette Überlieferung von Hartmanns Gregorius, mit Transkriptionen aller Zeugnisse und Editionen einzelner Handschriften.
Wie die anderen digitalen Editionen der Werke Hartmanns von Aue will Gregorius – digital keine neue kritische Ausgabe des Gregorius bieten. Ziel ist es nicht, einen vermeintlichen Text Hartmanns von Aue zurückzugewinnen; dazu gab es eineinhalb Jahrhunderte lang die Edition Hermann Pauls und ihre Nachfolger. Dies ist auch nicht eine Leithandschriftenedition, bei der ein möglichst guter und alter Textzeuge als Text gewählt wird; das leistete bereits die Ausgabe Karl Lachmanns. Gregorius – digital will die Überlieferungszeugen des Gregorius in ihrer aktuellen Gestalt und in größerer Breite editorisch aufarbeiten und lesbar machen. Es geht somit in diesem Projekt darum, gerade die Variation in der Überlieferung des Textes aufzuzeigen und vorzuführen, wie er über die Jahrhunderte gelesen und gedeutet wurde.
Gregorius – digital entsteht in enger Zusammenarbeit mit Grégoire – digital, der digitalen Edition der altfranzösischen Vie du pape saint Grégoire, welche nach denselben Prinzipien aufbereitet wird.