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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Der Hildesheimer Zentralfriedhof — Hannover: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Heft 17.1998

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Todesrezeption und Totengedenken in Grabsentenzen des späten 19. und beginnenden 20. Jh.
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https://doi.org/10.11588/diglit.51148#0021
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Todesrezeption und Totengedenken in Grabsentenzen
des späten 19. und beginnenden 20.Jh.

Grundsätzlich manifestiert sich der Ausdruck von Trauer und To-
tengedenken in Gesamtplanungen ebenso wie in den Sprüchen
der persönlichen Grabinschrift, auch wenn diese trotz innerster
Empfindungen naturgemäß auch gesellschaftspolitisch reglemen-
tiert worden sind. Dies erschwert die Interpretation des Wortes
an sich, da dieses stets relativiert und im größeren Zusammen-
hang bewertet werden muß. Dennoch sind Entwicklungen vor al-
lem vor der Folie des Gesamtkontextes zu erkennen als auch
mentalitätsgeschichtlich zu bewerten.

Erste Loslösungen von der Glaubenstradition
So veranschaulichen die wenigen Zitate84, die sich aus dem
19.Jh. erhalten haben eine weitgehende Anlehnung an die Heili-
ge Schrift und - damit verbunden - geradezu gelassene Gottes-
fürchtigkeit, die sich primär mit den Begriffen Hoffnung und Er-
wartung umschreiben läßt. Auch wenn sich in den wenigen Bei-
spielen der Drang nach sensibel-leidender Verinnerlichung im
Sinne L. Bloys kaum fassen läßt, so zeichnet sich der feste Glaube
als Basis auch positivistisch-gelassenen Denkens umso deutlicher
ab; eine Verdrängung des Todes ist in jedem Falle nicht spürbar:
„Wohl dem, der seine Hoffnung setze auf den Herrn"
Schwemann V 1 (1897) (Abb. 18)
[Ps 40, 5]
„Ich harrete dem Herrn"
Schwemann V 1 (1897)
[Ps 40, 2]
„Herr Du bist meine Zuversicht"
Braun V 4 (1899)
[Ps 61, 4]
„Denn wir wissen, daß der, welcher Jesus, den Herrn,
aufgeweckt hat,
auch uns mit Jesus auferwecken und uns zusammen mit euch
stellen wird"
Raven H 35/36 (1902)
[2. Kor. 4.14]
Der Tod des vertrauten Menschen wird demnach als ernsthafter
sowie tiefgreifender Verlust erfahren, wie dies die Begriffe der
steten „Zuversicht" und des „Harrens" formulieren. Dennoch
wird der Gedanke eines wie immer emotional empfundenen ei-
genen Leides hier nur vage rezipiert und vor allem aber der welt-
liche Abschied thematisiert - allerdings mit der überzeugten
Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen, die zuweilen in feste
Überzeugung übergeht („Denn wir wissen,...uns zusammen mit
euch stellen wird").
Für den heutigen Betrachter anscheinend wenig emotional
orientiert, spiegelt diese christlich-gefestigte Haltung die bereits
oben genannte positivistische Form der Kontemplation, wie sie
sowohl für Frankreich als auch das Deutschland des späten
19.Jh. aufgezeigt werden konnte. Dabei harmonierte der Ge-
mischte Stil des Zentralfriedhofes mit dem Anliegen, das Famili-
engedächtnis intensiv zu feiern und den christlichen Familienan-
spruch auch nach außen tragen zu können; so entstehen die Erb-
begräbnisse der Familien Schwemann und Braun nicht auf den
weiten Flächen eines Parkfriedhofes, sondern als architektonische
Monumente unmittelbar am Repräsentationsrundweg, an dem
sie als private Gevierte zugleich Schaufront sind (Abb. 14).

Erst zu Beginn des 2O.Jh. (um 1909/1910) wird der allmähliche
Wandel vom hoffnungsorientierten positivistischen Denken zum
wahrhaft empfundenen Verlust spürbar, der nunmehr die Ein-
samkeit des Hinterbliebenen, dessen Trauer und seinen Schmerz
zum Inhalt erhebt. Weniger die Gottesgelassenenheit und Hinga-
be in das Unausweichliche dominieren, sondern das herbeige-
sehnte Wiedersehen, das rein menschliche Verlangen, das immer
deutlicher in Richtung Verdrängung zielt. Neben dem Schmerz
wird erstmals der Tod, das Sterben und Begraben-Sein und letzt-
lich auch das eigene Leid formuliert. Auch diesem Denken fügt
sich die Idee des labyrinthischen Parkfriedhofs noch bestens ein,
insofern er auch dem erwachenden Wunsch nach Verdrängung
und sentimentaler Rückbesinnung einen entsprechenden Frei-
raum gewährt:
„Dir ist wohl, uns bleibt der Schmerz"
Lohmann Hampe I 49-51 (1900/1910)
„Was vergangen kehrt nicht wieder
aber es ging
leuchtend nieder
(leuchtet's lange noch zurück)"
Wille III 24/25 (1906)

„unsere hoffnungsvolle Tochter"
Bornemann III 56/57 (1907)


14 Reliefplatte der Grabstätte Brauns von P.Strotz und G.Küsthardt
(Abt. V 2)

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