Kaiserchronik und Kaiserchronik digital

Übersicht Kaiserchronik

Die Kaiserchronik umfasst eine großangelegte Erzählung zur Herrschaft von 36 römischen und 19 deutschen Königen und Kaisern und behandelt eine Zeitspanne von zwölf Jahrhunderten. Von Gaius Julius Caesar (verstorben 44 v. Chr.) bis zu Konrad III (verstorben 1152) beleuchtet sie die Themen Ethnizität, Religion und kulturelle Identität sowie das Verhältnis von Kirche und Reich in den verschiedenen Stadien des Römischen und Römisch-Deutschen Reiches und deren jeweiliger territorialer Ausdehnungen im Mittelmeerraum.

Der Autor – oder die Autoren – der Kaiserchronik sind nicht bekannt, aber nach bisher geltender einheitlicher Forschungsmeinung handelt es sich um einen Geistlichen aus der Umgebung von Regensburg. Das zeitgenössische Interesse an diesem Werk war offensichtlich groß und nahm im Verlauf der Zeit nicht ab. Um 1200 war es in ganz Deutschland bekannt und in den Folgejahren übertraf seine Verbreitung (50 bekannte oder noch erhaltene Handschriften, von denen 11 den Gesamttext der Chronik überliefern) diejenige der meisten Werke, die den Kanon der deutschen Literatur des Mittelalters dominieren.

Die Originalfassung (A) wurde im 13. Jahrhundert zwei Mal überarbeitet, um dem aktuellen Stil und sprachlichen Konventionen zu entsprechen: Fassung B (um 1200) und Fassung C (um 1250). Die letztere berichtet zudem von Ereignissen bis zum Jahr 1250; eine dieser Handschriften (Schloss Zeil, Fürstl. Waldburg-Zeil und Trauchburgsches Gesamtarchiv, ZAMs 30) führt die Geschichtsschreibung sogar bis 1278 fort. Alle drei Fassungen wurden seit Mitte des 13. Jahrhunderts kopiert; Prosaversionen verbreiteten sich über die Sächsische Weltchronik (Fassung C1) und wurden sogar zum Prolog für den Schwabenspiegel; Teile wurde ins Lateinische übersetzt.

Kaiserchronik digital bietet Wissenschaftlern verschiedene Herangehensweisen an den Text. Erstens verschafft das Projekt Zugang zu allen drei Fassungen des Werkes. Diese können jetzt erstmals parallel und in jeder beliebigen Kombination angezeigt werden. Zweitens ermöglichen die vollständigen digitalen Faksimiles eine ausführliche kodikologische Analyse. Und zum Dritten besteht unmittelbarer Zugang zu den Textvarianten der Kaiserchronik, die vom 12. bis 14. Jahrhundert in Handschriften aus allen hochdeutschen Sprachregionen überliefert wurden. Dem Literaturwissenschaftler vermitteln diese Transkriptionen einen Einblick in die Prozesse der Retextualisierung (Wiedererzählung) und der Textbearbeitung, auf einer Ebenen die noch unterhalb den drei Hauptfassungen der Chronik liegt. Sprachhistoriker haben die Möglichkeit, Vorgänge der diatopischen und diachronischen Mikrovarianz zu beobachten, die zu kleinteilig sind, um sie in traditionellen textkritischen Apparaten festzuhalten.

Kaiserchronik digital ist aus diesem Grund nicht nur ein Backup der kritischen Druckausgabe, die im Jahr 2020 erscheinen wird (siehe Projektbeschreibung), sondern eine eigenständige Edition, die nicht die traditionelle Publikationsform ersetzt, sondern diese komplementiert, indem sie Informationen zur Verfügung stellt, die andernfalls verborgen blieben.

Zwei Haupterkenntnisse der ersten Analyse des Projektteams zeigen die Stärken einer digitalen Ausgabe in dieser Form: (1) dass spätere Handschriften innerhalb von Fassung A ähnliche Tendenzen der Umformulierung aufzeigen, wie diejenigen, die gemeinhin mit Fassung C assoziiert werden; und (2) dass sich ein Großteil der Arbeit der Schreiber in allen drei Versionen auf metrische Veränderungen bezog. Diese Tatsachen wären in einer traditionellen Ausgabe schwer nachzuweisen und ihre Weiterverfolgung für Wissenschaftler beinahe unmöglich. (Weitere Informationen hierzu werden 2018 und 2019 in Aufsätzen in der Zeitschrift für deutsches Altertum veröffentlicht).